Der Thunersee  in den Farben des Winters

Der Thunersee in den Farben des Winters

Der Thunersee in den Farben des Winters

Der Thunersee und vor allem die Gegend rund um dessen Ufer erstrahlt im Laufe des Jahres und im Wandel der Jahreszeiten in unterschiedlichsten Farben. Wenn sich der Herbst seinem Ende zuneigt, schwindet auch schrittweise seine vielschichtige Farbenpracht. Der Winter erscheint dagegen eher trostlos; doch ist dies eine Frage der Perspektive, denn die zurückhaltende Kolorierung des Winters hat ihre ganz eigenen Vorzüge.

Text: David Heinen  |  Fotos: Christine Hunkeler 

Wenn man sich auf die Suche nach farblichen Assoziationen zum Winter macht, ist eine ganz nah und offenkundig: Weiss. Erinnerungen an Schnee und Eis drängen sich auf – Weiss steht für Kälte. Aber auch Unschuld und Reinheit werden mit dieser Farbe in Verbindung gebracht. Doch dieser naheliegende Gedankensprung von der Jahreszeit Winter zu der Farbe Weiss scheint eigentlich nicht (vielleicht: nicht mehr) der alltäglichen Erfahrung zu entsprechen. Schliesslich präsentiert sich der Winter bei Weitem nicht immer in einem weissen, schneebedeckten Kleid. Dem entspricht, dass der Wunsch nach weissen Weihnachten zwar viel geäussert, doch selten Wirklichkeit wird. Doch vielleicht liegt gerade darin die Anziehungskraft solcher Gedanken: Die Seltenheit macht es umso wünschenswerter. Weiter verbindet man diese Vorstellung mit Kindheitserinnerungen, und gerade Kinder verkörpern doch die Unschuld. Ungeachtet, mit welcher Häufigkeit sich die Gegend rund um den Thunersee nun tatsächlich weiss geschmückt zeigt, ist es kaum zu leugnen, dass dies jedes Mal aufs Neue ein wunderschöner Anblick ist. Eine gewisse Ruhe wird ausgestrahlt; ein Moment der Entschleunigung, der in unseren hektischen Zeiten nur guttun kann. Der Anblick hat auch etwas Erhabenes. Die Natur wird umfassend in ihrer ganzen Grösse erfahren, das Individuum fühlt sich geborgen, aber auch als kleiner, nicht sehr bedeutender Teil des Ganzen – diese Erfahrung kann für viele durchaus heilsam sein. 


Die winterlichen Farben setzen sich durch

Die vielfältigen Farben des Herbstes schwinden, und diverse Grauschattierungen legen sich über die Landschaft wie ein etwas abgetragener Mantel. Was häufig in Verbindung mit Trostlosigkeit gebracht wird, muss nicht als solche betrachtet werden. Klar, die abnehmenden Sonnenstrahlen haben einen direkten Einfluss auf die persönliche Stimmung; der Vitamin-D-Spiegel wird allgemein in kausalen Zusammenhang zur Gemütslage gestellt. Genügend Sonne zu tanken, ist also eine der Voraussetzungen, um nicht in eine sogenannte Winterdepression zu fallen. Doch das dominant werdende Grau beziehungsweise die vorherrschenden Grautöne können die Empfindungen auch in einem positiven Sinne dämpfen – der Ruf der Alltagsprobleme wird leiser, und der Lauf der Zeit scheint sich zu verlangsamen. So aus der Zeit gefallen, wird man auf sich zurückgeworfen und kann dies nutzen, um mit sich selbst in einen Dialog zu treten und das eigene Tun zu hinterfragen und einzuordnen. Der Übergang von Herbst zu Winter und die beruhigende Kraft des gedämpften, winterlichen Blicks wird sehr schön von den folgenden Versen Friedrich Hölderlins eingefangen:

Wenn ungesehn
und  nun vorüber sind die Bilder
Der Jahreszeit,  so kommt des Winters Dauer,
Das Feld ist leer,
die Ansicht scheinet milder,
Und Stürme wehn umher 
und Regenschauer. 

Für den Umstand, dass viele wichtige Aspekte des Lebens häufig eine Frage der Perspektive sind, gibt es wohl kaum ein besseres Symbol als den Nebel. Befindet man sich mittendrin, schränkt dies die Sichtweite ein – teilweise durchaus auch im übertragenen Sinne. Doch mit Abstand betrachtet, kann sich grosse Schönheit offenbaren. Nebelschwaden, die wie filigrane Tänzerinnen über den Thunersee gleiten, verkörpern eine ganz eigene, zurückhaltende Eleganz. Wenn sich dichter Nebel über dem See sammelt, lohnt der Gang in die Höhe. Plötzlich strahlt die Sonne, und der vorher noch bedrückende Nebel erscheint als eine samtige, weisse Wiese, die sich zwischen den Bergen gemütlich hinstreckt. Am liebsten würde man sich gerne direkt auf dieser ausbreiten, den Blick gen Himmel wenden und sich im weiten Blau verlieren.

Eine beruhigende Farbkombination

Erweitert wird das winterliche Farbenspiel des Thunersees und seiner Region also offensichtlich durch die Farbe Blau. Wenn keine Wolken den Himmel verdecken und der Blick sich ihm ungetrübt zuwenden kann, dann fällt auf, dass gerade im Winter der Himmel sein Blau mit besonderer Intensität trägt. Es scheint so, als ob die eher schlichte Farbgebung des Winters dafür sorgt, dass die vorhandenen Farben umso deutlicher werden und an Kraft gewinnen. Blau symbolisiert bekanntlich die Ruhe, und diese Ruhe trägt der Thunersee mit einer durchdringenden Präsenz. Die Weite des Sees und die in ihm vorhandenen unzähligen Variationen des Blauen erfüllen einen mit Andacht – und beruhigen.  Die Ruhe und Gelassenheit der Farbkombination Weiss, Grau und Blau, die der Winter immer wieder aufs Neue in die Welt trägt, ist ein poetisch viel bearbeitetes Thema. Wie das vorhin zitierte Gedicht von Hölderlin setzt auch Theodor Fontane diese Wirkung des Winters wunderschön um:


Alles still! Es tanzt den Reigen 
Mondenstrahl in Wald und Flur,
Und darüber thront das Schweigen
Und der Winterhimmel nur.


Hoffentlich vermögen diese Zeilen und der gesamte Beitrag zu zeigen, was der Winter und seine Farben für einen besänftigenden Einfluss auf unser Leben ausüben können; wenn man dies nur zulässt. Jetzt ist die Zeit, um zu sich zu kommen und sich der Hektik des Alltages – zumindest immer öfters – zu entziehen. Dies gelingt gut zu Hause; die winterliche Kälte lädt ja richtiggehend dazu ein, sich in die Wärme der eigenen vier Wände zurückzuziehen und sich ohne schlechtes Gewissen dem seligen Nichtstun hinzugeben. Doch überwinden Sie diesen nur allzu natürlichen Impuls auch immer mal wieder, und geniessen Sie draussen die zurückhaltenden Farben des Winters. Der Thunersee verleitet zwar nicht mehr zum Reinspringen, jedoch ist seine klirrende Kälte auch vom Ufer aus spürbar, und der See und seine Region werden – ob in Blau, Grau oder Weiss – zum winterlichen Paradies und persönlichen Rückzugsort.

Alles still! Es tanzt den Reigen Mondenstrahl in Wald und Flur, Und darüber thront das Schweigen Und der Winterhimmel nur.

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