Judith Josi: Ein Berg, ein Fuchs und eine Berufung
Judith Josi: Ein Berg, ein Fuchs und eine Berufung
Von England aus in die Welt: Sie wollte aus ihrer gewohnten Umgebung ausbrechen und die Welt erkunden – und doch blieb Judith Josi im Berner Oberland stecken. Die Autorin des «Niesenfuchs» erzählt von einem Berg, einem Fuchs und ihrem Leben in der Schweiz.
Text: Laura Spielmann | Fotos: Laura Spielmann, zvg
Beat Künzi, im Juli wird für Sie ein Kindheitstraum wahr. Sie spielen im Musical-Klassiker CATS mit, der vom 12. Juli bis 24. August auf der Thuner Seebühne aufgeführt wird. Warum ist CATS ein Kindheitstraum?
Ganz einfach: CATS war eines der allerersten Musicals, die ich als Jugendlicher gesehen habe. Ich kannte ja bereits die Musik – insbesondere der Hit «Memory», den die alte Katze Grizabella singt, begleitete mich viele Jahre. Nun selbst in diesem für mich so prägenden Musical auf der Bühne stehen zu dürfen, ist toll! Als Laie in einer professionellen Produktion mitwirken zu dürfen, macht mich sehr stolz. Die Bühne – und insbesondere die Thuner Seebühne – bringt eine riesige Faszination mit sich. Das Gefühl, vor einem so grossen Publikum im Rampenlicht zu stehen, ist einmalig. Und macht süchtig (lacht).
Welche Rolle spielen Sie in CATS?
Ich bin als Chormitglied Teil des Ensembles. Welchen Charakter meine Katze haben wird, wird sich bei den Proben herausstellen. Ich bin sicher, dass sich unsere Regisseurin und Choreografin Kim Duddy etwas Tolles ausgedacht hat.
Ein grosszügiger Garten, umgeben von der Berner Oberländer Natur – beim Betreten von ebendiesem wird schnell klar, wieso sich Judith Josi hier niedergelassen hat. Denn auch ihre Kindheit war von Bergen und Seen geprägt. Die gebürtige Engländerin stammt aus den Midlands, dem zentralen Gebiet des Landes. Ihre Eltern, beide Lehrpersonen, mussten während des Krieges vom Norden Englands her südwärts ziehen. Die Ferien, die sie im Norden Englands verbrachte, erinnern sie an die Schweiz, denn die Landschaften ähneln sich sehr und das «hat mich ein bisschen geprägt», so erzählt sie. Mit 23 Jahren packte sie dann das Gefühl, dass England nicht das Alleinige in der Welt ist, und somit der Drang, die Welt zu entdecken; so sammelte sie ihre Siebensachen und kam mit nur einem Koffer in die Schweiz, einem Aufruf einer Freundin folgend. Diese hatte eine Wohnung in Genf und sagte zu ihr, dass sie mal schauen soll, wie das hier so ist, sie können Leute wie sie brauchen, «also bin ich einfach ausgebrochen». In der «kleinsten Metropole der Welt» hat sie dann als Sekretärin bei der UNO angefangen, in einer kleinen Abteilung der damals noch relativ jungen Organisation. Da, wo sie gearbeitet hat, ist heute übrigens die WTO, die World Trade Organization, beheimatet.
Berufung gefunden
Der Liebe wegen nach Bern ziehend, machte sie an der dortigen Universität einen Kurs, damit sie Englisch unterrichten konnte. Das Lehrerinsein war für sie eine Berufung. Das Arbeiten mit Menschen muss einem gegeben sein, es muss etwas sein, das man in sich hat. Aus dem Gespräch mit Judith Josi konnte sehr gut herausgelesen werden, dass dies bei ihr so war und dass sie es mit absoluter Freude tat. Unterrichtet hat sie aber nicht an einer Schule, sondern in der Schweizer Armee. Viertägige Englisch-Intensiv- kurse hat sie durchgeführt, meistens im Team-Teaching mit anderen Lehrpersonen zusammen. Durch eine Reihe von Unterrichtsaufträgen und auch durch Hörensagen kam es dann dazu, dass sie der ETAS, der English Teachers Association Switzerland, beitrat und später als ihre Präsidentin waltete. Die 1983 gegründete Vereinigung offeriert für Englischlehrpersonen in der ganzen Schweiz Workshops, stellt Schulungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten bereit, hilft den Lehrerinnen und Lehrern aus dem Ausland, sich in der Schweizer Schullandschaft zurechtzufinden, und hat sich zum Ziel gesetzt, gute Arbeitsbedingungen zu ermöglichen und bei spezifischen Angelegenheiten und Bedürfnissen zu unterstützen. Ganz nach deren Motto «connect, grow, thrive». Die Mitgliedschaft und die vielen Workshops waren sehr vorteilhaft, ausgesprochen hilfreich und äusserst wichtig im Leben von Judith Josi, so hat sie sehr viel Zeit in die ETAS investiert. Unterteilt wird die Vereinigung in Regionen, und die inzwischen pensionierte Lehrerin war anfangs zuständig für die Berner Gruppe. Als Präsidentin deckte sie dann die ganze Schweiz ab. Sie hatte sehr viel Freude daran, sich mit andern Lehrpersonen aus dem In- und Ausland über Lehrmethoden auszutauschen und zu sehen, wie man den Englischunterricht unterstützen und die Sprache menschlich vermitteln kann. Sie haben unter anderem für Anerkennung gekämpft: «Es ist wichtig, dass ausländische Qualifikationen auch in der Schweiz akzeptiert werden und natürlich ebenfalls Schweizer Qualifikationen in anderen Ländern. Man soll nicht in einem anderen Land alles komplett neu aufbauen müssen. Es ist oft nicht so leicht, sich an einem neuen Ort einzugliedern, auch wenn man es versucht. Das sind die Schwierigkeiten, die man als Lehrperson hat. Dafür haben wir gekämpft.» Die Vermittlung der englischen Sprache, einer Weltsprache, findet sie sehr wichtig, besonders wenn man in anderen Ländern Wurzeln schlagen will.
