Franziska Streun: Die Thuner Geschichten­schreiberin

Franziska Streun: Die Thuner Geschichten­schreiberin

Franziska Streun: Die Thuner Geschichten­schreiberin

Franziska Streun ist Journalistin und Autorin aus Thun. Dieses Jahr erhielt sie für ihr Schaffen den Literaturpreis ihrer ­Heimatstadt. Im Gespräch mit der ThunerseeLiebi erzählt sie von ihrer Arbeit und davon, wie es sich anfühlt, für ihre Leidenschaft mit diesem Preis ausgezeichnet zu werden.

Text: Melissa Guglielmo  |  Fotos: Melissa Guglielmo, Michael Streun, Steve Wenger, zvg

Es ist ein sonniger Herbsttag in Thun. Ich treffe Franziska Streun am Eingang zum wunderschönen Bonstettengut, wo sich heute eine Musikschule befindet. Bis vor 50 Jahren lebte dort aber noch die Baronin Betty Lambert. Im Laufe unseres Gesprächs erfahre ich einiges über Bettys Geschichte, denn genau damit hat sich Franziska Streun während der letzten Jahre beschäftigt. Wie vertieft sie in ihre Arbeit ist, zeigt sich schon vor unserem ersten Treffen: Auf meine Anfrage für ein Interview antwortet sie direkt, ob ich mit dem ­italienischen Schriftsteller und Literaturkritiker Guglielmo degli Alberti la Marmora verwandt bin. Mein Nachname sei ihr sofort aufgefallen, weil er in Bettys Gästebuch vorkomme. Ich verneine, bin jedoch fasziniert von ihrem Wissen zu diesem Thema. Beim Gespräch mit ihr wird mir dann bewusst, dass ihr Wissen aus gutem Grund so tief geht: Seit 2013 befasst sie sich nun schon mit der Rothschild-Nachfahrin, die in Gwatt ein faszinierendes und bewegtes Leben geführt hat. Doch wie kam Franziska Streun überhaupt zum Schreiben?

Auf der Suche nach «dem Funken»

Franziska Streun hat in ihrem Leben schon einige Karrieren ausprobiert. Sie trat eine KV-Lehre in Bern in einem Reisebüro an, brach ab und zog noch als Teenager nach Zürich, wo sie ihre «Lebensuniversität» begann. Danach wechselte sie alle zwei Jahre Arbeitgeber, Branche und teilweise auch Beruf auf der Suche nach etwas, was sie erfüllt. Nach dem Gang zum Grafologen landete sie schliesslich 1985 bei der SRG. Dort blieb sie eine Weile und wechselte intern wiederum alle paar Jahre die Stelle. Als sie schliesslich für die Liebe zurück nach Thun zog, wechselte sie bei der SRG intern zum Schweizer Radio International und kam so zu einer Pressestelle. Obwohl sie alles immer sehr interessant fand, hat sie nie einen «Funken» gespürt. Sie war ständig auf der Suche nach dieser einen Sache, die zu ihr passt. Zeitweise betrieb sie mit ihrem ersten Mann gar eine Beiz oder ging zurück zur Schule, um das Gymnasium nachzuholen, doch ihr fehlte immer die Leidenschaft. Schliesslich bewarb sie sich 1995 beim Thuner Tagblatt, wo sie als freie Journalistin eine Stelle fand. Sie erinnert sich noch bestens an ihren ersten Auftrag: Sie schrieb über die Einweihung der Spielkajüte des Dampfschiffes Blümlisalp. Dieser Moment «schlug ein wie eine Bombe». Sie weiss noch genau, wie sie unter einem Baum im Garten sass und ihr ganzer Körper während des Schreibens vibrierte und pulsierte, denn endlich wusste sie: Das ist es! Seither arbeitet sie beim Thuner ­Tagblatt zunächst als freie Journalistin, dann als redaktionelle Mitarbeiterin und schliesslich als Redak­torin. 

