Farbspektakel zwischen Tag und Nacht
Farbspektakel zwischen Tag und Nacht
Der Thunersee zeigt sich im Laufe der Jahres- und Tageszeiten in den verschiedensten Farben, einmal ist er tiefblau, dann blaugrün, dann wieder beinahe schwarz. Besonders in der sogenannten blauen Stunde bieten der Thunersee und seine Umgebung dem aufmerksamen Beobachter oft ein eindrückliches Farbspiel.
Text: Lisa Inauen | Fotos: Nina Ruosch, Annette Weber, zvg
Wer schon einmal bei klarem Himmel in der Abenddämmerung am Thunersee spazieren war, hat das Phänomen vielleicht bereits beobachtet: Während etwa einer halben Stunde bietet sich ein Farbspektakel, das seinesgleichen sucht. Der Himmel erstrahlt in dunklem Blau hinter den Silhouetten der Berner Alpen, die so deutlich und nah scheinen wie sonst selten. Sobald sich die Sonne erheblich unterhalb des Horizonts befindet, aber die nächtliche Dunkelheit noch nicht eingebrochen ist, färbt sich der Himmel tiefblau, weshalb diese Zeit auch «blaue Stunde» (von Französisch «l’heure bleue») genannt wird. Während dieser Zeit hat der Himmel etwa dieselbe Helligkeit wie das künstliche Licht von Gebäude- oder Strassenbeleuchtungen. Dieselbe Färbung ist auch während der Morgendämmerung zu sehen, allerdings wird der Begriff in diesem Zusammenhang seltener verwendet.
Das Blau des Himmels tagsüber unterscheidet sich von jenem am Abend sowie am frühen Morgen, denn es wird durch die Rayeigh-Streuung – eine bestimmte Streuung elektromagnetischer Wellen – verursacht. Das Licht vor oder nach Sonnenaufgang hingegen entsteht durch eine Wechselwirkung der Ozonschicht mit dem flachen Winkel des Lichts und hat somit eine andere spektrale Zusammensetzung. Wenn sich die Sonne etwa vier bis acht Grad unterhalb des Horizonts befindet, lässt das Restlicht den Himmel in einem viel tieferen und stärkeren Blau erstrahlen. Gleichzeitig hat diese Lichtquelle nicht mehr genügend Kraft, um andere Lichter zu überstrahlen. Oft wird dieses tiefe Blau im oberen Teil des Himmels durch ein warmes Orange, Gelb oder Rot ergänzt. Diese Wechselwirkung hat der US-amerikanische Geophysiker Edward Hulburt bereits im Jahr 1952 entdeckt.
Von Schriftstellern geprägt
Der Begriff «blaue Stunde» wurde von Schriftstellern und Dichtern geprägt. Der deutsche Arzt, Dichter und Essayist Gottfried Benn (1886–1956) beschreibt in seinem bekannten Gedicht «Die blaue Stunde»:
So können wir uns also freuen – bald ist das «Spiezerli» wieder auf dem Thunersee unterwegs. Auf der Website www.spiezerli.ch können Sie sich über den Zeitplan informieren und zusätzliche spannende Informationen zum Dampfer nachlesen. Ausserdem besteht auch immer noch die Möglichkeit, sich durch eine Spende am Projekt zu beteiligen – jeder Franken kann gebraucht werden. Es steht der Thunerseeregion sicherlich gut zu Gesicht, dass ein solches Stück Schifffahrts- und auch Tourismusgeschichte gepflegt wird und nicht finanziellen Überlegungen geopfert wurde. Gute Fahrt!
«Du bist so weich, du gibst von etwas Kunde, von einem Glück aus Sinken und Gefahr in einer blauen, dunkelblauen Stunde und wenn sie ging, weiß keiner, ob sie war.»
Die blaue Stunde wird oft als Übergangszeit verstanden, in der vieles möglich ist. Im Roman «Tauben im Gras» von Wolfgang Koeppen (1906 –1996) empfindet der Protagonist die «heure bleue» in einer geistigen, politischen und sozialen Krisensituation um 1950 folgendermassen: «Philipp liebte die Stunde. In Paris war es die heure bleue, die Stunde des Träumens, eine Spanne relativer Freiheit, der Augenblick des Freiseins von Tag und Nacht.»
Auch Ingeborg Bachmann, eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, hat ein Gedicht mit dem Titel «Die blaue Stunde» verfasst. Beim deutschen Expressionisten Oskar Loerke ist es nicht nur eine Stunde, sondern ein «Blauer Abend in Berlin». Die Liste von Autoren und Dichtern, die sich von der blauen Stunde inspiriert fühlten, liesse sich beinahe unendlich weiterführen.
Das perfekte Fotosujet
Auch bildende Künstler schätzen diese Zeit zwischen Nacht und Tag aufgrund der Qualität des weichen Lichts. Der tiefblaue Abendhimmel in Kombination mit den oftmals auftretenden Orange- und Rottönen bildet zusammen mit der Landschaft, deren Silhouette vor dem Himmel scherenschnittartig aussieht, ein perfektes Motiv. Ein Grund dafür ist der Komplementärkontrast – im Farbkreis liegen sich Blau und Orange direkt gegenüber, sie wirken je nach Intensität der Farben und Lichtquellen entweder ausgewogen und harmonisch oder auch grell und disharmonisch. Dieser Komplementärkontrast ist nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in der Fotografie ein wichtiger Faktor für eine gelungene Bildgestaltung.
Der tiefblaue Himmel vor oder nach Sonnenuntergang bietet auch ein attraktives Fotosujet. Wer jedoch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein will, muss sich informieren: Der Effekt verändert sich je nach geografischer Breite und Jahreszeit, auch die Witterung muss gut sein. Online gibt es Blaue-Stunde-Rechner, die weltweit den genauen Zeitrahmen zwischen Sonnenuntergang und der nächtlichen Dunkelheit bestimmen und es so ermöglichen, dass man mit der Kamera zum richtigen Zeitpunkt bereitsteht.
Beruhigendes Blau
Nach Feng-Shui kann Blau beim Abschalten oder im Schlafzimmer beim Einschlafen unterstützen, daher auch die beruhigende Wirkung, die sich beim Beobachten der blauen Stunde einstellen kann. Blau soll auch die Kommunikation und das Denken fördern und ist die Farbe des Vertrauens und der Verlässlichkeit. In der Farbtherapie wird die Wirkung der Farbe Blau auf den Menschen genutzt und deshalb beispielsweise bei Sonnenbrand, Stress, Fieber oder Entzündungen angewandt.
Die Farbe Blau ist praktisch in allen Kulturkreisen positiv besetzt, im Christentum wird Maria oft mit blauen Kleidern dargestellt, im Judentum symbolisiert der Davidstern in Blau das Volk Israels. Die religiöse Deutung findet sich bereits im Mittelalter, als Blau die Farbe des Glaubens und der Unendlichkeit war. In der Romantik erweiterte sich das Bedeutungsspektrum, Blau wurde zur Farbe der Verbindung zwischen Natur und Mensch sowie der in der Romantik allgegenwärtigen Sehnsucht. Wer eine Ahnung dieser Sehnsucht spüren will, ist sicherlich gut beraten, sich einmal Zeit für das Beobachten der blauen Stunde am Thunersee zu nehmen und die Natur in der Dämmerung zu geniessen.