Margrit Gennari: «Fröilein, de Nächscht isch denn myne!»

Margrit Gennari: «Fröilein, de Nächscht isch denn myne!»

Margrit Gennari: «Fröilein, de Nächscht isch denn myne!»

«Fröilein, de Nächscht isch denn myne!» Dieser Satz von Tanzlehrer Romeo sollte den Lebensweg der jungen Margrit in eine abenteuerliche Richtung weisen. Aber von Anfang an: Margrit geht mit einer Freundin in den Berner Kursaal zum Tanzen. Die selbstbewusste Aufforderung dieses rassigen jungen Mannes beeindruckt sie. Margrit und Romeo werden ein Paar. 

Text: Thomas Bornhauser, Martina Schenk  |  Fotos: Thomas Bornhauser, zvg

 

Er ist Bauführer und für ihn steht fest, dass er auswandern wird. Margrit zweifelt keinen Moment daran, ihm zu folgen. Die Hochzeit wird im engeren Familienkreis gefeiert. Romeo ist der Jüngste von elf Geschwistern. Margrit trägt ein weisses Brautkleid, das aus weissem, mit Blumen gemustertem Taft für sie genäht wurde. Im Arm hält sie einen Brautstrauss aus weissen Nelken. Auch der Bräutigam kann sich sehen lassen, ein guter Freund von ihm ist Schneider. Ein angemieteter Kleinbus bringt die Hochzeitsgesellschaft von Ostermundigen nach Bolligen in die Kirche; nach dem Zeremoniell zur Feier in einen Landgasthof nach Rüderswil, dem Heimatort des Brautvaters.

Nigeria: das fremde Land

 

Die erste gemeinsame Reise unternimmt das junge Paar per Bahn auf die Insel Elba. Auf der schönen Mittelmeerinsel ist damals ein Cousin Romeos mit seiner Familie zu Hause. Obwohl Margrit und Romeo zu diesem Zeitpunkt noch nicht verheiratet sind, wird Margrit sehr herzlich aufgenommen. 

Schon bald nach der Hochzeit bekommt Romeo die Anfrage, um eine Zementwarenfabrik in Lagos/Nigeria aufzubauen. Begleitet von einem Techniker und anderen Fachmännern reist Romeo nach Nigeria. Die Frauen bleiben vorerst in Bern, Margrit arbeitet weiterhin als Verkäuferin in der Papeterie-Abteilung des Warenhauses Loeb in Bern und nützt ihre freie Zeit, um Englisch zu lernen. In Nigeria wird derweil die Infrastruktur für die Zukunft erschaffen: Erst muss für den Bau der Fabrik und für die Unterkünfte der Europäer gerodet werden. Auch sogenannte «Boysquarters», Häuser für die einheimischen Angestellten, werden errichtet. Als alles soweit fertig ist, folgen Margrit Gennari und die Frau des Technikers ihren Männern in das fremde Nigeria. 

Diego, Corinna und Franco 

 

Margrit erinnert sich gerne an die vielen Jahre in Afrika. Zu ihrem Haushalt gehörten ein Gärtner, ein Hausboy und ein Koch, der von ihr das Kochen lernte. Wenn Margrit mit Humor und Freude von Begebenheiten mit ihnen erzählt, spürt man deutlich ihre Grossherzigkeit. Auch für uns nicht ganz alltägliche Haustiere zählten zur Familie: Romeo hielt einen Rotaffen namens Julia. Romeo und Julia, was für ein historisches Paar! Ein anderer Hausbewohner war Pepin, ein Graupapagei. Gennaris waren tierlieb, so gab es auch einen Hund und Katzen. In der Freizeit unternehmen sie viele Ausflüge und erkunden mit ihrem für damalige Verhältnisse exklusiven Opel das abenteuerliche Land. 1957 bringt Margrit ihr erstes Kind zur Welt, Diego. Margrit fühlt sich sehr wohl in ihrer Umgebung, so macht es ihr auch nichts aus, dass dem Krankenhaus von Lagos noch einige Wände fehlen und sogar einige dunkelhäutige Bauarbeiter Einblick in das freudige Geschehen nehmen können. Margrit erinnert sich noch genau an die Worte des schwarzen Arztes: «Push your baby out!» Dem Erstgeborenen folgt zwei Jahre später eine Schwester, Corinna. Wiederum zwei Jahre später Franco. Margrit kann Franco nicht stillen, so wird die Babymilch kurzerhand eingeflogen. Durch den Bau der Zementfabrik haben Gennaris viele Freundschaften zu anderen Europäern und auch zu Einheimischen. Die Kinder wachsen mit weissen und farbigen «Gschpänli» auf. Im Haushalt gehen die feinen Bananen nie aus, Romeo hat immer einige Stauden in der Küche aufgehängt. So machen sich die Kollegen und Bekannten von Romeo einen Spass daraus, im Vorbeigehen zu fragen, «Röme hesch no Banane?» Und Röme hatte immer welche, aber die Kollegen lachten bloss, wollten nicht wirklich Bananen, die es ja immer im Überfluss gab. Neben Arbeit und Familie haben Margrit und Romeo auch noch Zeit zum Theaterspielen. Für die ledigen Arbeitskollegen Romeos erledigt Margrit gerne Flickarbeiten. Es waren glückliche Jahre. Romeo nannte seine Frau liebevoll Müs. 

