Rolf Knecht: «Dem Gast soll in Erinnerung bleiben, was er gegessen hat»
Rolf Knecht: «Dem Gast soll in Erinnerung bleiben, was er gegessen hat»
Rolf Knecht ist als Küchenchef sozusagen der Herr der Pfannen im Deltapark Vitalresort. Wir wollten von ihm wissen, welcher Weg ihn dahin geführt hat. Und noch einiges mehr, denn auf der Website des Vitalresorts wird nicht bloss das Restaurant Delta vorgestellt, sondern unter anderem auch das Restaurant Deltaverde Thai Cuisine. Was hat es damit auf sich?
Text: Thomas Bornhauser | Fotos: Romel Janeski, Phil Wenger, zvg
Beat Künzi, im Juli wird für Sie ein Kindheitstraum wahr. Sie spielen im Musical-Klassiker CATS mit, der vom 12. Juli bis 24. August auf der Thuner Seebühne aufgeführt wird. Warum ist CATS ein Kindheitstraum?
Ganz einfach: CATS war eines der allerersten Musicals, die ich als Jugendlicher gesehen habe. Ich kannte ja bereits die Musik – insbesondere der Hit «Memory», den die alte Katze Grizabella singt, begleitete mich viele Jahre. Nun selbst in diesem für mich so prägenden Musical auf der Bühne stehen zu dürfen, ist toll! Als Laie in einer professionellen Produktion mitwirken zu dürfen, macht mich sehr stolz. Die Bühne – und insbesondere die Thuner Seebühne – bringt eine riesige Faszination mit sich. Das Gefühl, vor einem so grossen Publikum im Rampenlicht zu stehen, ist einmalig. Und macht süchtig (lacht).
Welche Rolle spielen Sie in CATS?
Ich bin als Chormitglied Teil des Ensembles. Welchen Charakter meine Katze haben wird, wird sich bei den Proben herausstellen. Ich bin sicher, dass sich unsere Regisseurin und Choreografin Kim Duddy etwas Tolles ausgedacht hat.
Wo haben Sie damals mit Ihren Eltern gewohnt? Ich bin im Februar 1978 in Davos zur Welt gekommen, kurz danach sind wir nach Buenos Aires, weil mein Vater dort im Catering-Bereich der Swissair beschäftigt war. 1985 kamen wir zurück in die Schweiz. Mein Vater war ein bekannter Koch, wurde sofort zum Präsidenten des Kochverbands gewählt. Wir wohnten damals in Kernenried, Vater fand eine Anstellung in der Küche des Inselspitals Bern, meine Mutter amtete als Bibliothekarin in Kirchberg.
Wo haben Sie Ihre Schulzeit verbracht? Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben? Vor allem: Was wollten Sie als Bub einmal werden? Astronaut, Arzt – oder schon immer Koch?
Zur Primarschule ging ich in Kernenried, in Kirchberg anschliessend in die Sekundarschule. Und wegen Ihrer Frage: Nein, nichts von alledem, mich faszinierte das Gastgewerbe bereits als Bub. Mir war klar: Lehre als Koch, Hotelfachschule, zum Schluss Hoteldirektor (lacht).
Wie ging es nach der obligatorischen Schulzeit weiter?
Für die Kochlehre ging ich ins «Suvretta House» nach St. Moritz. Dort hantierte man seinerzeit in der ältesten Grossküche der Schweiz. Es gab einen Ölherd, den man bloss ein- oder ausschalten konnte, keine Feineinstellung möglich. Klassisch auch die Kochgeräte: aus Gusseisen, Kupfer, Silber. Ich habe im Engadin viel gelernt, weil wir alles selbst gemacht haben. Metzgen, Backen, Kräutersuchen, Einmachen. Letzteres ist ja wieder aktuell als Fermentieren.
Und von St. Moritz aus?
