Malou Balmer: Trachten sind ihre grosse Liebe
Malou Balmer: Trachten sind ihre grosse Liebe
Malou Balmer ist eine der wenigen Trachtenschneiderinnen in der Schweiz. Seit 30 Jahren «produziert» sie wunderschöne, edle Trachten. Doch nach dem Unspunnenfest 2017 zieht sich die gebürtige Westschweizerin in ihr Privatleben zurück. Trotzdem sind und bleiben Trachten ihre grosse Liebe.
Text & Fotos: Hans R. Amrein
Ihr Atelier befindet sich in Interlaken-Ost im Komplex eines grossen Möbel- und Geschäftshauses. Malou Balmer steht in Jeans vor der Haustür, lächelt, streckt uns die Hand entgegen und meint: «Ich führe Sie am besten durch das Haus in mein Atelier, denn es ist nicht einfach zu finden.»
Kaum zu glauben: Die Frau eilt wie ein junges Reh über die Treppenstufen hinauf ins Obergeschoss. Sie bewegt sich flink, schon fast athletisch. 69 soll die in Montreux am Genfersee geborene Frau sein, die seit genau 30 Jahren Trachten «produziert»? Malou Balmer wirkt alles andere als volkstümlich, bürgerlich oder gar konservativ.
Keine Bauernstube im Biedermeier-Stil
Die sportliche Schneiderin führt uns in ihren Salon. Doch der riesige Wohnraum ist keine urchige Bauernstube, wo Biedermeier-Mobiliar aus dem 19. Jahrhundert die Szenerie beherrscht. Design-Möbel, helle Sofas und moderne Bilder erzeugen hier eine etwas puristische Stimmung, die an die Möbelausstellung eines grossen Wohnhauses erinnert. Und wo befindet sich das Trachten-Atelier?
Es ist ein schlichter Nebenraum. Weiss gestrichene Wände, grosse Fenster, Rollläden. Ausgestattet mit grossen Arbeitstischen, Nähmaschinen, Bügelbrett und einem Sofa. Hinter der Tür hängen sie an der Stange – die Meisterwerke der Malou Balmer. Trachten; einfache, edle, verspielte. Trachten in allen Variationen. Wir befinden uns also im Trachtenreich der Malou Balmer, einer Künstlerin, wenn es um die Kreation von Schweizer Trachten geht. Wie sie denn nach Interlaken gekommen sei. «Das war damals mein Mann, er stammt aus dem Oberland. Vorher arbeitete ich in Bern in der Modebranche.»
Malou Balmer wirkt alles andere als volkstümlich, bürgerlich oder gar konservativ.
Vom Schwyzerörgeli zur Trachten-Tradition
Wie kam Malou Balmer zu ihrer ersten Tracht?
«Es waren vor allem die Tänze, die mich faszinierten, ich bin ein Bewegungsmensch.»
Malou Balmer muss sich strikte an die Regeln halten…
Wir sitzen am grossen Nähtisch im Atelier und sprechen über die verschiedenen Trachten der Schweiz. Jeder Kanton hat ja seine Tracht. Die etwas naive Frage an Malou Balmer: Sind Sie eigentlich frei, wenn es um die Gestaltung der Trachten geht? «Oh, nein! Wo denken Sie hin, da ist alles vorgeschrieben. Die bernische Trachtenvereinigung hat Richtlinien bei den Trachtenbeschreibungen herausgegeben, wo alle Details rund ums Trachtennähen festgehalten sind.» Mit andern Worten: Tracht ist nicht gleich Tracht. Die Trachtenschneiderin muss sich strikte an die Regeln halten und die Tracht so nähen, dass sie den Vorgaben der Trachtenvereinigung entspricht. Immerhin hat sie «einen gewissen Freiraum», wenn es um die Farbe der Schürze geht. Aber Stoffe, Verarbeitung, Schmuck und Stil sind vorgeschrieben.
Malou Balmer sagt, es gebe allein im Kanton Bern etwa 70 verschiedene Trachten. Die einfachste Tracht sei die Landfrauentracht. Halbleinen-Schürze, kein Schmuck, nichts. «Im 19. Jahrhundert haben die Frauen in dieser Tracht auf Feld und Hof gearbeitet», so Malou Balmer. Und welches ist die schönste Tracht im Kanton Bern? «Ganz klar die Sonntagstrachten, besonders die Müngertracht.» Auffallend bei diesen Trachten ist der Silberschmuck, handgemacht.
Apropos Handarbeit: Alles an einer Tracht ist von Hand gemacht! Für die Sonntagstracht werden laut Malou Balmer «nur die besten Stoffe, reine Seide, Samt und Flor verwendet». Und was kostet so eine Tracht? «Eine komplette Sonntagstracht mit Silber, Haube, Schürze, Schuhen und Socken liegt bei 8000 bis 9000 Franken. Wie gesagt, alles handgemacht.» Und die Kosten für eine einfache Landfrauentracht? «Die liegen bei 1000 Franken.»
