Barbara Baumann: Sie kreuzt über den Atlantik, aber liebt den Thunersee
Barbara Baumann: Sie kreuzt über den Atlantik, aber liebt den Thunersee
Barbara Baumann Falivene segelt im Winter auf den Weltmeeren. Doch ihre grosse Liebe hat die Leiterin der Segelschule Neuhaus am Thunersee gefunden, wo sie im Sommer tätig ist.
Text: Nina Bieri, Samuel Krähenbühl | Fotos: Samuel Krähenbühl, zvg
Wind und Wasser. Das sind ihre Elemente. Man sieht der kleinen, lebenslustigen Frau an, dass sie lieber diesen Elementen trotzt, als in einem Büro auf den Bildschirm zu starren. Und am liebsten mag sie Wind und Wasser am Thunersee. Ganz genau genommen am oberen Rand des Sees beim Neuhaus. Barbara Baumann Falivene hat vor einigen Jahren zusammen mit ihrem Mann, der bei den Jungfraubahnen arbeitet, ihren Lebensmittelpunkt hierhin verlegt. Schon als kleines Kind sei sie oft am und auf dem Thunersee gewesen, berichtet sie. Ihr Dialekt ist aber eindeutig nicht aus dem Berner Oberland. Aufgewachsen in Aesch BL verbrachte sie mit ihren Eltern so manches Wochenende und viele Ferientage am Thunersee. Diese besassen dort ein eigenes Segelboot. «Bereits meine Eltern haben in der Segelschule Neuhaus Segeln gelernt. Ich selbst dann später auch», erklärt sie. Und vor sechs Jahren hat die 49-Jährige die Segelschule übernommen und beschäftigt dort im Sommerhalbjahr insgesamt sechs Mitarbeitende.
Die Liebe zum Thunersee und zu seinen Elementen hat sie früh gepackt. «Auf dem Schiff zu übernachten, war für mich etwas vom Schönsten», berichtet sie mit strahlenden Augen. Und wenn sie mal von einem Gewittersturm überrascht worden seien, habe dies wohl eher ihre Eltern in Sorge versetzt als sie selbst.
Langweilig ist der Thunersee für sie bis heute nicht geworden. Was macht die Faszination aus? Die leidenschaftliche Seglerin kommt zunächst auf die Windverhältnisse zu sprechen. Auf die sicheren Windverhältnisse, auf die gute Thermik: «Dazu trägt entscheidend der Unterschied zwischen Land- und Seetemperatur bei. Der See reagiert träger als das Land. Am Tag heizt das Land schneller auf als der See. Am Tag weht daher der Wind vom See auf das Land. In der Nacht genau umgekehrt.» Doch dazu, dass dieses Spiel zwischen den verschieden warmen Bereichen funktioniere, trage auch die Topografie bei. Denn der Brienzersee etwa habe zu steile Ufer, weshalb die Winde bei gutem Wetter weniger ausgeprägt seien.
Ihre Kunden der Segelschule kämen aber auch noch aus einem anderen Grund an den Thunersee. «Gerade von den internationalen Gästen höre ich immer wieder, dass der Thunersee mit seiner Bergkulisse spektakulär sei», betont sie. Sie mag den Mix zwischen einheimischen und ausländischen Besuchern. Doch Baumann Falivenes Weg verlief nicht direkt zum Segeln und zum Thunersee. Nach einer Ausbildung im Detailhandel ging sie buchstäblich in die Luft und arbeitete jahrelang bei verschiedenen Fluggesellschaften als Flight-Attendant. Und auch in der Freizeit zog es sie nicht nur aufs Wasser, sondern auch in die Luft. Zum Gleitschirmfliegen nämlich. Erst nach und nach wurde das Segeln zu einem beruflichen Standbein. Doch bei allen Unterschieden nennt sie Gemeinsamkeiten bei all ihren Aktivitäten: «All meine Tätigkeiten oder Hobbys haben mit Wasser und Luft zu tun und sind naturverbunden. Und alle meine beruflichen Tätigkeiten haben früher oder später immer in der Ausbildung gemündet.»
So ist es auch heute. Den Menschen zu zeigen, wie schön es auf dem See ist. Den Funken springen zu lassen. Das nennt Baumann Falivene als Motivation für ihre berufliche Tätigkeit. Und die Bandbreite der Menschen, die Segeln lernen, sei gross. Bereits für Kinder ab sechs Jahren bietet die Segelschule Jugendkurse an. Und die ältesten Segelschüler sind bereits im Rentenalter.
