Sonja Indermühle: «Ein Leben ohne meine Geissen? Undenkbar!»
Sonja Indermühle: «Ein Leben ohne meine Geissen? Undenkbar!»
Sonja Indermühle lebt mit ihrem Mann Peter auf einem mittelgrossen Bauernhof in Amsoldingen bei Thun. Das Besondere: Die 42-jährige Bäuerin züchtet Ziegen und produziert mit Geissenmilch Joghurt – mit grossem Erfolg. Wer ist die «Geissenfrau» aus dem Thuner Westamt?
Text & Fotos: Hans R. Amrein
Was schenkt man einem Brautpaar am Hochzeitstag? Zwei Ziegen. Kein Witz: Als sich Sonja und Peter Indermühle im März 2004 in der Kirche von Amsoldingen das Jawort gaben, schenkte man ihnen zwei Ziegen. Sogenannte Saanenziegen. Damit begann auf dem kleinen Bauernhof in der Hirseren bei Amsoldingen im Thuner Westamt die Erfolgsgeschichte der 42-jährigen, in Steffisburg geborenen «Geissenfrau». Fünf Ziegen, siebzehn Milchkühe, zwei Kälber und 10,6 Hektaren Land – das ist das «Reich» von Sonja und Peter Indermühle. Ihr Bauernhof ist klein, aber fein. Das kinderlose Paar lebt vor allem von der Milch der Kühe, die in der nahen Käserei verarbeitet wird – und nebenbei vom Verkauf der Geissen-Joghurts, die jeweils am Samstag auf dem traditionellen Berner Markt in der Münstergasse von einem befreundeten Bauernpaar verkauft werden.
Sonja Indermühle kam also zu ihren Ziegen dank der Hochzeit vor dreizehn Jahren. Als junge Frau lebte und arbeitete sie als landwirtschaftliche Hausangestellte und Tierbetreuerin auf verschiedenen Bauernhöfen in der Schweiz und in Irland. Sie war knapp 20, als es sie nach Irland auf einen Pferdehof zog. Dort sammelte sie wertvolle Erfahrungen für ihr späteres Leben als Bäuerin und Ziegenzüchterin.
Wir sitzen auf einer improvisierten Holzbank (ein Brett und zwei Kisten) auf der grünen Wiese hinter dem Bauernhof in der Hirseren. «Sie wollen jetzt also die Ziegen sehen und fotografieren?», fragt Sonja Indermühle und lacht.
Wenige Minuten später betreten wir den Stall mit der Absicht, die Geissen ins Freie zu locken. Es riecht nach Mist, Heu und Stroh. Die beiden Muttertiere, typische Saanenziegen mit Stammbaum, sind aufgeregt. Sonja Indermühle treibt die beiden Tiere auf die Wiese hinter dem Hof. Doch sie lassen sich nicht einfach herumkommandieren. Ziegen sind eigensinnig, hartnäckig, vielleicht etwas stur – zickig eben. «Geissen sind Sonderlinge und starke Persönlichkeiten», bemerkt die «Geissenfrau», «die Tiere wissen genau, was sie wollen.»
Sonja Indermühle ist seit einigen Jahren Mitglied im Ziegenzucht-Verein Stockental und Umgebung. Die Genossenschaft feiert im Oktober das 75-Jahr-Jubiläum. In einer Festhütte in Blumenstein, wo unter anderem «Miss-Wahlen» stattfinden: Wer ist die schönste Ziege im ganzen Land? Sonjas Ziegen haben reelle Chancen, ganz oben auf dem Siegerpodest zu stehen. Ihre Tiere sind im Zuchtbuch registriert und haben schon oft Preise gewonnen. Die vielen Ziegenglocken und Diplome zeugen davon. Auf was sollte man bei der Ziegenzucht besonders achten? Sonja Indermühle denkt lange nach, während wir unter dem Schatten spendenden Apfelbaum über Ziegen und die Welt sprechen. «Wissen Sie, das ist eine persönliche Frage. Natürlich muss die Milchleistung stimmen, natürlich sollten die Ziegen gewisse Zuchtkriterien erfüllen, eine gute Statur, schöne Euter und Zitzen haben. Auch der Charakter der Tiere spielt dabei eine Rolle. Wichtig ist, dass man auf die Tiere eingeht und sie als Partner sieht.»
«Wichtig ist, dass man auf die Tiere eingeht und sie als Partner sieht.»
Sonja Indermühle spricht von intelligenten Geissen. Intelligenz? Wie drückt sich diese aus? «Ich erzähle Ihnen dazu eine kleine Geschichte: Es war im Winter beim Glütschbach unten. Ich war mit meinen Ziegen auf dem Weg nach Hause. Bei der kaum sichtbaren Wegkreuzung ging es links hinauf. Die Ziegen folgten mir. Als ich einige Wochen später mit den Geissen wieder bei der Wegkreuzung stand, wusste Tessa (die Ziege), dass es links hinauf ging. Sie fand den Weg ohne meine Hilfe.» Apropos Intelligenz: Kann man Ziegen auch dressieren? «Ja, klar, der Zirkus Knie hatte vor ein paar Jahren eine höchst erfolgreiche Ziegen-Nummer im Programm. Laut Zirkus Knie sind die Ziegen die ‹neuen Elefanten›. Und im Zirkus Monti führen Ziegen immer wieder ihre Kunststücke in der Manege auf.» Man könne mit den Ziegen spielen und sie herausfordern, betont Sonja Indermühle, «die Tiere spiegeln unseren Charakter, sie gehen auf uns Menschen ein.»
