Restaurant Rebleuten: Ein Leben für die Musik

Restaurant Rebleuten: Ein Leben für die Musik

Restaurant Rebleuten: Ein Leben für die Musik

Die Geschichte der Wirtschaft zur Rebleuten in Oberhofen ist eine wechselvolle – das ursprüngliche Weinbauernhaus wandelte sich im Laufe der Geschichte in einen eigentlichen Saloon um. Auch in den USA gibt es unzählige dieser «Spunten», wo das Rad der Zeit zurückgedreht wird. Speziell in Oberhofen: Die Gaststätte gilt heute als International Country Music Hall of Fame of Switzerland, mit entsprechender Einrichtung, ent- sprechenden Bildern an der Wand und einem speziellen Stück Parkettboden. Doch der Reihe nach.

Text und Bilder: Thomas Bornhauser, zog

Nein, weder Mozart noch Beethoven haben das Geschwisterpaar Sue und Thomas Schmid – beide in Oberhofen geboren – zur Idee ihrer Gaststätte motiviert. Schaut man sich nämlich im Lokal um, weiss man sofort, woher der Wind weht. An den Wänden im ersten Stock hängen unter vielen anderen die Fotos und Erinnerungsstücke von Jerry Lee Lewis, Johnny Cash, Loretta Lynn, Dolly Parton, Willie Nelson. Auch akustisch wird man gleich bei der Begrüssung in die richtigen Bahnen gelenkt. Sue Schmid ist Musikjournalistin und bei Radio BeO die Stimme von «BeO-Country».


Der Jodlerklub Oberhofen

Weshalb es wichtig ist, dass diese International Country Music Hall of Fame den Zusatz «of Switzerland» trägt, ist im Erdgeschoss augenfällig. Da sind – noch – keine US-Stars zu sehen, sondern eigene Musizierende aus Helvetien, beginnend mit dem Jodlerklub Oberhofen und ihrem berühmten Dirigenten und Komponisten Adolf Stähli, der, dies nur nebenbei, auch Coiffeur und Standesbeamter war. Staunen erlaubt. Sue Schmid löst den Knoten: «Wir haben auch Countrymusik in der Schweiz, nur heisst die hier volkstümliche Musik.» Und deshalb bekommen Besucherinnen und Besucher erst einmal Plakate, Schallplatten und Erinnerungsstücke von bekannten Künstlern wie Nico Brina, Jimy Hofer, John Brack, Polo Hofer oder Knopf zu sehen. Auch Jeff Turner ist vertreten, von dem eigentlich niemand – auch Sue Schmid nicht – weiss, dass er das vielleicht schönste Musical aller Zeiten geschrieben hat, mit dem Arbeitstitel «Der General», welches das Leben von Johann August Sutter besingt. Schade, konnte er es nie auf die Bühne bringen. Alles wunderschöne Songs, regelrechte Ohrwürmer, einer nach dem anderen. Aber um das zu besprechen, sind wir ja nicht in Oberhofen. Oben im ersten Stock dann die eigentliche Hall of Fame, made in America. Logisch, die Fahnen der Bundesstaaten Texas und Tennessee als Wie- ge der Countrymusik sind ebenso vorhanden wie die Autoschilder und die für die Szene typischen Kleidungsstücke. Die Geschichte rund um ein kleines Stück Parkett aus dem Badezimmer von Elvis ist speziell. Sogar sehr speziell. Sie ist auch mit dem Namen Johnny Cash verbunden, denn einmal reiste Sue Schmid zum Rückzugsort des Sängers, zur Hideaway Farm. Dort half sie dem heutigen Besitzer, Trouvaillen von vielen Stars zu sortieren, nicht bloss von Johnny Cash. Als Dank dafür erhielt die Oberhofnerin einige weltweit einzigartige Souvenirs, unter anderem das Parkett, über das Elvis gelaufen ist. Und wohl auch seine Frau Priscilla. Und, und, und … Wie auch immer: Der Mann meinte, Sue solle doch ihr eigenes Museum gründen, weil sie ihm von ihrem Country-Sammelsurium in Oberhofen berichtete, das sich am Thunersee über viele Jahre angesammelt hatte. Und so kam es, dass… eine International Country Music Hall of Fame of Switzerland in Oberhofen entstand.


