Leben im Alter: «Ich habe eine Uhr zwischen die Schoggitafeln gelegt…»

Leben im Alter: «Ich habe eine Uhr zwischen die Schoggitafeln gelegt…»

Leben im Alter: «Ich habe eine Uhr zwischen die Schoggitafeln gelegt…»

Zu behaupten, Katharina Meili im Hohmadpark Thun hätte ein leichtes Leben gehabt, entspräche nicht der Wahrheit. Im Gegenteil: Sie musste sich in einer Welt zurechtfinden, die alles andere als die Sonnenseite des Lebens war. Dennoch: Sie lacht gerne, macht einen wirklich fröhlichen Eindruck, obschon sie im Gespräch oftmals nachdenken muss, wie «es» denn seinerzeit wirklich war. Es ist ein berührender Lebenslauf, den ich zu hören bekomme.

Text: Thomas Bornhauser  |  Fotos: Thomas Bornhauser, Heidelberg Marketing, zvg

 

Am vergangenen 11. Oktober ist Katharina Meili 74 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hat sie die Bewohnenden Im Hohmadpark zu einem kleinen Geburi-Festli eingeladen. Katharina Meili wurde als Einzelkind geboren, die erste Zeit wuchs sie in Bern auf, der Vater war Angestellter bei der Rentenanstalt. Sie erinnert sich noch genau, dass die Familie viele Male gezügelt hat, «Ich weiss aber nicht mehr, weshalb so oft.» Von der Beundenfeldstrasse nahe dem Kasernenareal sicher einmal in eine kleine 3-Zimmer-Wohnung in der Nähe der Firma Wander. Dort hatte sie auch das erste Haustier. «Ich hatte einen Dackel», sagt sie verschmitzt, «und einmal ist er mir entwischt, durch die grosse hölzerne Haustüre hindurch, ich habe nicht gut aufgepasst.» Danach ging die Suche los, vorerst ohne Erfolg. Gefunden hat sie ihren Hund später in der Nähe eines Gartenzauns, den Kopf zwischens zwei Metallstangen eingeklemmt. «Vermutlich ist er einer Katze nachgerannt, ich konnte ihn befreien, habe seinen Kopf einfach leicht abgedreht.» Sicher ist, der Dackel kam nie mehr in eine ähnliche Situation.

 

 

Die Natur als dunkles Kapitel

 

Später ergab es sich, dass Katharina einen Chow-Chow geschenkt bekam, von einer Sängerin, die ihn nicht behalten konnte. Ähnlich erging es dem Hund bei Meilis: Die Wohnung war viel zu klein für den relativ grossen Hund, weshalb er an ein gutes Plätzchen verschenkt wurde. Zur Schule ist Katharina Meili in die Rudolf Steiner Schule im Sulgenbach. Sie mochte insbesondere Singen, Zeichnen und mit einer Bambusblockflöte musizieren. Sie erinnert sich, dass «Dora, die zur Familie gehörte», von Zeit zu Zeit anrief und die Familie zu einem Ausflug motivieren konnte, zum Beispiel ins Seeland, nach Biel, nach Erlach, auf die St. Petersinsel, wo der bekannte Schriftsteller und Philosoph Jean-Jacques Rousseau gelebt hat. 

Ihr wirkliches Leiden begann schon als kleines Kind, sie hatte einen deformierten Kiefer, der es ihr verunmöglichte, normal essen zu können, «sogar Schoggi essen bereitete mir Schmerzen», sagt sie ohne mit ihrem Schicksal zu hadern. Ein Zahnarzt musste ihr deshalb schon als Kind viele Zähne ziehen und meinte, dieser Kiefer werde dem Meitli noch einmal grosse Sorgen bereiten. Konnte er damals schon ahnen, dass Katharina Meili im Laufe ihres Lebens deshalb mehr als 30 Eingriffe über sich ergehen lassen musste? Diese Eingriffe und die damit verbundene Rekonvaleszenzzeit verunmöglichten es ihr, eine Ausbildung zu absolvieren. Zudem musste sie sich später in ihrem Leben zusätzliche Operationen zuziehen, zum Beispiel bei einem Ellenbogenbruch, der lange Zeit nicht heilen wollte.