2004 erhielt sie eine Anfrage von Bettina Joder Stüdle für ein Projekt über das Thuner Stadtoriginal Eduard Aegerter, aus dem ihr erstes Buch entstehen sollte. Danach haben immer wieder aussergewöhnliche Geschichten den Weg zu ihr gefunden. So hat sie bereits vier Bücher veröffentlicht: «Eduard Aegerter – Querkopf und Aussenseiter», «Rückkehr ohne Wiederkehr», «Mordfall Gyger – eine Spurensuche» und zuletzt «Die Baronin im Tresor», die Romanbiografie über Betty Lambert. Im Herbst 2019, als sie merkte, dass Bettys Geschichte enorm viel Zeit beansprucht, hat sie ihr Pensum beim Thuner Tagblatt auf 50 Prozent reduziert. Dieser Mix entspricht ihr sehr gut, auch wenn es trotzdem manchmal ein bisschen viel wird. Durch das Schreiben hat sie endlich den Funken gefunden.

Dieser Moment «schlug ein wie eine Bombe». Sie weiss noch genau, wie sie unter einem Baum im Garten sass und ihr ganzer Körper während des Schreibens vibrierte und pulsierte, denn endlich wusste sie: Das ist es!

Lebensgeschichten schreiben

Sie glaubt, dass es einerseits das Schreiben ist, das sie fasziniert. Andererseits ist es aber vor allem auch das Aufspüren von Themen und daraus Lebensgeschichten zu schreiben, die Leute interessieren und die sie lesen wollen. Es ist dieser Prozess der Umwandlung, der ihr gefällt: das Aufnehmen, das Beobachten, das Erfragen und diese Geschichten dann zu Papier zu bringen und zum Leben zu erwecken. Das Schreiben und der ganze Prozess der Recherche gefallen ihr sehr. Für sie war es antreibend, zu wissen, dass es etwas auf dieser Welt geben muss, was ihr entspricht und eben diesen Funken auslöst, der ihre ganze Kraft und Energie entfacht. Genau das hat sie mit dem Schreiben und Erzählen von Geschichten gefunden. Natürlich freut sie sich dann auch, wenn ihre Bücher verkauft und gelesen werden. Am meisten freut es sie aber jeweils für die Figuren ihrer Bücher, dass ihre Geschichten den Weg zu den Leuten finden, denn sie sei durch das Schreiben mit den Personen in ihren Büchern verbunden. 

Ich frage sie, wie sie vom Journalismus den Weg zum Roman gefunden hat, ob ihr der Journalismus dabei geholfen hat oder ob es eher eine Hürde war, vom journalistischen Berichten zum belletristischen Schreiben zu wechseln. Das Einweben von Roman­elementen habe sich einfach ergeben. Generell lässt sie sich vor allem durch die Geschichten selbst leiten. Wenn sie ein Projekt anpackt, merkt sie meist schnell, in welche Richtung es gehen wird, und für ihre ­Bücher hat es diese Elemente gebraucht, um die Geschichten vollständig zu machen. Im Herzen ist sie eine Journalistin, aber durch ihre Bücher hat sie nun auch Ge­fallen am freien Schreiben gefunden. Bereits drei ihrer Werke enthalten Roman­elemente, und gerade ist sie dabei, zwei neue Projekte auf die Beine zu stellen, beides Romane. Obwohl ihr auch das Recherchieren gefällt, freut sie sich darauf, das freie Schreiben noch mehr zu explorieren. Als Hürde dabei nennt sie eher sich selbst und meint damit das Hadern, Nachdenken und auch ein wenig das Zweifeln, ob sie das Buch jeweils tatsächlich schreiben kann, wie sie es vor sich sieht. Sie versucht auch bei ihren Kolumnen schon immer, das Thema in eine Geschichte zu ver­packen, und das Schreiben ist ein stetes ­Vorwärtsgehen, bei dem sie immer mehr Werkzeuge in ihren Rucksack packt. 