Ausbildung in Thun

Musik fasziniert Sue Schmid – die das Lokal zusammen mit ihrem Bruder Thomas führt – seit der Kindheit. Ihr war immer klar, dass man sich mit Liedern viel präziser als nur mit Worten ausdrücken kann, denen die Stimme fehlt. Sie fing an, Klavier zu spielen, engagierte sich «mit Haut und Haaren» später als Lernende bei Radio Moser in Thun. Ihren eigentlichen musikalischen Urknall hatte sie während ihrer Lehrzeit, als sie sich berufsbedingt näher mit Rock ’n’ Roll, Blues und eben Country beschäftigten musste. Wäre es damals nach ihr gegangen, würden heute auch Fotos von ihr als Countrystar in Oberhofen hängen… Daraus wurde aber nichts. Auch etwas anderes hat Sue Schmid nie realisieren können: Ursprünglich wollte sie Klavierbauerin werden, «damit ich das Klavier auch wieder zusammenbasteln kann, wenn ich es bei einem wilden Rock ’n’ Roll zerlege…». 


Tricky Sue

1988 reiste sie erstmals in die USA, zu einem Zeitpunkt, da Ronald Reagan Präsident war und sich – wie haben sich die Zeiten verändert! – glänzend mit seinem russischen Amtskollegen verstand. Was bleibt ihr von diesem ersten Trip to the USA in Erinnerung? Sie lacht. «Wissen Sie, mein Vater wollte keinesfalls, dass ich mich gross der Musik widme und mein Leben danach ausrichte, also habe ich mich eines Tricks bedient.» Angeblich weil sie ihren Cousin in Montreal besuchen und dort bei ihm im Restaurant arbeiten will, reist sie zuerst einmal nach Kanada. Zusammen mit einer Freundin und ihrem Bekannten Dänu. Den brauchten die beiden Damen, weil nur er einen Führerausweis besass. Und so ging es dann bald einmal nach Nashville und Memphis, ihre beiden Begleiter hatten null Ahnung, was genau (frei nach Johnny Cash) How-do-you-do-my-name-is-Sue während ihres Aufenthalts eigentlich vorhatte. Und hier tasten wir uns an ein grosses Geheimnis heran. Sue Schmid kennt oder kannte sie alle, die Grössen im Bereich Rock ’n’ Roll und Country und hat die meisten Stars getroffen. Da bleibt dem arrivierten Musikkenner nur noch das Staunen übrig und die Spucke weg. Wie hat sie das geschafft? «Nun, ich habe immer geschaut, wer wann wo spielt – und dann habe ich mich nach Gstaad, nach Nashville oder nach Austin aufgemacht. Einfach so. Ich habe mich nie als Journalistin verstanden oder gar ausgegeben, ihnen dabei das Gefühl vermittelt, ich sei etwas Spezielles, sondern das Vertrauen der Leute gesucht.» Bescheidenheit ist bekanntlich eine Tugend. Mehr noch: Viele ihrer Begegnungen mit Weltstars behält sie für sich und mag sich nicht in der Musikszene damit produzieren. Neid hat bekanntlich viele Feinde. Und sie will auch nicht, dass diese Begegnungen gross veröffentlicht werden. «Wichtig ist, dass ich sie erleben durfte.» 

Je länger man Sue Schmid zuhört, desto mehr kommt einem der Eisberg in den Sinn. Alles, was man im Erdgeschoss und Obergeschoss zu sehen bekommt, ist mit den zehn Prozent zu vergleichen, die einen Eisberg sichtbar machen. Das wirklich Wichtige verbirgt sich unter Wasser beziehungsweise in den Erinnerungen und Erzählungen von Sue Schmid. Faszinierend. Was auffällt: Johnny Cash ist omnipräsent, ein erklärter Liebling der 54-Jährigen. Ein Bild zeigt ihn, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis und Elvis Presley als Quartett bei Sun Records. Und schon folgt eine weitere Überraschung – nach dem «General» – für die engagierte Moderatorin bei Radio BeO. «Kennen Sie das Musical ‹The Million Dollar Quartet›, das genau von diesen vier Herren gespielt wird?» Sie muss passen. Also sei (nicht nur) ihr YouTube empfohlen, mit dem entsprechenden Suchbegriff.

