William Turner – ein englischer Maler im Berner Oberland
William Turner – ein englischer Maler im Berner Oberland
Einige Aufenthalte in Thun und im Berner Oberland von Prominenz aus vergangenen Zeiten sind allgemein bekannt: Der Komponist Johannes Brahms etwa ist zu nennen, der 1886, 1887 und 1888 Sommermonate in Thun-Hofstetten verbrachte, wo der nach ihm benannte Brahmsquai verläuft. Oder der Dichter Heinrich von Kleist, der 1802 und 1803 zeitweise in einem kleinen Haus auf dem Oberen Aareinseli, das heute offiziell Kleist-Inseli heisst, lebte. Kaum bekannt ist indessen, dass einer der berühmtesten, wenn nicht der berühmteste Maler Englands, Joseph Mallord William Turner (1775–1851), einige Male im Berner Oberland weilte und die hiesige Gegend auf Skizzen, Aquarellen, Ölgemälden und Mezzotintos (Schabtechnik) verewigte.
Text: Dr. Jon Keller, Historiker | Fotos: zvg
Beat Künzi, im Juli wird für Sie ein Kindheitstraum wahr. Sie spielen im Musical-Klassiker CATS mit, der vom 12. Juli bis 24. August auf der Thuner Seebühne aufgeführt wird. Warum ist CATS ein Kindheitstraum?
Ganz einfach: CATS war eines der allerersten Musicals, die ich als Jugendlicher gesehen habe. Ich kannte ja bereits die Musik – insbesondere der Hit «Memory», den die alte Katze Grizabella singt, begleitete mich viele Jahre. Nun selbst in diesem für mich so prägenden Musical auf der Bühne stehen zu dürfen, ist toll! Als Laie in einer professionellen Produktion mitwirken zu dürfen, macht mich sehr stolz. Die Bühne – und insbesondere die Thuner Seebühne – bringt eine riesige Faszination mit sich. Das Gefühl, vor einem so grossen Publikum im Rampenlicht zu stehen, ist einmalig. Und macht süchtig (lacht).
Welche Rolle spielen Sie in CATS?
Ich bin als Chormitglied Teil des Ensembles. Welchen Charakter meine Katze haben wird, wird sich bei den Proben herausstellen. Ich bin sicher, dass sich unsere Regisseurin und Choreografin Kim Duddy etwas Tolles ausgedacht hat.
Aufgrund von Turners Kunstwerken wissen wir, welche Örtlichkeiten im Berner Oberland ihn besonders beeindruckten, da er sie als Sujets für seine Darstellungen wählte.
Bevor auf Turners Aufenthalte in Thun und im Berner Oberland und seine künstlerischen Darstellungen der Gegend eingegangen wird, soll festgehalten werden, dass Turners künstlerisches Vermächtnis immens ist: rund 100 vollendete und 180 unvollendete Ölbilder und ungefähr 1900 Zeichnungen und Aquarelle, von denen allerdings viele wegen zu starkem Lichteinfall für immer verblasst sind. Die Skizzenbücher boten Turner unmittelbar nach seiner Rückkehr nach England, aber auch noch Jahre später, Anregungen für Aquarelle und Ölbilder. Sie stellten also quasi Vorlagen dar, nach denen Turner in London seine Werke schuf. Allgemein darf festgehalten werden, dass Turners Aquarellen eine dezente, diskrete Farbgebung eignet, während die Ölgemälde durch prägnante Farbgebung gekennzeichnet sind.
Sechs Reisen in die Schweiz
Turner weilte sechsmal in der Schweiz, und auf drei von diesen Reisen kam er auch in Thun und am Thunersee vorbei. Ein tagesgenauer Verlauf seiner Reisen mit allen Details ist heute nicht mehr nachvollziehbar, da Turner nie ein Tagebuch führte. Details bezüglich seiner Reisen müssen deshalb seinen Briefen und seinen Skizzenbüchern entnommen werden. Turners Reisen in die Schweiz wurden damals durch den Frieden von Amiens von 1802 ermöglicht, der den Krieg zwischen England und Frankreich beendete und Reisen von Engländern auf den Kontinent ermöglichte. Die Schweiz war damals touristisch noch wenig erschlossen, und die unberührte, kaum zugängliche Natur der Alpen weckte in vielen damaligen Zeitgenossen Schrecken und Abneigung.