Themawechsel: Ziegenmilch gilt als fettarm und gesund. In Irland gilt die Ziegenmilch als wertvollste Milch für Kleinkinder. Warum aber verzichtet Sonja Inder- mühle auf die Produktion von Ziegenkäse? Warum produziert sie nur Joghurts aus Geissenmilch? Wichtig zu wissen: Die Ziegenmilch-Joghurts erinnern an griechische Joghurts und haben keinen Geissen-Geschmack. «Ich habe vor drei Jahren mit den Joghurts angefangen. Ich wollte einfach wissen, ob man aus Geissenmilch feine Joghurts machen kann. Schon als kleines Mädchen habe ich auf dem Bauernhof meiner Eltern Experimente mit Milch gemacht.» Fazit: Joghurts aus Ziegenmilch sind machbar – und schmecken wunderbar. «Am Anfang habe ich etwa einen Liter Milch verarbeitet, heute produziere ich fünf bis zwanzig Joghurts pro Woche.»
Die Ziegen-Joghurts werden allerdings nur an private Kunden verkauft – und, wie erwähnt, auf dem Markt in Bern. Sonja Indermühle hat auch nicht die Absicht, eine, wie sie sagt, «Joghurtindustrie» aufzubauen. «Ich bin meinen Verkäufern, der Familie von Gunten, sehr dankbar, dass sie meine Joghurts auf dem Markt in Bern verkaufen.» Übrigens: Die von Guntens züchten Wasserbüffel und verkaufen das Fleisch, aber auch Käse, Butter und andere Landwirtschaftsprodukte auf dem Berner Markt. Doch eines ihrer Highlights sind die Ziegen-Joghurts aus der Hirseren.
Szenenwechsel. Sonja Indermühle treibt jetzt die beiden Gitzi aus dem Stall. Sie wurden im April geboren, ihre Mutter Ursi «wohnt» gleich nebenan. Wie alt wird eine Ziege, will ich wissen. «Gute Frage. Zehn bis fünfzehn Jahre, je nach Lebenswandel», lautet die Antwort der «Geissenfrau». Wenn man die kleinen Geisslein so sieht, wie sie freudig durchs hohe Gras hüpfen, wie sie spielen und auf der Wiese herumrennen, da will man gar nicht an die Tatsache denken, dass Gitzi-Fleisch offensichtlich sehr begehrt ist. Vor allem an Ostern. Frage an Sonja Indermühle: Kommt es vor, dass sie ab und zu eine Ziege ins Schlachthaus bringt? «Ja, das gibts schon. Dort werden aus dem Ziegenfleisch vor allem Wurstwaren gemacht.» Und die beiden Gitzi? Landen die fröhlichen Tierlein nächstens auf der Schlachtbank? «Nein, ich will sie behalten und aufziehen.»
Sonja Indermühle will bewusst nicht zu viele Ziegen züchten, denn der Nachwuchs bedeute «stets eine grosse Belastung für Tier und Mensch». Dadurch kann sich die «Geissenfrau» auch den Weg zum Schlachthaus ersparen. Und trotzdem müsse man die Tiere auch loslassen können, betont Sonja Indermühle. «Es tut zwar weh, aber es gibt Situationen, wo man eine Ziege zum Metzger bringen muss. Vor einiger Zeit musste ich ein Tier ins Schlachthaus bringen und einschläfern lassen. Ich hatte zu der Ziege eine innige Beziehung und konnte deshalb über ein Jahr lang nicht beim Schlachthaus vorbeifahren, ohne an die Ziege zu denken.»
Die Fotos der Ziegen sind im Kasten, die Notizen aus dem Gespräch gemacht. Beim Abschied vor dem Bauernhof drängt sich noch eine Frage auf: «Warum haben Sie, Frau Indermühle, eine so starke Beziehung zu Ihren Ziegen? Warum lieben Sie Ihre Geissen?» Die Antwort der Ziegenzüchterin folgt sofort: «Schauen Sie mich an! Sie sind halt ein wenig wie ich.» Sonja Indermühle lacht und meint zum Abschied: «Kennen Sie das Zitat? Die Ziege gleicht dem menschlichen Herzen, beide machen gern grosse Sprünge.»
«Die Ziege gleicht dem menschlichen Herzen, beide machen gern grosse Sprünge.»
Kontakt
Sonja und Peter Indermühle
Hirseren 1, 3633 Amsoldingen
Tel. 033 341 13 56