Paul Saurer: «Und plötzlich stand da dieser weisse Geist…»

Paul Saurer: «Und plötzlich stand da dieser weisse Geist…»

Paul Saurer: «Und plötzlich stand da dieser weisse Geist…»

Liebe Lesende, seit vielen Jahren berichten wir über das Leben von älteren Leuten, die allesamt in einem Wohn- und Pflegeheim von Wohnen im Alter (WiA) in Thun zu Hause sind. Mit der heutigen Reportage schliessen wir diese Serie ab. Für den Moment aber bringen wir Ihnen Paul Saurer aus der Sonnmatt näher.

Text: Thomas Bornhauser | Fotos: zvg

 

Paul Saurer kommt am 13. September 1936 in Heiligenschwendi zur Welt. Der Vater ist Bauer in Haltenegg oberhalb des Waldes. Weil dessen Verdienst mit vier Kühen nicht für Paul und seine beiden Schwestern reicht, hilft der Vater auch als Wald- und Gemeindearbeiter aus. Die Mutter ist – wen wunderts zu jener Zeit – Bäuerin und Hausfrau. Paul Saurer besucht die Schule in Heiligenschwendi. Und das heisst eine Wegstrecke von ungefähr einer halben Stunde zu Fuss, im Winter mit Ski oder Schlitten, je nachdem, wie stark es über Nacht geschneit hat. 

Vom Analogen ins Digitale

 

Nach der Primarschule stellt sich die Frage zum Übertritt in die Sek. Es ist eine kurze Überlegung, denn Oberhofen ist zu weit von der Haltenegg entfernt. Also absolviert Paul weiter die Primarschule, nimmt in einigen Fächern, zum Beispiel Algebra, jedoch Nachhilfestunden. Diese Schützenhilfe verhilft ihm auch zu einer vierjährigen Lehre als Maschinenmechaniker bei Küpfer Landmaschinen in Steffisburg. Es sind in dieser Zeit 400 Höhenmeter, die Paul jeden Tag zweimal zurücklegen muss. «Abe isch eifacher als ufe gsi», lacht er. Die Rekrutenschule bringt er 1956 «z’Basu» hinter sich, in der Kaserne, wo heute die berühmten «Tattoo»-Vorstellungen stattfinden. 

Nach seinen militärischen Verpflichtungen geht er für ein halbes Jahr zurück zu Küpfer, um anschliessend ein Jahr in der Romandie zu verbringen, um Französisch zu lernen, in den Usines Metallurgiques de Vallorbe SA, wo Paul Saurer vornehmlich mit der Herstellung von Feilen beschäftigt wird. Es folgen 18 Monate in Thun bei Habegger, jener Firma, die Seilbahnen für die ganze Welt herstellt. Dort ist er als Dreher für die grossen Umlenkräder angestellt. «Das isch aber e Dräckbüetz gsi, am Abe han ig usgsehen wie e Chemifäger .» Weniger staubig geht es bei seiner letzten Anstellung zu und her, bei der PTT-Telefondirektion Thun, wo er 37 Jahre verbleibt. Nach dreijähriger Ausbildung mit abschliessender Prüfung folgte der Einsatz im Übertragungsdienst. Nach erfolgreichen Berufsjahren erfolgte die Beförderung zum Technischen Anlagechef (dazwischen immer wieder Weiterbildungskurse). «Ich hatte dabei mit allen Höhenstationen der PTT zu tun, auf dem Niederhorn ebenso wie auf dem Jungfraujoch», sagt er, wobei Stolz bei diesen Worten mitschwingt.

Die Aufspaltung der PTT in Post und Swisscom erlebt er zum Schluss mit, ebenso den Übergang vom analogen ins digitale Zeitalter. 1998 geht Paul Saurer auf eigenen Wunsch in eine frühzeitige Pension, zumal «die Swisscom die Überbrückungsrente bezahlt hat».