Da ging es in das «Dolder» nach Zürich und anschliessend zum Hotel Mont Cervin Zermatt. Dort wurde mir klar gesagt, dass ich Englisch lernen müsse, um in der Branche weiterzukommen; was ich auch getan habe, aber nicht in England, sondern in Kanada, unter anderem in Edmonton und Lake Louise bei der Fairmont-Hotelkette. Was ich dort an Weiterbildungen erlebt habe: fantastisch! In Kanada habe ich mich nicht bloss endgültig mit dem Berufsvirus infiziert, sondern auch meine Frau kennengelernt. Eine klassische Hotelbeziehung: Sie, Kanadierin, im Service, ich, Schweizer, in der Küche.
In Asien waren Sie auch, wenn man Ihren Lebenslauf liest.
Genau, Asien gehört für einen Koch dazu. 15 Jahre habe ich im Fernen Osten verbracht, unter anderem in Schanghai und im japanischen Fukuoka. Die Betriebe dort sprengen teilweise die Grenzen, wie wir sie in Europa kennen. Hotels mit 30 Restaurants, mit 800 Köchen und so weiter und so fort. Irgendwann hatte ich von der schieren Grösse genug, kam zurück in die Schweiz, wollte gemäss dem Bonmot «small is beautiful» wirken. Das habe ich in der Ecole d’Humanité auf dem Hasliberg gefunden.
Zwischenfrage: Sie lassen in unserem Gespräch diverse Stationen Ihrer Berufslaufbahn aus, reden Ihr Wirken eher klein. Weshalb das?
Ich finde, das passt besser zu einem Schweizer (schmunzelt). Wissen Sie, ich hatte meine Zeit mit Ruhm und Ehre im Fernen Osten, bei TV-Shows und anderen Auftritten. Das war eine spannende Erfahrung, gehört aber der Vergangenheit an. Ich musste danach meinen Kopf gründlich leeren, durchlüften.
Zurück auf den Hasliberg. Hat es Ihnen dort gefallen?
Die Ecole d’Humanité ist eines der renommiertesten Internate der Schweiz und das einzige Internat in Europa, das eine wirklich fortschrittliche Ausbildung in Englisch und Deutsch anbietet. Ja, mir hat es gefallen, zumal wir in Meiringen wohnten, wie auch heute noch. Unsere Kinder sind inzwischen sechs, neun und zwölf Jahre alt, richtige Oberländer (lacht). Ich fahre mit dem Zug nach Thun, pendle. Das ist praktisch, denn unterwegs kann ich an den Menüs arbeiten, sodass ich bereits voll im Schuss bin, wenn ich im «Deltapark» ankomme. Andererseits ist der Beruf weit weg, wenn ich in Meiringen bei der Familie bin.
Damit wir uns ein Bild Ihres Arbeits- platzes machen können. Wie setzt sich Ihr Team zusammen, wie viele Leute, mit welcher Ausbildung?
Plus/minus sind wir 25 Leute in der Küche des «Deltaparks» und drei sogenannte Spüler. Wegen der Ausbildung: Praxis, Interesse und Lernwille sind mir wichtiger als Diplome. Wenn mich also jemand auf den Fachkräftemangel anspricht, sage ich immer, dass es genügend Leute gibt, die vorwärtskommen wollen, auch wenn sie vielleicht nicht die dafür notwendigen Papiere haben. Einsatz zählt, Lernbegierde, nicht in erster Linie Ausweise, darauf legt die Wirtschaft meiner Meinung nach zu grossen Wert, grenzt Leute aus, verunmöglicht eine mögliche Chance. Schade.
Da stimme ich Ihnen zu, ohne Widerrede, weil man mir seinerzeit diese Chance gab, ohne Diplome. Sagen Sie, was – ausser der grossartigen Lage – unterscheidet das Restaurant Delta oder das Deltapark Vitalresort von anderen hochstehenden Etablissements?