Radio BeO und Countrymusik: War da zu Beginn nicht ein gewisser Mike Parkin, der dieses Sendegefäss gestartet und gefüllt hat? «Ja, Mike war mein eigentlicher Mentor, hat mich gefördert.» Und das ging zu Beginn so, in Stichworten: Mike geht zu Moser Radio, erkundigt sich nach einem bestimmten Countrysänger. Sue hat noch null Ahnung. «Ich komme in einer Woche wieder, du sagst mir dann alles, was du herausgefunden hast.» Und so wiederholt sich die Episode Woche für Woche. Mike hat die Infos, die er für seine Sendungen braucht, Sue vertieft sich immer mehr in die Szene.  Es ging so weit, dass ihr Mike für einen längeren Aufenthalt in den USA 1000 Dollar cash – nicht Johnny – mit auf den Weg gibt, mit der Aufforderung, ihm jede Woche zu telefonieren, was in der Branche ennet des Teichs gerade so abgeht, und sich entsprechend einzudecken. «War das Geld weg, gab es Nachschub. Heute sagt man dem eine Win-win-Situation.» So waren beide zufrieden und auf dem neusten Stand, samt aller «special deals», von denen ansatzweise hier die Schreibe war. 

Sue Schmid bietet auch Führungen in ihrem Reich an, für Gruppen bis maximal zehn Leute. Voranmeldung obligatorisch. Logisch, es sind alles Country- und Rock-’n’-Roll-Interessierte, die vorbeischauen. Und wie reagieren die Besucherinnen und Besucher, wenn sie Teil der Geschichte werden? «Schweizerinnen und Schweizer sind beeindruckt, was für ein kleines, aber feines Museum ich da habe. Die Amerikaner hingegen flippen schier aus, wenn sie weitab der Heimat die Wände zu sehen bekommen. «It’s unbelievable!» Und vor lauter Begeisterung hätte der Schreibende doch fast vergessen, dass der Ort auch ein Restaurant ist, in welchem Thomas Schmid die Kochlöffel schwingt – für eine gutbürgerliche und preiswerte Küche.

Die Geschichte

Bei der Liegenschaft handelt es sich um das ehemalige Weinbauernhaus des Försters und Rebbauers Johann Frutiger. Es wurde 1866 erstellt, an gleicher Stelle, wo das alte Haus vor dem Dorfbrand von 1864 stand. Dazu muss man Folgendes wissen: 1859 wurde die Bahnlinie Bern–Thun eröffnet. Mit niedrigen Transportkosten wurden bald einmal billige Weine ins Oberland eingeführt. Auch in den Oberhofner Wirtschaften – im «Bären» und in der «Pinte» am Stiftsplatz – wurde der «billige Fremdwein» ausgeschenkt. Das ärgerte die einheimischen Rebbauern dermassen, dass sie beschlossen, ihren Wein in einer eigenen Wirtschaft auszuschenken. Sie veranlassten Johann Frutiger, das Begehren um ein Wirtschaftspatent zu stellen. Dieses wurde ihm im Jahre 1868 bewilligt. Frutiger richtete das Erdgeschoss seines Wohnhauses als Wirtschaft ein und bezeichnete sie als «Wirtschaft zur Rebleuten». Ungefähr 40 Jahre später kamen Saal und Bühne in einem Anbau dazu, worauf in den folgenden Jahrzehnten verschiedene Um-, Aus- und Erweiterungsbauten realisiert wurden. Die letzte grössere Bauphase datiert von 1986, an der Nordseite. Sue und Thomas Schmid betreiben das Restaurant Rebleuten seit 2018 und die International Country Music Hall of Fame of Switzerland seit 2022.