 

Die Blueme oberhalb von Heiligenschwendi

 

Nun gibt es jedoch nicht bloss das Berufliche, über das sich zu schreiben lohnt. Paul Saurer lernt in den 60er Heidi Siegrist kennen, in Oberried am Brienzersee aufgewachsen. 1965 heiraten die beiden, bekommen vier Kinder, Fränzi, Michael, Elisabeth und Christine. Fränzi aber, an Leukämie erkrankt, stirbt 1988 nur 22-jährig. Es ist ein Verlust, mit dem Heidi bis zu ihrem Ableben 2013 nur schwer umgehen kann. Die drei anderen Kinder wohnen heute alle in Thun, Paul Saurer ist dreifacher Grossätti. Übrigens: Paul Saurer wohnt über den Tod seiner Frau hinaus während 57 Jahren an der Nünenenstrasse 27 in Thun, in der Nähe der Schönaukirche, in einer Wohnung der Wohnbaugenossenschaft Friedheim. Und 25 Jahre lang konnte sich Paul Saurer an einem Familiengarten in Thun-Süd erfreuen, den (nicht nur) er 2007 jedoch räumen musste für den Bau der Stockhorn-Arena.

Auf die Frage, was für ein Hobby er hat, kommt eine schnelle Antwort: «Wandern!» Das ist auch der Grund, warum ich ihn an diesem Morgen mit Wanderstock und PTT-Mütze an mir habe vorbeispazieren sehen … Die Blueme oberhalb Heiligenschwendi ist sein Lieblingsziel, mindestens 500-mal hat man Paul Saurer dort schon angetroffen, bei Tag und Nacht. In der Dunkelheit ist er jeweils mit einer Petrollaterne unterwegs, die zwar nicht sehr weit leuchtet, «aber ich kenne den Weg in- und auswendig, es reicht, wenn ich sehe, wohin ich trete», schmunzelt er. 

Die Dunkelheit spielt auch beim folgenden Intermezzo eine Hauptrolle. Paul Saurer ist nachts unterwegs, Blueme talwärts zur Strasse, die Heiligenschwendi mit Sigriswil verbindet, um 22.30 Uhr fährt ein Bus in Richtung Thun. Plötzlich sieht er im Dunkeln einen weissen Geist, der Paul Saurer regungslos anstarrt, mit stechendem Blick. Unser Wanderer glaubt nicht an Spuk und Geister, läuft mit gebührendem Abstand und wortlos an ihm vorbei, nur um Augenblicke später festzustellen, dass es sich um einen weissen Markierungspfosten handelt, der das Licht der Petrollampe reflektiert. Glück gehabt.

Tierisch hingegen diese Episode, auch wieder spätabends. Aus der Ferne hört Paul Saurer einen Uhu mit dem typischen Geräusch, das diese Vogelart von sich gibt. Paul Saurer antwortet in der gleichen Vogelsprache zurück, der Uhu kommt etappenweise immer näher, zum Schluss bis auf zehn Meter heran, bis er merkt, was für ein komischer Vogel ihm da zuruft. Und so kann es nicht überraschen, dass in der kleinen Wohnung von Paul Saurer der eine oder andere Uhu zu sehen ist, aus verschiedenen Materialien hergestellt. Apropos zu Fuss: Paul Saurer hat auch schon die siebenstündige Wanderung über den Brienzergrat hinunter nach Chemmeribodenbad unter die Füsse genommen.


Tüftler

 

Auffallend auch: Die kleinen «Handfertigkeiten», die der 86-Jährige selbst hergestellt hat, zum Beispiel eine Miniaturbisse, eine Suone, wie sie im Wallis noch heute als offene Wasserrinnen zu sehen sind und wo es zum Schluss ein Wasserrad gibt, das regelmässig an eine kleine Glocke schlägt, um dem «refuge du bisse» akustisch zu signalisieren, wie schnell das Wasser talwärts in Richtung der Felder läuft. Aber auch kleine Windräder, die mit Sonnenenergie angetrieben werden, hat Paul Saurer selbst produziert. Das gilt ebenso für einige industrielle Funkuhren, die das Tageslicht überhaupt nicht scheuen, im Gegenteil.

Paul Saurer ist wirklich ein erstaunlicher Zeitgenosse, erledigt er doch Bankangelegenheiten spielend auf seinem Laptop, korrespondiert auch via E-Mail. Respekt.

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