«Ich geniesse diesen Lebensabschnitt – ‹pottering about the garden, enjoying the fullness of nature and the fruits of a busy life›.»
Der Fuchs mit der grossen Aufgabe
Jahre später schrieb sie den «Niesenfuchs». Diese Kindergeschichte basiert auf einem echten Fuchs, der während vieler Jahre auf dem Niesen wohnte und beim dortigen Bergrestaurant regelmässig erschien und immer Futter bekam. In der Geschichte selbst hat der Fuchs eine wichtige Aufgabe: Er lässt jeden Abend auf der Spitze des Berges ein Licht leuchten, das in der Dunkelheit den Weg weisen soll. Nie hätte Judith Josi gedacht, dass sie irgendwann ein Buch schreiben würde, entstand doch dieses Frauenprojekt aus einer eher spontanen Idee heraus. Fünf Ehefrauen von Männern des Gremiums der Niesenbahn besuchten das gerade neu eröffnete «Niesedörfli», den Kinderspielplatz, und dadurch war alles noch etwas holzig und nicht sehr lebendig, der Spielplatz hatte also noch keine Seele. Judith Josi erinnert sich, dass die Herausgeberin Evelyn Bühler dann zu ihr sagte: «Jetzt mach das, schreib doch etwas, wenn du meinst, dass das gut kommt.» Eine wichtige Rolle spielte auch Karin Widmer, die Illustratorin, die sofort ein Gespür für die Geschichte hatte. Ein Gespür hatte auch der Übersetzer – das Buch wurde zuerst auf Englisch geschrieben –, den mussten sie allerdings ausserhalb der Schweiz suchen, weil es innerhalb nicht gelang, jemanden Passendes zu finden. Schliesslich wurden sie in Australien fündig. So kam nach und nach der «Niesenfuchs» zustande. Ein Projekt von Powerfrauen also: «Die Frauen, mit denen ich erste Ideen auf dem Niesen hatte, haben uns bis zum Schluss unterstützt.» Wichtig hervorzuheben ist auch, dass Autorin und Herausgeberin auf ein Honorar verzichtet haben und den Erlös des Buches an die Berner Stiftung für krebskranke Kinder und Jugendliche spendeten. Die 1988 gegründete Stiftung fördert die Behandlung und die Betreuung der Kinder und Jugendlichen sowie die Erforschung von Krebserkrankungen in dieser Altersgruppe im Inselspital Bern. Sage und schreibe 18 000 Franken kamen so zusammen, das Geld wurde dem zuständigen Arzt im Juni 2012 überreicht. Natürlich war der Weg bis zum fertigen Buch nicht nur einfach. Nebst dem ebenerwähnten Übersetzungsproblem gab es auch in finanzieller Hinsicht Schwierigkeiten, sodass die Frauen teilweise eigene Geldmittel beisteuerten, aber nette Spender liessen sich mit der Zeit durch viel Geduld und einigem Beharren finden. Ein anderes Problem involviert den ersten Verlag, in dem das Buch erschienen ist. Dieser ging nämlich nach Herausgabe des Buches bankrott, und Judith Josi und die anderen Involvierten mussten die Bücher überall zusammensuchen, schliesslich haben sie in einem Kellerraum einige wenige gefunden. Glücklicherweise liess sich dann der Weber Verlag finden, der das Buch sodann neu herausgab. Jahre später hat sie auf Vorschlag der Verlegerin Annette Weber den zweiten Teil angefangen zu schreiben: die Geschichte der Niesenfüchslein Fay und Finn, der Grosskinder von Mr. Whiskers. Mr. Whiskers, wie der Fuchs im Original heisst, lebt also weiter. Mittlerweile gibt es auf dem Niesen in der Boutique eine ganze Ecke mit «Niesenfuchs»-Produkten, eine Statue und eine Geschichtenfahrt, auf der der Nachfolgeband erzählt wird. Eine magische und zauberhafte Geschichte hat also ihren Abschluss gefunden. Judith Josis persönlicher Bezug zum Niesen ist somit sehr gross und sie fühlt sich mit dem Berg sehr stark verbunden. Nicht nur aufgrund des Fuchses, sie und ihre Familie verbrachten die Ferien jahrelang in Wimmis. Ihr Mann war an der Niesenbahn stark beteiligt und war Teil des Gremiums. Das macht den Berg allgegenwärtig und prägt natürlich stark.
Ausklang
Auf meine Frage, was nun noch so ansteht, antwortet sie, dass es verschiedene «stages» im Leben gebe und sie die alle durchgespielt habe. Sie ist ihren Weg gegangen, dank der Unterstützung ihres Mannes und dem Verständnis der drei gemeinsamen, inzwischen erwachsenen Kindern. Sie lässt nun alles auf sich zukommen: «Ich geniesse diesen Lebensabschnitt – ‹pottering about the garden, enjoying the fullness of nature and the fruits of a busy life› (im Garten herumhantieren, die Fülle der Natur und die Früchte eines bewegten Lebens geniessen).»
Buchtipp
Die Geschichte vom Niesenfuchs
Erzählt von Judith Josi
Illustriert von Karin Widmer
Mit 39 Abbildungen
ISBN 978-3-03818-139-2 | CHF 35.– / EUR 35.–
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