 

Zu ihrem Haushalt gehörten ein Gärtner, ein Hausboy und ein Koch, der von ihr das Kochen lernte. 

Zurück in die Schweiz…

 

Nigeria, damit das auch gesagt ist, ist ein Vielvölkerstaat mit zwei Hauptreligionen, dem Christentum im Süden Nigerias und dem Islam im Norden. Seit der Unabhängigkeit Nigerias von Grossbritannien 1960 ringen bis heute die verschiedenen Völker Nigerias um die Vormachtstellung im Staat. Dabei fühlen sich vor allem die in der Biafra-Provinz beheimateten christlichen Igbo gegenüber den muslimischen Hausa und Fulani des Nordens benachteiligt. Verschärft wurde der Konflikt dadurch, dass in der Nähe des Igbo-Siedlungsgebietes im Nigerdelta Erdöl entdeckt wurde, das bald zu einer wichtigen wirtschaftlichen Stütze Nigerias heranwächst. 1966 putschten Igbo-Offiziere um Major Chukwuma Kaduna Nzeogwu, um die Macht zu erringen. Dabei wurde der nigerianische Premierminister Abubakar Tafawa Balewa getötet. Von den Igbo-Offizieren übernimmt General Johnson Aguiyi-Ironsi die Staatsgewalt. Durch diese Übernahme befürchtet die restliche Bevölkerung Nigerias, zukünftig von den Igbos unterdrückt zu werden. 

1967 beginnt der Biafra-Krieg. Die Familie Gennari wird gezwungen, die Heimreise in die Schweiz anzutreten. Ein Frachtschiff befördert sie von Lagos nach Oran, einer algerischen Küstenstadt. Als das Schiff hier im Hafen liegt, durfte wegen des Krieges niemand von Bord. Die lange Reise geht weiter nach Genua. Einige Monate ist die Familie bis dorthin unterwegs. Die Crew ist italienisch und sehr kinderlieb. Die Schiffsarbeiter bauen für die drei noch kleinen Gennari-Kinder «Rittiplampi», erinnert sich Margrit. Der Pflegesohn von Romeos Schwester holt die Familie in Genua ab. Zurück in Europa, findet Margrit Arbeit im Service und arbeitet später 22 Jahre in der Heimstätte Gwatt.

So wie die Gennaris mussten viele Europäer Nigeria unfreiwillig verlassen, deshalb wurde in der Schweiz ein «Afrika-Club» gegründet. Hier verbrachten die Gennaris Zeit mit Bekannten aus Afrika, Menschen, die ihre Erinnerungen an die schönen Jahre teilten. Dem glücklichen Leben von Margrit wird viel Kraft abverlangt, als ihr geliebter Romeo an einem Herzinfarkt stirbt. Noch einen grossen Schicksalsschlag musste Margrit bewältigen, als ihr Erstgeborener Diego seinem Vater viel zu früh in den Himmel folgt.

…und in die Sonnmatt

Heute lebt Margrit Gennari in der Sonnmatt von Wohnen im Alter Thun, in einer kleinen schmucken Wohnung, dekoriert mit einigen schönen Handwerksarbeiten aus Nigeria. In einem Bücherregal finden sich einige Fotoalben mit unglaublichen Fotos aus ihrer aussergewöhnlichen Zeit in Afrika. Im gemütlichen Wohnzimmer stehen Fotorahmen, aus denen Menschen lächeln, die in Margrits Leben von grosser Bedeutung sind. Ihre beiden Kinder Corinna und Franco leben ganz in der Nähe und pflegen eine liebevolle und herzliche Beziehung mit ihrer Mutter.

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