«Reisen, nicht rasen»
«Reisen, nicht rasen»
Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen des Frühlings laden zu einer Spritztour durch die pittoreske Gegend rund um den Thunersee ein. Wer in gemächlichem Tempo motorisiert die Umgebung erkunden will und dabei gerne bequem sitzt, ist mit einer nostalgischen Oldtimer-Fahrt bestens bedient.
Text: Lisa Inauen | Fotos: Lisa Inauen, zvg
Kein Linienbus, sondern ein Reisebus
Beim Liebhaberstück handelt es sich um ein Schweizer Fabrikat. Besonders das klassische Postauto der Marke Saurer prägte jahrzehntelang das Bild des Strassenverkehrs in den Alpen. Ab den 1930er-Jahren produzierte die Adolph Saurer AG mit Sitz in Arbon am Bodensee mittlere und schwere Lastwagen, Autobusse, Trolleybusse sowie Militärfahrzeuge. Für besonders interessierte Leserinnen und Leser bietet sich dort im Saurer Museum die Gelegenheit, mehr über die Automobile zu erfahren. Kombinieren lässt sich der Museumsbesuch im Sommer mit einem erfrischenden Bad im Bodensee – das Schwimmbad liegt gleich neben dem Saurer Museum.Auch in der Region Thunersee waren viele Saurer-Automobile im öffentlichen Verkehr im Einsatz. Die meisten wurden als Linienbusse verwendet, die für kürzere Fahrten konzipiert waren. «Bei unserem Car handelt es sich im Gegensatz dazu um eine Car-Ausführung, die kaum produziert wurde und von denen heute vermutlich kein anderer mehr existiert», sagt Michaela Mürner von der Gafner AG, die für das Fahrzeug zuständig ist. Die Reisebusausführung ist mit besonders bequemen Sitzen aus Schweinsleder und Plüsch ausgestattet, bei guter Witterung kann das Dach geöffnet werden. «Es wurde auch schon bei leichtem Regen verlangt, dass das Dach geöffnet wird», lacht Gafner. Leidenschaftlich erläutert er Funktionen und Eigenheiten des Fahrzeugs, immer verbunden mit Anekdoten, die er mit dem Bus in den vergangenen Jahren bereits erlebt hat. So beharrte ein Fahrgast bei einem Stopp auf der Moosegg darauf, dass der Motor abgestellt werden müsse, damit die Hochzeitsgesellschaft ihr Theaterstück ohne Nebengeräusche aufführen könne. Urs Gafner erklärte dem Gast geduldig die Funktionsweise der Druckluftbremsen.
Ein Ereignis blieb Urs Gafner besonders lebhaft in Erinnerung: Die Fahrt mit ehemaligen Mitgliedern der deutschen Fussballnationalmannschaft. Diese fuhr mit eben jenem Bus von Spiez nach Bern und wurde dort im Jahr 1954 Weltmeister. 2008 machten die verbliebenen Fussballer einen Ausflug in die Schweiz inklusive Busfahrt und Besichtigung des alten Stadions mit Urs Gafner – ein einmaliges Ereignis, das den ehemaligen Profisportlern, aber auch Gafner grosse Freude bereitete.
Mit 15km/h nach Beatenberg
Der über 60 Jahre alte Bus macht noch immer beinahe jede von Kunden gewünschte Route mit. «Prinzipiell ist jede Strecke möglich, schmale Strassen werden im Voraus abgefahren», sagt Michaela Mürner. Allerdings müsse natürlich bei steilen Passagen genügend Zeit einberechnet werden, ganz nach dem Motto «Reisen, nicht rasen». Maximal 80 km/h sind möglich, der Bus wäre also autobahntauglich, aber: «Viel lieber fahre ich mit 15 km/h nach Beatenberg als geradeaus Höchstgeschwindigkeit zu fahren. Auf der Autobahn wird zudem der Lärmpegel schnell zu hoch», so Gafner. Gerne macht er auch spontane Zwischenstopps, wenn sich die Gelegenheit an einem schönen Aussichtspunkt bietet. «Ich entdecke zusammen mit den Gästen die Langsamkeit neu. Dies kommt in der heutigen Zeit mit vielen schnellen Transportmitteln überaus gut an.» Seine Original-Carfahrer-Uniform werde von den Fahrgästen ebenfalls sehr geschätzt.Öffentliche Oldtimer-Fahrten
Auch die Verkehrsbetriebe STI AG sind im Besitz eines Oldtimers, Modell Saurer L4C mit Baujahr 1950. «Der Oldtimer kommt ausschliesslich zwischen Mai und Oktober zum Einsatz, besonders beliebt ist er für spezielle Anlässe wie Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern», sagt Gabriela Karlen-Kramer, Leiterin Marketing der Verkehrsbetriebe STI AG. Verzichtet wird auf das Befahren von Strecken mit grossen Höhendifferenzen, da die Reparatur des 110-PS starken Fahrzeugs aufwändig ist und Ersatzteile nur sehr schwer zu beschaffen sind.
Oberland Reisen bieten 2019 drei öffentliche Fahrten an, bei denen man in den Genuss des Oldtimer-Feelings kommen kann. So fährt der Saurer mit Platz für 30 Fahrgäste im Juni zum Kemmeriboden, im August rund um den Thunersee und im September zur Moosegg (siehe Kasten). Auch dieser Bus hat ein Schiebedach und ist so bestens geeignet, während einer Rundfahrt an der frischen Luft die ersten Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren. Bei dem Fahrzeug der Verkehrsbetriebe STI AG handelt es sich um einen Linienbus, der ursprünglich bei der AvH (Autoverkehr Heimenschwand) eingesetzt wurde. Durch die Fusion mit der AvH ging der Saurer an die Verkehrsbetriebe STI AG über, die diesen seither in ihrer Fahrzeugflotte führt.
Retro-Boom bei Jung und Alt
Eine Fahrt mit einem Oldtimer ist immer auch eine Reise in die Vergangenheit, wie Gafner erzählt: «Immer wieder sagen Fahrgäste beim Einsteigen, dass der Geruch des Busses sie an ihre Jugend erinnert.» Die Busse sind aber auch bei einer Generation beliebt, die lange nach der Hochblüte der Saurer-Busse geboren wurde: «Es gibt einen regelrechten Retro-Boom, der Bus wird oft für Hochzeiten junger Paare gebucht», so Michaela Mürner.
Damit die Busse auch in Zukunft fahren, ist gute Pflege unabdingbar. Urs Gafner hat selbst ein Ersatzteillager angelegt und führt regelmässige Services durch. Trotzdem brauche es oft Geduld und Improvisationskunst im Umgang mit dem Oldtimer, «süüferli» auf den Zähler klopfen müsse man von Zeit zu Zeit, damit dieser wieder laufe, führt er lächelnd aus. Die Chauffeurfahrten erledigt er neben normalen Lastwagenfahrten besonders gerne, da die Freude der Fahrgäste meist sehr gross sei. Und mit seinem Humor gelingt es Urs Gafner auch, kritische Situationen zu entschärfen: Als einmal eine Braut reklamierte, ihre Frisur würde wegen des Fahrtwinds des geöffneten Schiebedachs zerstört, holte er das Brautpaar kurzerhand nach vorn, wo die Braut die charakteristische Hupe bedienen durfte – Hochzeitsfahrt gerettet!
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