Christine Zingg: «Alte Menschen sind sehr dankbar»
Christine Zingg: «Alte Menschen sind sehr dankbar»
Seit vielen Jahren lesen Sie hier in der ThunerseeLiebi die Lebensgeschichte einer Bewohnerin oder eines Bewohners des Martinzentrums oder der Sonnmatt, beides Institutionen von Wohnen im Alter (WiA) Thun, zu dem auch das Lädelizentrum Heimberg zählt. Heute verlassen wir unseren roten Faden und unterhalten uns mit einer Frau, die zwar nicht den Nabel der Welt für sich in Anspruch nimmt, wohl aber mit zwei Kolleginnen in Teilzeit den Dreh- und Angelpunkt des Martinzentrums darstellt. Die Rede ist von der 52-jährigen Christine Zingg.
Text: Thomas Bornhauser | Fotos: Thomas Bornhauser, zvg
Nein, es ist nicht gerade eitel Sonnenschein, als wir unser Gespräch führen. Draussen sorgt Petrus für einen leichten Schneefall, den es vor dem Eingang des Martinzentrums beiseite zu schaufeln gilt, eine Aufgabe für Michael Müller, der auf seinem Gefährt herumkurvt, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt, dem Wetter zum Trotz.
In den Headquarters
Logisch, man betritt das Martinzentrum – eines der führenden Alters- und Pflegeheime in Thun – nicht einfach wie ein «Latschi» mit dem Tunnelblick, ohne nach rechts oder nach links zu schauen. Erstens herrscht Maskenpflicht, zudem müssen sich Besucherinnen und Besucher beim Empfang nicht bloss auf einer entsprechenden Liste eintragen, sie müssen auch das Zertifikat vorweisen. Erst dann lässt man sie zu jenen Leuten, die sie besuchen wollen, sei es beruflich oder privat.
Jene Mitarbeitende, die für diese Kontrollen zuständig ist, heisst zum Zeitpunkt unseres Besuches Christine Zingg und ist seit September 2020 in einem 45-Prozent-Teilzeitpensum angestellt. Ihre beiden Kolleginnen heissen Sara Klötzli und Sonja Bachmann. Wer nun glaubt, dass man in einem Altersheim an der Rezeption die ruhige Kugel schieben kann, der/die irrt gewaltig. Von einem «fliessenden Gespräch» mit Christine Zingg zu schreiben, wäre unehrlich. Ständig werden Fragen und Antworten unterbrochen. Es gilt die vielen eingehenden Telefonate weiterzuleiten, sofern Christine Zingg nicht gleich selber Auskunft geben kann, was gar nicht so selten vorkommt.
Erst jetzt wird mir bewusst, dass sich im Martinzentrum quasi das Hauptquartier von WiA befindet: Der Vorsitzende der Geschäftsleitung, Stephan Friedli, hat hier sein Büro, abgetrennt von seiner Assistentin Petra Gruber. Thomas Peter, der Finanzchef, arbeitet hier, genauso Andrea Mossetti, verantwortlich für das Facility-Management, und auch René Moor, unter anderem für das Marketing, die Informatik und die Qualitätssicherung zuständig. Heisst für Christine Zingg und ihre Kolleginnen: Da kommt nebst dem anspruchsvollen Alltag im Martinzentrum allerhand zusammen, was es zu koordinieren gilt.
Christine Zingg privat vor einer Flussfahrt
«Es wird nid gschpottet!»
Unser Gespräch findet am Arbeitsplatz von Christine Zingg statt, also am Empfang, etwas würdevoller auch als Rezeption bekannt. Verena Künzi, Leiterin Hotellerie im Martinzentrum, sieht uns beide und meint beim Vorbeigehen ganz neckisch: «Soso, hesch es Interview, Christine?» Meine Antwort kommt umgehend: «Es wird nid gschpottet, süsch chum ig nächhär grad zu euch», worauf Verena Künzi ihren Gang in eine höhere Frequenz schaltet und um eine Ecke verschwindet …
Eine nächste Frage erübrigt sich beinahe, ich stelle sie trotzdem. Was gefällt Christine Zingg an ihrer Arbeit? Klar, es ist der Kontakt zu den Menschen, die Kommunikation über alle Grenzen hinweg. Was besonders berührt: Die gebürtige Zürcherin (siehe Kasten) mag den Umgang mit älteren Menschen. «Sie sind so dankbar, wenn man ihnen zuhört und ihnen bei ihren Anliegen weiterhilft. Oftmals sind es für mich ja bloss Kleinigkeiten, vielfach mit Routine verbunden, aber das Strahlen in ihren Augen lässt sich mit keinem Geld auf der Welt aufwiegen.» Und dass diese älteren Menschen vielfach eindrückliche Lebensgeschichten haben, das wissen Sie als Lesende der ThunerseeLiebi ja bereits.