1959 zügelte die Familie abermals, dieses Mal nach Thun, wo Katharina Meili sozusagen hängenblieb, auch nach dem Tod ihrer Eltern. Der Vater verstarb 1983 nach längerem Aufenthalt in Heiligenschwendi, die Mutter 1996 in einem Pflegeheim in Gondiswil. Fortan lebte die heute 74-Jährige selbständig in einer Wohnung an der Talackerstrasse 11, ganz in der Nähe des Hohmadparks, wohin sie «vor ungefähr einem Jahr» gezügelt ist.

 

Lesen als Lebensinhalt 

Man fragt sich, wie ein Mensch mit diesen vielen Schicksalsschlägen umgehen kann, die eine geregelte Arbeit verunmöglichen. «Früher habe ich meiner Mutter im Haushalt geholfen, später dann sehr viel gelesen, sie hätten meine Bücherwand sehen sollen!»

Plötzlich erinnert sie sich an ihren Onkel, der zusammen mit dem früheren deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am Kirchenfeld-Gymnasium zur Schule ging, 1934 bis 1936, also lange bevor Katharina Meili zur Welt kam. Überhaupt blieb sie bei ihren Büchern viel in der Politik hängen, hat viele Werke über John F. Kennedy gelesen, und fragt sich, was das FBI und die CIA bei der Ermordung des beliebten amerikanischen Präsidenten für Rollen spielten. Auch Fotobücher über ferne Länder haben sie begeistert. Sie ist, weil sie heute unter Sehschwäche leidet, auf das Radio angewiesen. Selber im Ausland war sie auch, «in München, in Bayern, wir haben Schloss Neuschwanstein gesehen, auch Heidelberg, eine wunderschöne Stadt!» In Heidelberg hatte Katharina Meili einen Besuchstermin an der Universitätszahnklinik bei Professor Reuters, der ihr aber ebenfalls nicht weiterhelfen konnte, die Schmerzen würden sie ein Leben lang begleiten. Beeindruckt hat sie ein Besuch im Aostatal, als kleines Mädchen kurz nach dem Krieg, «weil vieles zerstört und zerbombt war».

 

Brieffreund in der DDR 

Mit Freude erinnert sie sich an einen Brieffreund, den sie in der ehemaligen DDR hatte. «Wir haben uns im wahrsten Sinne des Wortes ausgetauscht», lacht sie, «er hat mir Briefmarken aus der DDR und dem ehemaligen Ostblock gesandt, ich ihm im Gegenzug Schoggi, Farbstifte und Kaffee», alles Produkte, die es im real existierenden Sozialismus nicht gab, zumindest nicht für den gewöhnlichen Mann der Strasse. Hat man denn Ihre Pakete nie am DDR-Zoll zurückgehalten, von Amtes wegen? «Nein, die Ware wurde ja immer als Geschenk deklariert, nicht als Handelsware. Einmal habe ich sogar eine Uhr zwischen die Schoggi-Tafeln gelegt, auch da hat es geklappt!», erzählt sie stolz.

Und wo ist die Markensammlung heute? Diese Frage macht Katharina Meili traurig. «Ich weiss es nicht, ich vermute, dass sie verschwunden ist, beim Räumen der Wohnung, bevor ich in den Hohmadpark gezogen bin, vor ungefähr einem Jahr.» Ermittlungen, wie sie sagt, wolle sie deswegen nicht einleiten, aber es wäre schön, ein bisschen Gerechtigkeit zu erfahren. Man möge ihr diese Markensammlung, die zu ihrem Leben gehört, doch zurückgeben, wer sie unter welchen Umständen auch immer erhalten hat.

Man fragt sich, wie ein Mensch mit diesen vielen Schicksalsschlägen umgehen kann, die eine geregelte Arbeit verunmöglichen. 

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