Esther Hasler: Per Telefon und Schiff um die Welt

Esther Hasler: Per Telefon und Schiff um die Welt

Esther Hasler: Per Telefon und Schiff um die Welt

Seit drei Jahren is(s)t Esther Hasler jeden Tag am «Offenen Mittagstisch» in der Sonnmatt von WiA – Wohnen im Alter Thun. Am Telefon vermutet man eine 40-Jährige, mit der man spricht. Sitzt man ihr gegenüber, so ist sie vom Alter her schwer einzuschätzen, sicher aber wirkt sie wesentlich jünger als ihre… 85 Jahre. Es richtigs Fägnäscht.

Text: Thomas Bornhauser  |  Fotos: Thomas Bornhauser, zvg

 

Ihr Leben einzuordnen ist nicht einfach, versuchen wir es trotzdem: Geboren wird Esther Hasler in einem Quartier der Stadt ­Zürich, in Leimbach, wo sie auch zur Schule geht. Da ihr Vater Generalvertreter in der Papeteriebranche ist, erlernt sie den Beruf der Papeteristin. Weil sie das nicht ganz zu befriedigen vermag, verbringt sie einige Monate in Lucy-sur-Morges, um 1952 in Zürich eine Ausbildung als Telefonistin in Angriff zu nehmen.

Mit Stöpsel zusammengeführt

 

Die nachfolgenden Zeichen verstehen sich als eine Art Lebenshilfe für jüngere Mit­arbeiterinnen und Mitarbeiter: Es war zu ­jener Zeit – vor ungefähr 70 Jahren – nicht möglich, jemanden direkt anzuwählen. Mit anderen Worten: Wer ein Telefon hatte, und das war in vielen Haushalten nicht der Fall, rief die regionale Telefonzentrale an, in unserem Fall in Zürich. Dort nahm eine freundliche Telefonistin – wie Esther ­Hasler – den Anruf entgegen und erkundigte sich, mit wem man denn sprechen ­möchte. ­Die Telefonistin rief die Nummer an und «stöpselte» die beiden Kunden zusammen, damit sie miteinander sprechen konnten. So weit, so gut, so klar. Wie aber merkte man, dass das Gespräch beendet war? ­Esther Hasler lacht: «Im Prinzip leuchtete ein rotes Lämpchen auf, welches das Ende des Gesprächs aufzeigte. Zur Sicherheit gingen wir aber in die Leitung und sagten ‹Fertig fertig.› Kam keine Reaktion, wussten wir, dass die beiden sich gesagt hatten, was zu sagen war, deshalb wurden die Stöpsel ­gezogen und die Gesprächsdauer entsprechend belastet.»

Auf unserer Foto sehen Sie, wie eine solche Telefonzentrale zu jener Zeit aussah. Die Frauen – in Zürich ungefähr 60 – sassen in Reih und Glied, um die Anrufe entgegenzunehmen und weiterzuvermitteln.

 

«Du, los emal…» 

 

Die Frage drängt sich auf: Wenn man sich nach drei Minuten ins Gespräch einklinkte, um feststellen zu können, ob zwei Leute noch miteinander sprachen, hörte man da nicht ab und zu «Sachen», die nicht für die eigenen Ohren bestimmt waren? Bei dieser Frage schalten die Augen von Esther Hasler in den Schelmisch-Modus: «Selbstverständlich! Lustig war es jeweils in der Nacht, wenn die Leute Liebesgespräche führten, da kam es schon mal vor, dass man einer Kollegin sagte, sie solle mithören…» Und Politisches, Kriminelles? Man mag ­es Esther Hasler nicht so recht abnehmen, wenn sie sagt, sie könne sich daran nicht erinnern. «Eines wurde uns von allem ­An­fang an eingetrichtert, nämlich, dass Verschwiegenheit oberstes Gebot war.» Sie schmunzelt dabei…

Könige und VIPs am Telefon 

Esther Hasler, die seit 1978 in der Nähe der Sonnmatt wohnt und ihren kranken Mann fast 20 Jahre lang gepflegt hat, bis sie zum Schluss dazu keine Kraft mehr hatte und froh war, dass Paul bis zu seinem ­Ableben 2009 in der Sonnmatt sehr gut aufgehoben war, wollte mehr als nur «das Telefonfräulein» sein, weshalb sie sich weiterbildete – und unter anderem bei der ­Auskunft und im Überseedienst zum ­Einsatz kam. In dieser Zeit hatte sie Berühmtheiten am Telefon, um auch sie zu «stöpseln». So erinnert sie sich an Marlene Dietrich. Von einem Kollegen bei der Vermittlung wusste sie, dass er Fan der «Lola Lola» aus dem Film «Der blaue Engel» war, worauf sie ihm den Tipp gab, doch einmal in das Gespräch hineinzuhorchen, damit er ihre Stimme hören konnte. «Er hat aber nur ganz kurz zugehört», ergänzt sie, «wir waren sehr diskret, in jeder Beziehung.»