Interlaken, Grindelwald und die Grosse Scheidegg waren Reiseziele
1802, auf seiner ersten Reise in die Schweiz, erreichte Turner das Berner Oberland vom Genfersee herkommend über den Col de Jaman. Von Thun ging dann die Reise weiter nach Interlaken, Lauterbrunnen, Grindelwald, Grosse Scheidegg, Meiringen, Brünig und Luzern. Auf seiner Schweizerreise von 1836 machte Turner in Thun nicht Halt. 1841 ging es von der Innerschweiz über den Brünig nach Brienz, dann nach Thun und weiter nach Lausanne und Genf. Auch auf seinen Reisen von 1842 und 1843 kam Turner nicht nach Thun. 1844, auf seiner letzten Schweizerreise, erreichte Turner in Basel die Schweiz, von wo es weiterging nach Rheinfelden, Schaffhausen, Zürich, Brunnen, Luzern, Brünig, Meiringen, Grosse Scheidegg, Grindelwald, Interlaken und Thun. Via Bern und Basel verliess Turner dann die Schweiz.
Geruhsames Reisen ohne Stress
Turners Reisen im Berner Oberland waren geruhsam und beschaulich, sei es per Schiff (ab 1835 verkehrte das Dampfschiff Bellevue auf dem Thunersee), mit Kutschen und Fuhrwerken, bisweilen aber auch auf dem Rücken eines Maultiers. Aufgrund von Turners Kunstwerken wissen wir, welche Örtlichkeiten im Berner Oberland ihn besonders beeindruckten, da er sie als Sujets für seine Darstellungen wählte.
Die Alpen für Turner: majestätisch und erhaben
Turner, in England mit hohen Bergen und Gletschern nicht verwöhnt, war, was ja kaum erstaunt, sehr beeindruckt von den Alpen mit ihrem ewigen Schnee. Oft sind sie deshalb in seinen Werken dargestellt. Auf Turners Aquarellen mit den Alpen wird das ätherisch-atmosphärisch Flüchtige perfekt eingefangen. Ganz anders verhält es sich im Gegensatz dazu mit den Ölgemälden der Alpen und Voralpen, die dem Thunersee vorgelagert sind. Hier dominiert das Element der Kraft und der Erhabenheit, aber auch des Gewaltigen: schroffe Bergspitzen, Schrecken einflössende Gletscher, Naturgewalten wie etwa Gewitter mit dunkeln Wolken. Turners Darstellungen der Alpen und Voralpen, sei es nun die Blüemlisalp oder die Jungfrau, der Niesen oder das Stockhorn, eignet nicht nur eine gewisse düstere Melancholie, sondern auch eine Aura des Majestätischen, ja, eine gewisse erhabene Feierlichkeit, unterstrichen oft durch eher dunkle Farben. Bei seinen Darstellungen erlaubte sich Turner oft auch kleinere oder grössere künstlerische Freiheiten, so etwa bezüglich der markanten Silhouette der Stockhornkette, die er recht frei gestaltete. Auch der Thunersee hat im Œuvre von Turner einen wichtigen Stellenwert und gelangte oft zur Darstellung.
Charme des Thunersees
Auf Fahrten auf dem Thunersee von Thun bis Neuhaus erlebte Turner den malerischen Charme des Thunersees. Aber nicht nur die anmutige, schöne Seite des Sees wurde von Turner bildlich festgehalten, sondern auch eine andere Perspektive: eine Gewitterstimmung über dem See mit dunkeln Wolken und Blitzen, mit Niesen und Stockhorn im Hintergrund. Auch von der Stadt Thun war Turner sehr angetan. Auf Ölgemälden, Aquarellen und Bleistiftzeichnungen ist Thun etliche Male verewigt. Dargestellt sind das dominierende Schloss auf dem Schlossberg, die Stadtkirche, die Helferei, aber auch Wehrtürme der einstigen Stadtbefestigung, so der Schwäbisturm (auch Lochturm genannt) und der Pulverturm, der auch Badstubenturm geheissen wurde. Ebenfalls das 1840 abgebrochene Lauitor hielt Turner bildlich fest. Prägnant dargestellt sind auch die pittoreske Thuner Altstadt und die beiden Aareläufe der Inneren und der Äusseren Aare. Eindrücklich auch ein Aquarell, auf dem die Stadt Thun mit Rabenfluh, Grüsisberg und Brändlisberg im Hintergrund in leuchtenden Herbstfarben dargestellt ist. Auf einem anderen Aquarell sind als mächtige Gebäude das Schloss Thun und die Stadtkirche im Vordergrund und als Kontrapunkt im Hintergrund das mächtige, dunkle Stockhorn zu sehen.