Frage an die Trachtenschneiderin: Kann sich denn eine einfache Bauernfrau überhaupt eine Sonntagstracht leisten? «Ja, manchmal staune ich selber. Man spart eben das Geld zusammen – oder man erbt die Tracht von der Grossmuttter, was oft geschieht.» Trachten haben, so Malou Balmer, eine Lebenszeit von «mindestens zwei Generationen» – sprich etwa 100 Jahre. Und was, wenn die Grossmutter früher mal 80 oder 90 Kilo schwer war – und die junge Erbin jetzt bloss 50 Kilo wiegt? «Kein Problem», betont Malou Balmer, «eine Tracht ist wie ein Handörgeli, das sich ein- und ausdehnt.» Von Frau zu Mann. Es gibt ja auch Trachten für Männer. Ein Thema für Malou Balmer? «Nein, ich mache nur Frauen- Trachten.» Und warum das? «Schauen Sie, die Herrentracht ist ja nichts anderes als ein schwarzer Anzug mit weissem Hemd und Knopf am Hals, dazu ein Gilet.» Ihr sei im Kanton Bern auch kein Trachtenschneider für Herren bekannt.
Das Unspunnenfest 2017: Höhepunkt einer Karriere
Sprechen wir kurz über das Unspunnenfest, das vom 26. August bis 3. September auf der Unspunnenwiese bei Interlaken durchgeführt wird. Für Malou Balmer ist das, wie sie sagt, «der Höhepunkt ihrer Karriere als Trachtenschneiderin, denn nach dem Fest, das heisst Ende Jahr, höre ich auf und übergebe das Atelier einer jungen Nachfolgerin.» Und vor dem Fest? «Da herrscht im Atelier Hochbetrieb, denn viele Frauen wünschen sich für diesen besonderen Anlass eine neue Tracht – oder sie lassen die Tracht abändern.» Malou Balmer erinnert sich ans Unspunnenfest 2006: «Es war wunderschön, ein einzigartiges Erlebnis, wenn ganz Interlaken von Trachtenleuten bevölkert wird.»
Ob sie denn eine «Patriotin» sei, wollen wir wissen. «Was heisst schon Patriotin? Ich liebe die Schweiz. Mein Herz schlägt nach wie vor im Waadtland. Das ist meine ursprüngliche Heimat.» Und wie geht die Frau, die wie ein junges Reh über die Treppen hüpft und mindestens zehn Jahre jünger wirkt, mit der Tatsache um, Ende Jahr ihr Trachten-Atelier zu verlassen? Malou Balmer denkt einige Sekunden nach… «Keine Ahnung… wahrscheinlich werde ich stricken und nähen.»
«Nach dem Fest höre ich auf und übergebe das Atelier einer jungen Nachfolgerin.»
Unspunnen 2017: Das grosse Fest der Heimat
Das Schweizer Trachten- und Alphirtenfest Unspunnen wird in diesem Jahr vom 26. August bis 3. September auf der Unspunnenwiese bei Interlaken durchgeführt. Zum ersten Mal finden das Schwingfest und das Trachten- und Alphirtenfest an zwei unterschiedlichen Wochenenden statt. Es werden in Interlaken Alphirten und Landfrauen, Steinstösser, Schützen und Hornusser, Alphornbläser und Fahnenschwinger, Volksmusikanten und Chorsänger, Trachtentänzer und Jodler, Tambouren und Pfeifer sowie verschiedene echte «Brauchtumsperlen» zu sehen und zu hören sein. Höhepunkt des Unspunnenfests wird der grosse Festumzug durch Interlaken und die grosse Festaufführung mit Schlusszeremonie auf der Unspunnenwiese sein (Sonntag, 3. September). Das Unspunnenfest ist einer der wichtigsten und traditionsreichsten Folkloreanlässe der Schweiz.
Zur Person
Malou Balmer wurde am 9. Juli 1948 (Sternezeichen Krebs) in Montreux geboren. In Lausanne absolvierte sie eine Lehre als Damenschneiderin, dann war sie von 1968 bis 1970 auf Reisen in Afrika. 1987 machte sie eine 2-jährige Lehre als Trachtenschneiderin in Schüpfen im Berner Seeland. Malou Balmer ist verheiratet und hat zwei Kinder, zwei Buben (Zwillinge), heute 38-jährig. Ihr Mann ist pensioniert, er arbeitete früher als Kaufmann.
Kontakt
Trachten-Atelier
Malou Balmer
Höheweg 49
CH-3800 Interlaken
Telefon 033 822 11 84 / 079 438 75 49
balmermalou@bluewin.ch