Alfred Schwarz: Der Steinbock ist zurück am Stockhorn

Alfred Schwarz: Der Steinbock ist zurück am Stockhorn

Alfred Schwarz: Der Steinbock ist zurück am Stockhorn

Erstmals seit 250 Jahren sind am Stockhorn wieder Steinböcke anzutreffen. Dies ist zu einem grossen Teil dem ehemaligen Geschäftsführer der Stockhornbahn Alfred Schwarz zu verdanken, der die Ansiedlung der eindrucksvollen Tiere initiiert und be­gleitet hat. 

Text: Davit Heinen / Fotos: zvg

Es ist wohl kein Zufall, dass Alfred Schwarz den Steinbock als Tierkreiszeichen hat. Dieses Tier hat ihn schon immer fasziniert, und jede bisherige Begegnung beschreibt er als ein erhabenes Erlebnis. Doch am Stockhorn waren solche Begegnungen bis vor Kurzem nicht möglich. Früher siedelte der Steinbock bereits dort, doch wie in der gesamten Schweiz wurde er vor rund 250 Jahren vom Menschen ausgerottet. Dies aus einem aus heutiger Sicht eher befremdenden Grund: Man nahm damals an, dass gewisse Teile des Tieres medizinische Wirkungen entfalten können. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden im Kanton Graubünden erstmals wieder Steinböcke angesiedelt. So gab es dann Schritt für Schritt weitere Versuche in der Schweiz, und langsam konnte sich der Bestand erholen. Doch am Stockhorn fehlte das Tier nach wie vor, und Alfred Schwarz machte es sich zu seiner Aufgabe, dies zu ändern. Als Geschäftsführer der Stockhornbahn hatte er intensiven Kontakt mit dem dama­ligen Wildhüter Peter Schwendimann. Im Zeitraum um 2014/15 diskutierten sie ausführlich darüber, ob es nicht möglich wäre, den Steinbock zurückzubringen. Die Initiative ging von Herrn Schwarz aus, wobei er sich nicht sicher war, wie Herr Schwendimann zu dieser Frage steht. Doch dieser war sofort interessiert. Peter Schwendimann eruierte, ob das Gebiet passt, und bald darauf tauschte er sich mit seinem Chef aus, dem Jagdinspektor des Kantons Bern. Auch dieser signalisierte, dass er sich das durchaus vorstellen könne. Somit kam das Vorhaben ins Rollen.

Ein weit gereister Macher

Alfred Schwarz ist in Uetendorf aufgewachsen, wo seine Eltern einen Bauernhof führten. Er studierte Maschinenbau und Unternehmensführung, und nach dem Studium zog es ihn in die Fremde. Unter anderem in Deutschland und den USA widmete er sich grossen Projekten, die von Schweizer Firmen lanciert worden waren. Zurück in der Schweiz arbeitete er in verschiedenen Branchen, führte oder sanierte Firmen und baute neue Unternehmen auf, bis er schliesslich bei der Stockhornbahn landete. Von 2009 bis zu seiner Pensionierung 2018 war er dort als Geschäftsführer tätig. Zu dieser Zeit baute er zusammen mit Dora Andres den Verein Freunde des Stockhorns auf, der verschiedenste Projekte rund um den Berg lanciert und betreut – beispielsweise attraktive Spielplätze, einen rollstuhl­gängigen Seerundwanderweg am Hinter­stockensee oder die Finanzierung der Ein­- richtungen im und ums Seehüttli. Inzwischen hat der Verein gegen 100 Mitglieder, die mit grosszügigen Beiträgen solche Projekte unterstützen. Entsprechend passt auch die Ansiedlung der Steinböcke in den Palmarès des Vereins, der sich finanziell daran beteiligt.