Das Martinzentrum wird gegenwärtig von Grund auf renoviert.
Gedanken des Stiftungsratspräsidenten
Logisch, dass wir auch auf die Situation im Gesundheitswesen zu sprechen kommen, ein viel diskutiertes Thema. Christine Zingg weiss nur zu gut, was für eine Leistung die Pflegenden in letzter Zeit erbracht haben. In der letzten Ausgabe der WiA-Personalzeitung war dazu auch ein bemerkenswertes weil kritisches Interview mit Beat Straubhaar zu lesen, der als ehemaliger Spitaldirektor wie vielleicht kein Zweiter das Gesundheitswesen im Raum Thun kennt. Er ist heute Stiftungsratspräsident von WiA. Auf die Frage, wer denn versagt habe, sagte er mit entwaffnender Offenheit: «Das ist schwierig, zu sagen, wer da versagt hat ... Immerhin hat der Kanton Bern ein gutes Modell, um Pflegende auszubilden beziehungsweise weiterzubilden, indem er dazu quantitative Vorgaben macht und die dann auch umsetzt. Anderseits ist die Pflege in Konkurrenz mit anderen Berufen, das wirkt sich in der Phase geburtenschwacher Jahrgänge besonders einschränkend aus. Zudem ist der Pflegeberuf – wie alle Berufe in Gesundheitsinstitutionen – eine 24-Stunden/365-Tage-Aufgabe, was die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nicht einfach macht. Vor allem: Die Pflege ist immer noch stark von Frauen geprägt. Die Familienplanung hängt heute noch stark an den Frauen, das Rollenverhalten in der Familie ist oft noch traditionell. Vermutlich braucht es noch eine Generation, bis wir das überwunden haben. Die skandinavischen Länder sind uns da einiges voraus – obschon auch diese unter einer Personalknappheit leiden!»
Und weiter: «Es ist richtig, dass alles darangesetzt werden muss, dass jene, die den Beruf aus nichtfamiliären Gründen verlassen, dem Gesundheitswesen erhalten bleiben. Und ja, es wird viel Zeit für die Dokumentation aufgewendet, was nicht immer produktiv ist und nur zur Absicherung gegen mögliche Vorwürfe, Fehler gemacht zu haben, dient.»
Und wie steht es um die viel zitierte Work-Life-Balance bei Christine Zingg, um die Ausgeglichenheit zwischen beruflichen und privaten Interessen? Trotz Maske sieht man Zufriedenheit in ihrem Gesicht, dazu braucht es keine Worte. Diese gelten ohnehin dem nächsten Anrufer.
Christine Zingg privat bei einer Wanderung.
Christine Zingg
1970 in Wädenswil am Zürichsee geboren. Nach der obligatorischen Schulzeit Ausbildung zur Kaufmännischen Angestellten, anschliessend verschiedene Bürojobs bei einer Bank und in anderen Branchen. Gilt für Herren die Lebensweisheit «cherchez la femme», so trifft das leicht abgeändert auch auf Christine Zingg zu, die 1998 der Liebe wegen ins Bernbiet kommt. In der Region Thun arbeitet sie bei der Tageselternvermittlung Thun und bei einem Immobilienbüro in Gunten. Sie hat zwei Kinder, Larissa (18), in Ausbildung zur Medizinischen Praxisassistentin, und Alexander (20), der den Beruf eines Schreiners erlernt hat. Ihre Hobbys: Wandern, Lesen, Joggen und Gartenarbeiten. Gereist wurde vor Corona öfter, zum Beispiel nach Australien oder nach Kanada. Und wohin des Weges, wenn Reisen dann wieder einmal möglich sein wird? «Den Norden würden wir gerne bereisen – Norwegen, Schweden.»