Einmal wollte Randolph Churchill seinen berühmten Vater sprechen, der in Klosters war. Die Antwort an die Telefonistinnen war kurz und knapp: «Sagen Sie meinem Sohn, dass ich gleich Ski fahren gehe, ich habe jetzt keine Zeit.» Ende der Durchsage.

Wie Phileas Fogg

 

Zurück ins Jetzt. Sie erzählt: «2011 machte ich eine Reise zum Nordkap via Schweden, Finnland, dann mit einem Hurtigruten-Schiff bis Bergen in Norwegen und ­weiter nach Oslo. Als ich 80 Jahre alt wurde, lud ich Familie und Freunde zu einem Dinner ins Hotel Giessbach am Brienzersee ein, um mit mir diese runde Zahl zu feiern. Wir waren 40 Leute. Nach dem Essen eröffnete ich den Anwesenden, dass ich beabsichtigte, eine Weltreise auf einem Schiff zu machen. Nach kurzem Schweigen wurde mein Vorhaben mit Applaus belohnt. Ich wollte alle jene Orte kennenlernen, mit ­denen ich ­indirekt als Telefonistin zu tun hatte.»

Die ganze Reise erinnert an Jules Vernes «In 80 Tagen um die Welt» mit dem Exzentriker Phileas Fogg und seinem Diener ­Passepartout: Am 4. Januar 2013 fliegt Esther Hasler von Zürich nach Fort Lauderdale, Florida. Am folgenden Morgen geht sie an Bord der «Amsterdam» der Holland-America-Line, wo auf dem Schiff nur Englisch gesprochen wird. «Leinen los!» um 17 Uhr nach Cartagena, Kolumbien. ­Die Weltreisenden sitzen zum Znacht ­jeweils an ­gemeinsamen Tischen, Esther Hasler zusammen mit einem Ehepaar aus den USA, wo er ehemals bei der NASA gearbeitet hatte («Wir nannten ihn nur The ­Rocket Man»), einem Ehepaar aus Seattle, er ehemaliger Banker, und einem Priester, der sein Leben quasi auf den ­sieben Weltmeeren verbrachte und jeden Tag eine Messe las.

41 Ausflüge

 

Es hat überhaupt nichts mit ihrem Alter zu tun, dass Esther Hasler beim Erzählen immer wieder überlegen muss, was während der Reise wo passiert ist. Nach dem Auslaufen in Florida «segelt» die «Amsterdam» durch den Panamakanal zum Pazifik in Richtung Manta, Ecuador, anschliessend nach Lima, Peru. Weiter geht es zu den ­Osterinseln («Man weiss heute noch nicht, wie genau die Leute damals diese riesigen Statuen an ihren Standort geführt und aufgestellt haben»), Tahiti, Moorea, Bora-Bora, Rarotonga, weiter nach Neuseeland und Australien, mit Orten wie Auckland, Tauranga, Wellington, Sydney – wo die «Amsterdam» zwei Tage verweilte –, dann weiter nach Hobart, Albany und Perth. Die Fahrt ging weiter nach Bali. In Indonesien war es heiss und feucht.

Die Reise führt die Truppe weiter zu den Philippinen, nach Hongkong und Vietnam. Die Seefahrt geht weiter in Richtung Namibia um das Kap der Guten Hoffnung herum («Kapstadt mit dem Tafelberg war ­genial!»). Anschliessend überquert man den ­Atlantik nach Südamerika. Auf dem Weg nach ­Brasilien hält das Schiff bei der Insel ­St. Helena, wo Napoleon Bonaparte im Exil lebte und starb. «Unser erster Anlaufhafen in Südamerika war Fortaleza. Wir machten weitere Stopps in Belem sowie Devil’s ­Island, früher ein berüchtigter Ort von Strafkolonien.» Via Karibik kommt die «Amsterdam» am 2. Mai zurück zum Ausgangshafen in Fort Lauderdale. Esther ­Hasler nimmt den Bus nach Miami, lässt sich zum Flughafen fahren und fliegt zurück in die Schweiz. Es drängt sich natürlich eine Frage auf: Wird eine solche Reise mit der Zeit nicht laaaaangweilig? Esther Hasler lacht: «Überhaupt nicht, ich habe an 41 Landausflügen teilgenommen, einer spannender als der andere!»

Und so lässt sie nach dieser Reise gleich weitere Taten folgen: Zuerst, im gleichen Jahr, eine Flussfahrt in Frankreich, ein Jahr später bereits eine grosse Kreuzfahrt rund um Südamerika. Unmittelbar nach Abschluss fliegt sie zu Besuch bei Freunden nach San Diego, nimmt danach den Zug nach Sacramento zu Bekannten, anschliessend mit Amtrak nach Denver zu Freunden, um nach einigen Tagen nach Washington D.C. zu fliegen, um dort einen Monat zu verweilen… Auch 2015 und 2016 standen Reisen an, meist Flussfahrten in Europa. 

 

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