Leben im Alter: «Die Leute gehen eher zu spät ins Altersheim»
Leben im Alter: «Die Leute gehen eher zu spät ins Altersheim»
Geboren 1935, also 86-jährig ist Fritz Fausch, den wir im Alters- und Pflegeheim Sonnmatt in Thun treffen. Und Staunen ist erlaubt: Mental ist er «zwäg» wie viele seiner jüngeren Zeitgenossen nicht mehr. Sein Erinnerungsvermögen ist top, einzig das Kurzzeitgedächtnis hat nachgelassen. So macht es Spass, mit älteren Leuten zu reden, er in hörbarem «Züritütsch». «Aber Bärndütsch chan ig o, wenn ig wott.»
Text: Thomas Bornhauser | Fotos: Thomas Bornhauser, zvg
Geboren wird er am 6. Mai in Zürich, der Vater ist Sigrist in der Reformierten Kirche in Zürich-Altstetten, die Mutter Hausfrau – «wie das synerzyt halt eso gsy isch». Er ist das älteste von fünf Geschwistern, nach ihm folgen Schwestern. Zur Schule – Prim und Sek – geht Fritz Fausch in Zürich-Altstetten, anschliessend beginnt er eine Ausbildung als Maschinenschlosser bei der «einst so stolzen» Escher-Wyss. Fritz Fausch mit hörbarem Stolz: «Die ‹Blümlisalp› auf dem Thunersee hat Escher-Wyss gebaut, ebenso die ‹Lötschberg› auf dem Brienzersee.» Nach der Rekrutenschule in Thun als Geschützmechaniker geht er als Werkzeugmaschinen-Reparateur kurz zu Escher-Wyss zurück, bevor er die UO absolviert und den Korporal abverdient. Dort werden die Weichen für seine berufliche Zukunft gestellt: Der Schulkommandant fragt Fritz Fausch, ob er als Fachausbildner in Thun bleiben möchte. Er will.
Franz und «Itu» gelernt
Das einzige Problem: Für einen späteren beruflichen Aufstieg ist gutes Französisch Voraussetzung, bei Fritz Fausch ist nach Schulfranzösisch und Freikursen das nicht der Fall. Also setzt er sich ein halbes Jahr nach Paris ab, heuert bei Citroën an und lernt die Sprache Voltaires, «wie ein kleines Kind», präzisiert er. Er will Französisch von Grund auf lernen, zuerst nur einfache Sätze, um sich anschliessend ständig zu steigern. Das klappt auch – wie später ebenfalls beim Italienisch, als er für Instruktionskurse immer einen Tag zuvor ins Tessin reist, um mit den Einheimischen zu sprechen und um sein Ohr an ihre Sprache zu gewöhnen.
Item: 1958 wird er Instruktor-Anwärter in der Geschütz- und Gerätemechanikerschule auf dem Waffenplatz Thun, 1960 zum Instruktor befördert. Das bleibt er bis zu seiner Pension.
In Thun lernt er auch Heidi kennen, seine spätere Frau, die damals als Schneiderin im Spital Thun arbeitet. Heidi und Fritz Fausch werden zwei Kinder geschenkt, Martin 1960 und ein Jahr später Regula. Heute ist Fritz Fausch dreifacher Grossvater. 2004 der schmerzhafte Schicksalsschlag: Heidi stirbt nach schwerer Krankheit. Übrigens: Der 86-Jährige wohnt über ein halbes Jahrhundert am Arvenweg 38 in Thun. Dort auszuziehen, zwingt ihn eine Legionellen-Pneumonie, eine schwere Lungenentzündung, die ihn vier Monate plagt. «Der Hausarzt glaubte nicht mehr an ein Aufkommen, aber ich hatte das Gefühl, für den Fritz Fausch sei es höchstens fünf vor zwölf, ich habe mich zurückgekämpft. Seit Ende März bin ich in der Sonnmatt, weil ich heute auf einen Rollator angewiesen bin.»
Seine Frau Heidi mit den Kindern Martin und Regula.
Weltenbummler
Bevor wir auf seinen Beruf zu sprechen kommen, will ich wissen, welche Hobbys Fritz Fausch heute hat. Er schmunzelt. «Ach, ich geniesse den Alltag, das Leben.» Früher war er ein ausgesprochenes «Reisefüdle», zusammen mit seiner Frau, nach ihrem Tod später mit einer Partnerin, die Fritz Fausch aber ebenfalls überlebt hat.