Brienzersee und Ringgenberg
Im Œuvre von Turner kommt einige Male auch der Brienzersee zur Darstellung, den er einmal per Schiff mit Ruderleuten querte. Dabei werden Gegensätze evident: einerseits die ruhige, blaue, liebliche Fläche des Brienzersees mit den ihn teilweise umgebenden dunkeln Nadelbaumwäldern, beides beruhigende Augenweiden. Und als Gegensatz dazu die rauen, schroffen, ja klotzigen Berggipfel, beispielsweise das Faulhorn und Bergmassive bei der Axalp, denen das liebliche Element abgeht. Eindrücklich ist auch ein Werk Turners, das den Brienzersee und den Giessbach zeigt. Dabei herrscht keineswegs eine liebliche Stimmung. Ganz im Gegenteil: Ein Sturm bricht los, und der Brienzersee ist durch Wellen und Wind aufgewühlt. Grell leuchtet ein Blitz auf, sodass ein signifikanter Kontrast zwischen dem dunkeln Seewasser und dem hellen, blendenden Blitz festgehalten wird. Eine besondere Stimmung vermittelt eine Zeichnung mit Bleistift und schwarzer Kreide von 1802. Der Blick geht vom Brienzersee, der in hellem Grau dargestellt ist, zur Kirche Ringgenberg, der ehemaligen Burg, die sich als mächtiger, massiver, dunkler Burghügel präsentiert und so den See dominiert. Es herrscht Dämmerung und Einbruch der Nacht, weshalb das Licht sehr gedämpft ist. Turner scheint anlässlich einer Schifffahrt von diesem Anblick sehr beeindruckt gewesen zu sein.
Grindelwald und Grindelwaldgletscher
Zweimal weilte Turner auch in Grindelwald, wo er durch die beiden Grindelwaldgletscher, die damals natürlich viel grösser als heute waren, fasziniert war. Auf einer Gouache (Malerei mit Wasserdeckfarben) von 1802 sieht man die natürliche Wildheit der Alpengipfel mit dem Grindelwaldgletscher, der durch den Wald Richtung Tal stösst. Andrerseits als Gegensatz dazu Grindelwaldner Viehweiden im Vordergrund. Mit Maultieren wurde von Grindelwald aus die Grosse Scheidegg traversiert, um anschliessend Rosenlaui zu erreichen. Die Rauheit der dortigen Berglandschaft wusste Turner zu imponieren. Auf einer Zeichnung mit Bleistift und Kreide hielt er das Wellhorn und die Engelhörner in hellen Grautönen fest, und als Gegensatz dazu ist im Vordergrund der dunkle, quasi in sich selbst ruhende Tannenwald abgebildet.
Reichenbachfälle
Von Rosenlaui ging es weiter nach Meiringen, von wo aus den Reichenbachfällen ein Besuch abgestattet wurde. Auch sie hinterliessen bei Turner einen nachhaltigen Eindruck, ähnlich wie bei Arthur Conan Doyle, der ja hier seinen Romanhelden Sherlock Holmes zu Tode kommen liess. Der Wasserfall und das durch den Wind sich in kleinste Tröpfchen auflösende Wasser waren für Turner ein willkommenes Sujet. Der Reichenbachfall, das dortige Gebirge und herumliegende Gesteinsbrocken ergaben für Turner eine Szenerie der Dramatik der Naturgewalten, aber auch der Erhabenheit der Gebirgslandschaft, die er auf einem Aquarell perfekt einzufangen vermochte.