Jürg Iseli: Zwischen Melkschemel und Präsidiumsstuhl
Jürg Iseli: Zwischen Melkschemel und Präsidiumsstuhl
Zusammen mit seiner Familie betreibt Jürg Iseli einen 38 Hektar grossen Dreistufenbetrieb im westlichen Berner Oberland. Seit März 2023 präsidiert der 59-jährige Zwiesel- berger zudem den Berner Bauernverband – und jongliert seither gekonnt Vorstands- und Stallarbeiten.
Text: Esther Loosli | Fotos: Andrea Abegglen, zvg
Beat Künzi, im Juli wird für Sie ein Kindheitstraum wahr. Sie spielen im Musical-Klassiker CATS mit, der vom 12. Juli bis 24. August auf der Thuner Seebühne aufgeführt wird. Warum ist CATS ein Kindheitstraum?
Ganz einfach: CATS war eines der allerersten Musicals, die ich als Jugendlicher gesehen habe. Ich kannte ja bereits die Musik – insbesondere der Hit «Memory», den die alte Katze Grizabella singt, begleitete mich viele Jahre. Nun selbst in diesem für mich so prägenden Musical auf der Bühne stehen zu dürfen, ist toll! Als Laie in einer professionellen Produktion mitwirken zu dürfen, macht mich sehr stolz. Die Bühne – und insbesondere die Thuner Seebühne – bringt eine riesige Faszination mit sich. Das Gefühl, vor einem so grossen Publikum im Rampenlicht zu stehen, ist einmalig. Und macht süchtig (lacht).
Welche Rolle spielen Sie in CATS?
Ich bin als Chormitglied Teil des Ensembles. Welchen Charakter meine Katze haben wird, wird sich bei den Proben herausstellen. Ich bin sicher, dass sich unsere Regisseurin und Choreografin Kim Duddy etwas Tolles ausgedacht hat.
Seit Jürg Iseli als Zweijähriger mit seiner Familie von Erlenbach im Simmental nach Zwieselberg zog, nennt er die kleine Gemeinde südwestlich von Thun sein Zuhause. Zusammen mit einem eineiigen Zwillingsbruder und zwei weiteren Brüdern wuchs er in einem stattlichen Bauernhaus im Weiler Glütsch auf. Hier, auf rund 610 Metern über Meer, führten seine Eltern einen landwirtschaftlichen Betrieb, auf dem auch zwei Lehrlinge und eine hauswirtschaftliche Lernende beschäftigt waren. «Bei uns war immer etwas los, und ich entwickelte schon als Kind einen engen Bezug zur Landwirtschaft.» Daher war für den leidenschaftlichen Schwinger und Turner auch schon früh klar, dass er dereinst als Bauer arbeiten möchte. «In jungen Jahren träumt man vielleicht noch davon, Pilot zu werden, aber ich wusste schnell, dass die Landwirtschaft meine Passion ist. Ich bin damit aufgewachsen und könnte mir nichts anderes vorstellen. Ich bin sehr gerne in der Natur, geniesse den Umgang mit den Tieren und schätze die Selbstständigkeit.» So entschied sich Jürg Iseli, eine Berufslehre als Landwirt zu absolvieren. Nach einem Welschlandjahr auf einem Hof bei Moudon verbrachte der Berner Oberländer ein weiteres Jahr im emmentalischen Heimiswil, bevor es ihn wieder in die Heimat zog.
Zurück im Berner Oberland, half Jürg Iseli auf dem elterlichen Betrieb mit, der Schritt für Schritt vergrössert wurde, um zukunftsfähig zu bleiben. Nebenbei übernahm er Teilzeitjobs bei Zimmereien oder Maurergeschäften, bildete sich aber auch stetig weiter. «Ich besuchte die Winterhandelsschule an der Feusi in Bern, um kaufmännische Kenntnisse zu erwerben, absolvierte mehrere Kurse auf dem Schwand und bildete mich zum Agrobuchhalter aus.» Dieser Abschluss ermöglichte es ihm, ein zweites Standbein aufzubauen und für andere Bauern die Buchhaltung zu führen. Nach der Weiterbildung zum Betriebsleiter erhielt Jürg Iseli mit 25 Jahren das Diplom als Meisterlandwirt. Mit den erworbenen Fähigkeiten konnte er sich immer stärker in den elterlichen Hof einbringen, den er 1999 gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Hanspeter übernahm.
Eine echte Familienangelegenheit
Mittlerweile verteilt sich die Arbeitslast auf mehr als zwei Schultern, denn neben Jürg und Hanspeter Iseli und deren Ehefrauen hilft auch schon die nächste Generation tatkräftig mit. Die Unterstützung ist sehr willkommen, gibt es doch mit 38 Hektaren eigenem Land, 54 Milchkühen, 60 Stück Aufzuchtvieh und 200 Schweinemastplätzen mehr als genug zu tun. Die anfallenden Arbeiten teilen sich die zwei Familien untereinander auf; während einige Aufgaben, wie das Melken, im Turnus übernommen werden, sind andere klar zugewiesen. «Wir sind ein gutes Team, arbeiten gerne zusammen und können uns aufeinander verlassen. Meine Frau Andrea und meine Schwägerin Therese kümmern sich beispielsweise um die Direktvermarktung der Hofprodukte – Alpkäse, Rind- und Kalbsfleisch – und die Vermietung unseres Partyraums. Ich hingegen bin für die Schweinevermarktung sowie die Buchhaltung zuständig, und die anderen drei Männer haben ebenfalls ihre spezifischen Ämtli.» Nichtsdestotrotz werden Entscheidungen gemeinsam gefällt, und als Generationengemeinschaft können auch die zwei Söhne Einfluss auf die Betriebsführung nehmen. «Ich finde das eine gute Lösung, so können die beiden nach und nach in die Aufgaben reinwachsen. Wenn Hanspeter und ich in Rente gehen und sie den Hof übernehmen möchten, hilft ihnen diese mehrjährige Erfahrung bestimmt sehr.»