Ihr bisher grösstes Projekt dreht sich um Betty Lambert. Nachdem Bettys Enkel ein altes Gästebuch mit 1200 Signaturen seiner Grossmutter fand, erhielt Franziska Streun 2013 die Anfrage, die Unterschriften darin zu entziffern und «ein Büchlein» darüber zu schreiben. Schnell stellte sich jedoch heraus: Das wird mehr! Eine Romanbiografie. Wenn man alles hochrechne, komme man leicht auf über 10 000 Stunden, die sie in dieses Projekt investiert habe. Hinter jeder Tür seien zehn weitere aufgegangen, denn Betty führte ein bewegtes Leben. Beispielsweise war sie vor und während des Zweiten Weltkrieges Fluchthelferin und die wohl international am weitesten vernetzte Jüdin in der Schweiz. Hinzu kam, dass Franziska Streun auch die Erwartung an sich selbst hatte, ein Buch zu schreiben, das «verhäbt» und auch für die Familie stimmt.

Links: Betty Lambert 1950 im Vogue-Studio in New York. Mitte und rechts: Mit Alexis, ihrem zweiten Sohn aus erster Ehe, am Tisch im Garten der Campagne Bellerive (Bonstettengut im Gwatt, damals noch eine Sommer-residenz) und deren Herrschaftsvilla mit Ehrenhof (im Vordergrund ist ihr Hund Scrumpi zu sehen).

Literaturpreis und die Zukunft

Franziska Streun wurde von der Stadt Thun mit dem diesjährigen Literaturpreis ausgezeichnet. Sie kann es gar nicht recht beschreiben, denn sie hat sich wahnsinnig gefreut und hat es überhaupt nicht erwartet. Sie ist an eine Sitzung eingeladen ­worden, und sie erinnert sich, wie sie bei 30 Grad mit dem Velo dorthin geradelt ist und sich überlegt hat: «Wenn das jetzt ein super Projekt ist, wo bringe ich das zeitlich noch rein?» Als man ihr an der Sitzung dann gesagt hat, worum es geht, ist sie aus allen Wolken gefallen. Es habe sie so berührt und gefreut. Es sei natürlich sehr ­motivierend, und es tue gut, diese Wertschätzung zu erfahren. 

Zum Schluss frage ich sie, was sie denn als nächstes gerne machen würde. Gerade ist sie noch an zwei weiteren Projekten dran, eines davon ein Abschluss zu Bettys Geschichte mit Fokus auf ihre Fluchthilfe und ihr Anwesen als stille Drehscheibe im Widerstand gegen Hitler. Aber wenn sie Zeit hätte und sich ein bisschen zurücklehnen könnte, dann würde sie am liebsten schauen, was alles aus ihr herauskommt, wenn sie einfach mal drauflosschreibt. In ihrem Alter habe man ja doch schon einiges erlebt und eine gewisse Fülle an Lebensweisheiten. 

Persönlich hoffe ich, dass Franziska Streun bald die Zeit dafür findet, denn nach meinem Gespräch mit ihr weiss ich: Ihre Geschichte ist genauso faszinierend, wie die der Protagonist:innen in ihren Büchern.

Franziska Streun ist Journalistin und Autorin und stammt aus Thun, wo sie auch heute noch mit ihrem langjährigen Partner, dem bildenden Künstler Michael Streun, lebt.

Wenn sie gerade mal nicht recherchiert und schreibt oder im In- und Ausland für Lesungen oder für ihre eigenen Führungen «Unterwegs mit der Baronin» im Bonstettenpark beschäftigt ist, verbringt sie gerne Zeit mit ihm und ihren Liebsten, besonders auch mit ihrem Patenkind. Sie geht gerne ins Kino, zu Ausstellungen, treibt Sport, liest, organisiert Anlässe und führt oft philosophische Gespräche über das Leben und die Welt.

Momentan macht sie eine Ausbildung zum Coach. Sich weiterbilden ist ihr seit je her wichtig. In diesem Fall tut sie dies bewusst in einem Bereich, den sie einerseits beim Schreiben integrieren kann und der sie andererseits dabei unterstützt, das Gelernte und eigene Lebenserfahrungen sowohl im Alltag als auch bei Coachings einzubringen. 

Kontakt:
Franziska Streun
info@franziskastreun.ch
www.franziskastreun.ch

Hinterlassen Sie einen Kommentar

* Erforderlich