Nachdem von den Behörden signalisiert worden war, dass man grundsätzlich Interesse am Vorhaben habe, fing die Ausarbeitung so richtig an. Von Anfang an war klar, dass das Projekt nicht vordergründig ein touristisches sein soll, sondern vielmehr die Biodiversität der Region erweitern soll. Es liefen viele Abklärungen von unterschiedlichen Fachstellen an. Aus verschiedenen Interessenvertreterinnen und -vertretern – vom Kanton, von der Jagd, von den Alpen, von den Gemeinden, vom Verein Freunde des Stockhorns – wurde eine Arbeitsgruppe von insgesamt zehn Personen gebildet. Diese Arbeitsgruppe wurde zur treibenden Kraft. Doch natürlich gab es auch Bedenken: Beispielsweise befürchteten einige der Bauern, dass sich der Steinbock am Futter der Kühe bedienen würde. Die Vertreter und Vertreterinnen der Arbeitsgruppe pilgerten von Versammlung zu Versammlung und leisteten Überzeugungsarbeit, und so konnten die Bedenken grösstenteils beiseitegeräumt werden. Dabei war auch förderlich, dass das Projekt erstmals nur einen Versuch darstellt, der auf 15 Jahre festgelegt ist. In Zwischenschritten von fünf Jahren wird immer aufs Neue entschieden, ob man weiterverfahren möchte. Erst wenn sich die Situation nach 15 Jahren positiv darstellt – was zu erwarten ist –, ist die Ansiedlung als definitiv anzusehen. Es besteht also immer die Möglichkeit, das Vorhaben abzubrechen. Nach vielen Vor­bereitungen, Abklärungen, Gutachten und Behördengängen wurde im Februar 2022 das Projekt dann schliesslich vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) offiziell genehmigt.

«Im Zeitraum um 2014/15 diskutierten sie aus- führlich darüber, ob es nicht möglich wäre, den Steinbock zurück- zubringen.»

Einwanderung mit dem Helikopter

Eine wichtige Frage war natürlich auch, woher man die Tiere beziehen soll. Vor­gängig wurde eruiert, welche DNA-Stämme für das Stockhorn infrage kommen. Schliesslich entschied man sich für drei Gebiete, deren Kolonien sich für die Ansiedlung eignen: das Wallis, das Schwarzmönchsgebiet und den Brienzergrat. Ende April fing man in einem Probelauf die ersten Tiere ein. Unter dem Beisein von zwei Tierärztinnen wurden sie narkotisiert, es wurden Proben genommen und eingeschickt, danach hat man die Tiere im Halbwachzustand in einen Helikopter verladen und auf eine Alp am Stockhorn gebracht. Dort war eine Hütte vorbereitet worden, worin man die Tiere unterbringen konnte. Sobald klar war, dass die Tiere keine Krankheiten haben, wurden sie umgehend wieder freigelassen. Auf diese Weise hat man in der letzten Aprilwoche bereits sechs Tiere umplatziert. Am 2. Mai folgte dann der offizielle Eröffnungsakt, bei dem unter Beisein von Regierungsrat Christoph Ammann, Presse, Radio und Fernsehen bei einer besser zugänglichen Alphütte nochmals zwei weitere Tiere freigelassen wurden.  Inzwischen kann man durchaus schon von einem Erfolg sprechen. So sind bereits zehn Steinböcke angesiedelt, von denen wahrscheinlich ein paar schon Junge haben – zumindest von einem Tier weiss man das mit Sicherheit, da das Junge in einer Fotofalle abgelichtet wurde. Für das nächste Jahr ist geplant, wiederum acht bis zwölf Tiere anzusiedeln, genauso für das darauffolgende Jahr. Total sind dann also circa 30 Steinböcke ausgesetzt, und mit den Jungen kommt man damit hoffentlich auf 40 bis 45 Tiere. Diese Population soll von diesem Zeitpunkt an auf natürliche Weise weiterwachsen. Es wird damit gerechnet, dass sich in 30 Jahren etwa 100 Tiere rund ums Stockhorn befinden – das wäre die ideale Anzahl. Ab etwa 120 Tieren müsste dagegen regulierend eingegriffen werden.

Auch wenn das Projekt nicht aus touris­tischen Gesichtspunkten heraus geplant wurde, könnte der Tourismus durchaus davon profitieren. Schliesslich ist ein Berg attraktiv, auf dem Steinböcke gesehen werden können. Doch gibt es keine Garantie, eines der Tiere anzutreffen. Wenn es jedoch passiert, kann man sich auf eine majestätische Begegnung freuen. Dabei wäre es durchaus möglich, dass plötzlich ein Steinbock auf dem Wanderweg steht und sich auch nicht entfernt, wenn man sich ihm nähert. Dies liegt daran, dass dieses Tier keine Angst vor Menschen hat, da es keine natürlichen Fressfeinde hat.

Gämsen, Murmeltiere, Schneehühner, Adler; am Stockhorn ist eine grosse Vielfalt an Tieren anzutreffen – und nun ist auch noch der Steinbock dazugestossen. Nicht nur für Alfred Schwarz ist es eine grosse Befriedigung, dieses schöne Tier nach so vielen Jahren wieder am Stockhorn begrüssen zu dürfen.

Hinterlassen Sie einen Kommentar

* Erforderlich