Vorerst aber denkt der Vater dreier Kinder noch nicht ans Aufhören – sowieso läuft insbesondere in den Sommermonaten so viel, dass wenig Zeit zum Innehalten und Reflektieren bleibt. «Seit 25 Jahren sömmert ein Teil unserer Tiere auf der Rinderalp Abendberg. Im Jahr 2000 haben wir die neue Alpkäserei in Betrieb genommen; seither produzieren wir jährlich zwischen drei und vier Tonnen Berner Alpkäse AOP, Mutschli und Hobelkäse.» Neben rund 50 Milchkühen verbringen ebenso viele Schweine den Sommer zwischen dem Abendberg und dem Pfaffen auf 1700 Metern über Meer. Dort oben, fernab vom gewohnten Trubel, laufen die Uhren anders: «Es ist völlig egal, ob es Montag, Donnerstag oder Sonntag ist, jeder Tag verläuft genau gleich – das hat etwas Schönes. Und die Ruhe ist überwältigend, auf der Alp kann man wirklich entschleunigen.» Doch die Tage sind lang und gefüllt mit harter Arbeit. Zudem steht das Leben im Glütsch währenddessen natürlich nicht still. Um sowohl Tal- als auch Alpbetrieb bewältigen zu können, braucht es eine gute Organisation und eine gewisse Flexibilität: «Die eine Familie verbringt drei Wochen auf der Alp, die andere führt den Talbetrieb, dann tauschen wir. Unsere Söhne helfen dort, wo gerade Not am Mann ist.»
Als Brückenbauer legt Jürg Iseli viel Wert darauf, auch andere Meinungen anzuhören und Menschen zusammen- zubringen.
Als Brückenbauer im Einsatz
Diesen Sommer pendelt jedoch nicht nur die jüngere Generation häufig zwischen Tal und Alp hin und her, auch Jürg Iseli ist häufiger unterwegs als noch letztes Jahr. Seit März 2023 bekleidet er nämlich das Präsidium des Berner Bauernverbands. «Ich bin ungefähr zu 50 Prozent auf unserem Hof und zu 50 Prozent für den Verband tätig. Ohne meine Familie und ihre Bereitschaft, viel für unseren Dreistufenbetrieb zu leisten, könnte ich das alles nicht stemmen.» Als der 59-Jährige angefragt wurde, ob er nicht für das Amt des zurücktretenden Hans Jörg Rüegsegger kandidieren wolle, war das ein entscheidender Faktor. «Als Mitglied verschiedener Verbände und langjähriger Politiker war ich gut vernetzt und konnte wichtige Erfahrung vorweisen. Für so ein Präsidium muss man aber auch viel Zeit aufwenden können.» So fallen viele Repräsentationsaufgaben an, zudem sind Besprechungen vor- und nachzubereiten oder Kontakte zu Landwirten, Ämtern und weiteren Entscheidungsträgern zu pflegen. «Die ersten Monate als Präsident habe ich als sehr angenehm erlebt. Die Zusammenarbeit ist fruchtbar, und viele Abläufe, Dossiers und Amtspersonen kannte ich bereits von früher.» Denn der Zwieselberger betrat 1992 mit der Wahl in den Gemeinderat das politische Parkett – das er mit einem prall gefüllten Rucksack voller Erfahrungen erst 2019 wieder verliess. Dazwischen engagierte sich Jürg Iseli 17 Jahre auf kommunaler Ebene, neun Jahre für den Planungsverein Thun-Innertport (TIP) sowie 14 Jahre als SVP-Grossrat. «2018/19 hatte ich die Ehre, den Grossen Rat zu präsidieren. Neben meinem Rundschauauftritt im Herbst 2014, als ich als Präsident der Finanzkommission zur Steueraffäre von Bundesrat Johann Schneider-Ammann Stellung nehmen musste, war das eines der grossen Ereignisse meiner Politkarriere.» Da die Amtszeit der SVP auf 16 Jahren beschränkt ist und es ihn nicht reizte, nach dem Grossratspräsidium wieder auf der Bank Platz zu nehmen, zog er sich vor drei Jahren aus der Politik zurück. Jetzt will er seine Erfahrung aus all diesen Jahren nutzen und sich als Präsident des Berner Bauernverbands für die Landwirte einsetzen. «Ich freue mich extrem, ‹meine› Leute vertreten und unterstützen zu dürfen. Nun gilt es, Konsens zu finden und möglichst gute Bedingungen für sie zu schaffen.» Als Brückenbauer legt Jürg Iseli viel Wert darauf, auch andere Meinungen anzuhören und Menschen zusammenzubringen. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ist auch das grosse Hoffest entstanden, das die zwei Iseli-Familien jährlich im Herbst veranstalten. Es bietet nicht nur spannende Einblicke in einen landwirtschaftlichen Betrieb, sondern fördert auch den Austausch untereinander – warum also am 7. Oktober 2023 nicht vorbeischauen und Jürg Iseli persönlich kennenlernen?