Etwas, was ich selbst erlebe – und wovon die Gäste mit Sicherheit auch profitieren: Die Besitzer lassen mir totalen Freiraum, das ist grossartig, in dieser Form habe ich das noch nie erlebt. Kein Korsett, gar nichts. Um nur ein Beispiel zu nennen: Bei den Einkäufen kann ich frei schalten und walten. Das mache ich auch (lacht). Schweine- und Rinderfleisch kommen aus Seftigen, Poulets aus Einigen, Salat und Gemüse aus Reutigen. Das ist aber noch nicht alles. Die Hauenstein-Gruppe ermöglicht mir dank ihrer Verwurzlung und Vernetzung in der Region auch Kontakte, die ich sonst nie hätte. Und glauben Sie mir, ich weiss, wovon ich spreche.
Nun haben wir zu Beginn geschrieben, dass auf der Website das «Deltaverde Thai Cuisine» vorgestellt wird. Was müssen wir uns darunter verstehen?
Wir haben im «Deltapark» ein eigenes thailändisches Spezialitätenrestaurant. Das gesamte «Deltaverde»-Küchenteam stammt aus Thailand und bringt jahrelange Erfahrung in der gehobenen thailändischen Küche mit; die wissen, wie man Gerichte aus ihrer Heimat zubereitet, da halte ich mich raus. Und sie haben Erfolg, das gönne ich uns allen. Ich selbst profitiere von ihnen, zum Beispiel bei mehrtägigen Seminaren.
Inwiefern?
Im Menüplan für die Seminarteilnehmenden kann ich zur Abwechslung mit einem Thai-Büffet aufwarten, eine typische Win-win-Situation.
Kommen wir zum Kern unseres Gesprächs. Was ist Ihnen beim Kochen wichtig? Und erwähnen Sie bitte nicht die regionalen, saisonalen und frischen Produkte. Das setzen wir voraus…
Das dürfen Sie auch. Und, ehrlich gesagt, ich mag es auch nicht mehr hören. Ist doch selbstverständlich, für mich jedenfalls.
So wie alle Firmen sagen, für sie stünde der Kunde im Mittelpunkt…
Exakt. Das hoffen wir doch auch für deren Kunden (zieht eine Augenbraue hoch). Zurück zur eigentlichen Frage: Es gibt immer mehr Leute auf der Welt. Würde man nur noch auf bio und vegetarisch und vegan setzen – die Hälfe der Menschheit würde verhungern. Mit ist es wichtig, dass wir Food-Waste vermeiden.
Indem die Teller nicht übervoll auf den Tisch kommen?
Auch, ja, es zählt aber noch etwas anderes. Wenn zum Beispiel ein Gast ein Entrecôte bestellt, so will er vor allem das Fleisch, nicht Pommes frites, Gemüse, Kräuter und Saucen als Beilagen im Überfluss. Im Zentrum steht das Entrecôte, vielleicht von einem Kürbispüree und einer einzigen Stärkebeilage begleitet. Der Gast soll sich erinnern können, was er – gern! – gegessen hat, nicht zuerst lange überlegen müssen. Genau gleich ist es beim Wild, bei den Desserts. Wir wollen authentisch sein, nicht originell mit Fantasiegerichten.
Wo lernt man Ihr Handwerk? «On the job»? Bei Fortbildungskursen?
Sowohl als auch. Mein Vater Georges war ein bekannter Koch, bei ihm habe ich vieles abgeschaut, wie auch bei anderen bekannten Köchen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Und klar gibt es Fortbildungskurse, denn Kochen ist nicht gleich Kochen. Die Zubereitung von Fleisch oder Gemüse ist eine andere als bei der Patisserie. Bekannte Köche, die auch Patisserie formidabel zubereiten können, sind eher selten, das sind zwei verschiedene Gilden.
Ich habe ihn bereits erwähnt: Mein Vater hat mir vieles beigebracht. Und wenn Sie schon danach fragen: Stucki im «Bruderholz» – wo Tanja Grandits heute kocht – war mir ein Vorbild; ein Pionier, der als einer der Ersten zurück zu den Wurzeln des Kochens fand. Viele sogenannte Starköche lassen sich heute in der Öffentlichkeit – mithilfe der Hochglanzmedien – wie Rockstars abfeiern: möglichst wilde Frisuren, viele Tätowierungen, wechselnde Beziehungen, bis ihnen die Sache über den Kopf wächst. Nicht mein Ding.