Segeln auf einem Binnengewässer wie dem Thunersee sei ungefährlich, wenn man sich richtig verhalte, betont sie. Die grösste Gefahr kommt vom Wetter, beim Bödeli etwa von den Föhnstürmen, die teils Böen von bis zu 100 km/h bringen. «Viele Segler kommen bis und mit 4 Beaufort (19,7–28,7 km/h) Windgeschwindigkeit gut zurecht, darüber wird es schwieriger. Ab 6 Beaufort (38,8–49,9 km/h) sind dann die meisten überfordert», erklärt sie. Wobei sie selber auch noch bei 7 Beaufort gerne segle, meint sie schmunzelnd.
Doch auf dem Wasser lauern auch Gefahren. Baumann Falivene ist im Nebenamt auch noch Leiterin des Standorts Neuhaus der Seerettung Thunersee. Einerseits koordiniert sie die Einsätze. Aber sie ist auch selbst in der Rettung im Einsatz. Oft gehe es um Prävention. Denn viele Menschen seien sorglos. Zu sorglos: «Die Leute gehen mit allem, was irgendwie schwimmt, auf den See. Doch bei uns im Neuhaus hat es oft ablandigen Wind, der vom Land weg weht und am Ufer kaum spürbar ist. Wenn man 100 Meter vom Ufer entfernt ist, kommt man nicht mehr einfach zurück.»
Den Menschen zu zeigen, wie schön es auf dem See ist. Den Funken springen zu lassen. Das nennt Baumann Falivene als Motivation für ihre berufliche Tätigkeit.
Der Thunersee ist nämlich im Sommerhalbjahr ein beliebtes Ausflugsziel. «An schönen Tagen ist der See voll», sagt Baumann. Wobei der Unterschied zwischen der unteren Seehälfte, also zwischen Thun und Spiez, und der oberen Seehälfte, also zwischen Spiez und Neuhaus, sehr gross sei: «Wir haben viel weniger Schiffe und Verkehr als im unteren Seebecken.»
Doch mit den sinkenden Temperaturen im Herbst lässt der Ansturm auf den See nach. Die Segelschule bietet nur von April bis Oktober ein Auskommen. Für das Wintergeschäft verlässt Barbara Baumann Falivene ihren geliebten Thunersee und wechselt auf die Hochsee. Sie hat nicht nur einen schweizerischen Hochseeschein, sondern sie hat bei der britischen Royal Yachting Association einen Abschluss als Yachtmaster Offshore, was einer Berufslizenz gleichkommt. Von Ende Januar bis Ende März geht sie normalerweise in die Karibik und bietet dort Tauch- und Segeltörns an. Dabei ist sie schon mehrmals über den Atlantik gesegelt. Wie einst Kolumbus oder Magellan. Der Atlantik ist gross. Ein Segelschiff braucht wochenlang, um ihn zu überqueren. Denn ohne Motor muss man die Winde und Meeresströmungen ausnutzen und dafür Umwege in Kauf nehmen. Der Weg von Ost nach West ist so 2700 Seemeilen (5000 km) weit, und die Überquerung dauert rund drei Wochen. «Der Rückweg ist mit 4300 Seemeilen (8000 km) noch länger. Dafür hilft uns der Golfstrom», erklärt die erfahrene Seglerin. Ist da der vergleichsweise kleine Thunersee überhaupt noch spannend? «Oh doch», kommt es wie aus der Kanone geschossen. «Auf dem Meer ist es viel einfacher zu segeln, weil der Wind relativ konstant ist. Auf dem See ist das viel spannender. Die Winde sind viel unbeständiger. Und man muss auf die Wetterwechsel aufpassen», erklärt sie.
Während der Corona-Pandemie renovierte Barbara Baumann mit Menschen aus ihrem Freundeskreis ein 67-jähriges Segelschiff. Es heisst sinnigerweise «Friendship», also Freundschaft.
Hochseesegeln tönt nach Romantik. Was ist aber mit den Stürmen oder gar Hurrikanen, von denen Schweizer Landratten grausige Vorstellungen haben? Sie winkt ab. «Wir sind nicht in der Hurrikansaison in der Karibik.» Gefährlicher seien schon eher die Korallenriffe. Hier müsse man einfach vor allem richtig navigieren. Doch die grösste Gefahr für Segelschiffe sei eindeutig von Menschenhand gemacht: Container, welche die riesigen Containerschiffe bei schlechtem Wetter immer wieder mal verlieren. «Es gibt heute viele dieser Container. Die schwimmen dann knapp unter der Wasseroberfläche und sind nicht sichtbar im Wasser. Und bilden eine Gefahr für die Schiffe», erklärt sie.