In Spitzbergen war er – insgesamt viermal in Norwegen –, in Australien («Was für ein Erlebnis, die Einsamkeit im Outback!»), dreimal in Kalifornien, wo er mit seiner Partnerin deren Sohn in Fresno besucht. Unter dem Motto «Weshalb in die Ferne? Das Gute liegt so nah» unternimmt er auch Flussfahrten auf Donau, Rhein, Mosel, Rhone und Seine. «Immer mit Mittelthurgau, die machen das fantastisch.» Diese Aussage nötigt dem Schreibenden ein zufriedenes Lächeln ab, denn nur zwei Tage nach unserem Gespräch wird er als Krimiautor selber eine Flussreise mit Mittelthurgau auf dem Rhein von Basel nach Amsterdam retour begleiten und die Gäste mit Lesungen und Erzählungen von seinen Recherchen unterhalten.
Die «Herzfehler»-Artillerie
Wir kommen dann auf seine Zeit als Instruktor zurück, insbesondere bei den Materialtruppen. Es fallen Nennungen wie G13, LPz, Centurion, Pz68 und Leopard – die ganze Palettenentwicklung während mehreren Jahrzehnten. Plötzlich beginnt Fritz Fausch zu lachen. «Ach ja, da war doch noch die Sache mit der ‹Herzfehler›-Artillerie…» Wie bitte? Herzfehler-Artillerie? Er erklärt sich. Auch die Fliegerabwehr entwickelte neue Geräte, «wurde von der Kanone zur Lenkwaffe». Die besagte Truppe wurde 1938 eingeführt. Und das hiess: Viele junge Männer, die eigentlich dienstuntauglich waren, kamen über die Nachrekrutierung zur Fliegerabwehr, weil diese voll motorisiert war, sodass sie keine körperlichen Anstrengungen fürchten mussten… Daher der Übername dieser Truppengattung.
Links: Der Armee ist Fritz Fausch treu geblieben, wie seine Mausmatte mit dem Emblem «Führungsstab der Armee» zeigt. Rechts: Für Fritz Fausch zeigt diese Pendüle an der Wand noch lange nicht fünf vor zwölf.
Armeespitze verunsichert
Interessant dann seine Einschätzung der Armee damals und heute. Früher hiess es einfach: «Das wird so gemacht. Ausführen!» Heute jedoch sei die Armeeführung zumindest zum Teil verunsichert, weil Medien und vor allem die sozialen Kanäle umgehend alles kritisieren würden, was es auch nur im Ansatz zu kritisieren gibt, ob zu Recht oder zu Unrecht sei gar nicht erst die Frage. Hauptsache Aufmerksamkeit für diese Kreise. Man stelle sich vor, ein Privatunternehmen würde so geführt …
Zum Schluss will ich von ihm wissen, was ihm in diesem Interview wichtig ist. Seine Antwort kommt umgehend: «Ich finde, die Leute gehen zu spät ins Altersheim.» Wie denn das? «Ich bin auch einer von denen, die nie in ein Altersheim wollten. Irren ist aber menschlich.» Fritz Fausch erklärt sich. Im allerletzten Moment – wenn es anders nicht mehr geht – ins Altersheim zu gehen, führe in vielen Fällen dazu, dass man sich isoliere, dass man das Zusammenleben mit anderen Menschen ausschliesse. Und noch schlimmer: Man sei in einer solchen Lebensphase nur noch auf sich selber fokussiert, verstehe deshalb nicht, dass zum Beispiel das Pflegepersonal – «Sie machen eine tolle Arbeit!» – für alle da sein muss, nicht nur für einen selber.
«Wenn wir hier eines haben, dann ist es … Zeit, also sollten wir versuchen, flexibel damit umzugehen. Man muss nicht meinen, man müsse etwas zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt machen oder bekommen. Nun ja, sieht man von den Essenszeiten ab.» Gelassenheit sei eine Tugend. Vor allem im Alter. Dem gibt es wahrlich nichts hinzuzufügen.
Von Kampfflugzeugen und Korea-Uniformen
Ob die Schweiz Kampfflugzeuge brauche? Fritz Fausch überlegt lange. «Ja, ich bin davon überzeugt, denn solange wir keiner Allianz angehören, wie zum Beispiel der NATO, müssen wir unseren Luftraum schützen.» Gerade 9/11 habe gezeigt, dass es den bisher klassischen Feind nicht mehr gebe, Terrorismus stünde im Vordergrund. Zudem: «Der Luftraum hat gegenüber Bodentruppen an Bedeutung zugenommen.»
Lustig hingegen folgende Episode: Bekanntlich ist die Schweiz Mitglied der Waffenstillstandskommission in Panmunjom/Südkorea, heute mit nur mehr wenigen Mitgliedern. In den 60er-Jahren standen beinahe 100 Leute im Einsatz, alle mit Uniformen «aus feinem Stoff», erinnert sich Fritz Fausch. Als die Leute in die Schweiz zurück-kehrten – um neuen Kollegen Platz zu machen – mussten sie ihre Uniformen zurückgeben. «Diese konnte man dann zu günstigen Preisen kaufen», lacht Fritz Fausch.