Stichwort Starköche. Da gibt es unschöne Beispiel, stressbedingt? Sterne first? Wie stehen Sie dazu?
Ich gehöre nicht dazu (lacht schallend)! Aber ja, wer um Sterne kämpfen muss – weil das Lokal es so verlangt, die Gäste, die Besitzer –, der ist einem ungeheuren Stress ausgesetzt. Zudem: Mit Spitzen- gastronomie allein kann man kein Schloss kaufen.
Man verdient also dazu, subventioniert quer?
Ja, durchaus, zum Beispiel mit Kochsendungen.
Was halten Sie von den TV-Köchen?
Da gibt es riesige Unterschiede je nach TV-Sender. Ich schaue das ab und zu. Fasziniert hat mich zum Beispiel Gordon Ramsay. Die Gordon Ramsay Group betreibt 35 Restaurants weltweit, davon 15 in London. Einzelne dieser Restaurants sind vom «Guide Michelin» mit Sternen ausgezeichnet. Wie auch Starkoch Jamie Oliver hat Gordon Ramsey beachtliche Einnahmen aus TV-Shows und Kochbüchern generiert, weil ein Restaurant mit 45 Plätzen und ebenso vielen Angestellten das ganze Jahr voll belegt sein muss, um es fern aller roten Zahlen zu halten, und selbst das ist nicht sicher.
Betrachten wir die Hitparade Ihrer Speisekarte, Was sind die Top Three? Was wird weniger verlangt? Haben Sie eine Erklärung dafür?
Schwierige Frage.
Weshalb denn das? 1, 2, 3.
Unsere Karte ist derart abwechslungsreich, saisonal bedingt, dass ich Ihnen keine Hitparade präsentieren kann. Worüber ich staune: Es wird sehr viel Hecht bestellt, aber auch Suure Mocke, Kastanienteigwaren, von einem Italiener in der Küche zubereitet. Was man vielleicht sagen kann: Die Gäste bestellen vielfach das, was sie selbst zu Hause nicht kochen, weil zu aufwendig.
Wie gehen Sie bei den Vorbereitungen vor, um Stress während der eigentlichen Koch- phase zu vermeiden?
Gute Vorbereitungen sind die Hälfte des Erfolgs. Wenn ein Koch den Kopf verliert und nur noch rumschreit, dann nützt das niemandem. Wie gesagt, im Zug habe ich Zeit, mir den Tag durch den Kopf gehen zu lassen.
Wie sieht ein beruflicher Wochenrhythmus bei Ihnen aus? Ja wohl kaum «nine to five»…
Wochenrhythmus? Kein Tag ist wie der andere. Fallen Leute kurzfristig wegen Krankheit aus, so heisst das in der Regel einen längeren Arbeitstag für mich. Sind wir komplett, kann ich an einem Freitagnachmittag vermutlich früher abdüsen.
Man spricht von einer zurückhaltenden Konsumentenstimmung angesichts steigender Preise. Wie sieht das auf Ihrer Speisekarte aus? Sagen wir im Vergleich zu 2021.
Abgesehen davon, dass kein Hauptgericht bei uns mehr als 50 Franken kostet – viele sind davon weit entfernt: Wer zu uns kommt, will ein perfektes Preis-Leistungs-Verhältnis, das bieten wir den Gästen. Was nützt ein Menü für 20 Franken, wenn es lieblos gekocht und serviert wird? (Genau in diesem Moment kommt der Anruf, dass eine angemeldete Gruppe eine halbe Stunde früher eintreffen wird, sodass Rolf Knecht und seine Crew gefordert sind, als wäre das die einfachste Sache der Welt…)
Rolf Knecht, wir wollen Sie nicht länger aufhalten. Letzte Frage: In zehn Jahren, wo sehen Sie sich? Ein eigenes Restaurant?
Definitiv… nein. Mir gefällt es in der Küche eines Hotels. Ob hier oder anderswo – kommen Sie in zehn Jahren wieder vorbei.