Eine gute Seglerin braucht eine gute Selbsteinschätzung, sollte sich nicht überschätzen, keine unnötigen Risiken eingehen.
Doch die Covid-19-Pandemie hat auch Auswirkungen auf das Segelgeschäft. Reisen ist schwierig. Die Menschen verbringen die Freizeit eher in der Schweiz. Davon habe ihre Segelschule in den letzten beiden Sommern profitieren können. Die Segeltörns im Winterhalbjahr hingegen fallen buchstäblich ins Wasser. Doch die quirlige Seglerin liess sich dadurch nicht entmutigen, sondern packte gleich ein anderes Projekt an: «Ich habe in der Corona-Zeit ein 67-jähriges Holzschiff mit Hilfe von Freiwilligen renoviert. Es ist dieses Jahr das erste Mal nach 22 Jahren in einer Halle wieder geschwommen.» Der Zweimaster ist 11,5 Meter lang und trägt den sinnigen Namen «Friendship», also auf gut Deutsch «Freundschaft». Der Name ist auch hier Programm.
Was macht eine gute Seglerin aus? «Eine gute Seglerin braucht eine gute Selbsteinschätzung, sollte sich nicht überschätzen, keine unnötigen Risiken eingehen. Und es braucht sowohl ein gutes Einfühlungsvermögen wie auch ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen», erklärt die Segellehrerin. Wobei es ihr nicht nur um das rein Technische geht: «Ich habe Freude, anderen Menschen zu zeigen, wie schön es auf dem See ist.» Und manchmal taucht sie auch in den See. Schliesslich ist sie ja auch Tauchlehrerin, wobei sie diesen Job nur in wärmeren Meeresgewässern ausübt. Denn der Thunersee ist in der Tiefe ein frostiger Geselle: «Schon 20 Meter unter Wasser ist es nur noch 4 Grad.» Und wie sieht der Thunersee unter Wasser aus? «Er ist grün und eher dunkel. Weniger bunt als das Meer in der Karibik. Aber es ist trotzdem schön. Es hat Muscheln, Fische und wunderbare, spektakuläre Felsformationen», berichtet sie mit strahlenden Augen.
Was macht der Thunersee mit den Menschen, die auf ihm Segeln? «Wenn es eher schwachwindig ist, dann ist der See entspannend. Wenn es viel Wind hat, dann ist man so fest mit dem Segeln beschäftigt, dass man keine Zeit hat, sich mit anderen Problemen auseinanderzusetzen. Segeln ist also ein Seelenbalsam», betont sie.
Und was wünscht sie sich für ihre Zukunft? «Es gibt noch viele schöne Segeldestinationen, die ich entdecken möchte», sagt sie. Doch ihre grosse Liebe gehört am Ende doch nur einem Gewässer: dem Thunersee!
Barbara Baumann Falivene ist in Aesch, Baselland, aufgewachsen, lebt seit 2008 mit ihrem Mann in Unterseen und leitet seit 13 Jahren die Segelschule Neuhaus, die sie dann vor sechs Jahren auch gekauft hat. Nebenbei ist sie bei der Seerettung tätig.
Zuerst im Detailhandel und in der Flugbranche tätig, machte sie ihr langjähriges Hobby vor 20 Jahren zum Beruf. Die Segelschule Neuhaus ist in der Wintersaison geschlossen. Währenddessen ist Barbara Baumann Falivene privat oder als Ausbildnerin mit dem Segelschiff
in wärmeren Gebieten wie der Karibik oder Griechenland unterwegs. Nebst dem Segeln, Gleitschirmfliegen und Tauchen geniesst sie die Zeit mit ihren zwei Katzen, kocht und isst gerne mit ihrem Mann.
In verschiedenen Kursmodulen bringt Barbara Baumann Falivene Jung und Alt das Segeln bei. Das Einschätzen sei beim Segeln besonders wichtig. Sei es das Wetter oder das persönliche Können. Aber eines macht ihr besonders Freude: anderen zu zeigen, wie schön der Thunersee ist.