Koch- und Haushaltungsschule während 50 Jahren im Schloss Ralligen

Koch- und Haushaltungsschule während 50 Jahren im Schloss Ralligen

Koch- und Haushaltungsschule während 50 Jahren im Schloss Ralligen

Koch- und Haushaltungsschule während 50 Jahren im Schloss Ralligen 

Text: Markus Krebser  |  Fotos: Sammlung Krebser Thun

Ralligen – die erste urkundliche Erwähnung des winzigen Ortes zwischen Gunten und Merligen stammt bereits aus dem Jahr 1465. Noch weiter zurück in der Geschichte – allerdings auf zwei verschiedenen Sagen beruhend – geht die Schilderung der Stadt Roll. Sie habe etwa zweitausend Einwohner gezählt, sei von der malerischen Anlage her mit Amalfi oder Nervi zu vergleichen und soll durch einen gewaltigen Bergsturz von der Flanke der Spitzen Fluh am Sigriswilergrat gänzlich zugeschüttet worden sein. Frei herumliegende sehr grosse Kalksteinblöcke sowie Holzteile und Eisenwerkzeuge, die bei tiefen Grabungen im Hinterland des Schlosses gelegentlich gefunden werden, könnten die vernichtende Naturkatastrophe bezeugen.

Das Landgut Ralligen war im 13. Jahrhundert zum Eigentum des Klosters Interlaken gekommen. Diesem oblagen Pflege und Beaufsichtigung des Rebbaus an den klimatisch bevorzugten Hängen des ganzen rechten Seeufers und ihm gehörten natürlich auch die Zehntrechte. Aus jener Zeit stammt, als Vorgänger des heutigen Schlosses, wohl ein burgartiges Landhaus namens (urkundlich) Ralligturm.

Nach zunehmender Geldverlegenheit der Augustinermönche von Interlaken kam das am alten Säumerweg längs des Sees gelegene Gut erneut in andere Hände. Erst verpachtet, später auch verkauft, wanderte es in den nachfolgenden Jahrhunderten durch eine Reihe vornehmer Besitzerfamilien wie die Geschlechter Freyburger, Spillmann, Michel von Schwertschwendi, Fels, Thormann, Tschaggeny oder Hopf, aber stückweise auch an einheimische Bauern.

Nun wechseln wir in die jüngere Vergangenheit, an den Beginn des letzten Dezenniums im 19. Jahrhundert: Der Berner Eisenwarenhändler Gottlieb Christen und seine Frau Lina waren seit jeher vernarrt in die sonnigen und milden Gestade des Thunersees. Als sie gezielt nach einem festen Heimwesen für ihre Ferien Ausschau hielten, stiessen sie auf das recht verwahrloste Schlossgebäude Ralligen mit seinen Wald-, Wiesen- und Rebenparzellen. Die Idee allerdings, hier eine Koch- und Haushaltungsschule einzurichten, verdankten die beiden ihrem Berner Freund Melchior Schuppli, Direktor der Neuen Mädchenschule, der sich zugleich auch hier als Schuldirektor empfahl. Dieses spontane Angebot und der zündende Gedanke eines solchen Lehrbetriebes überzeugten Christen und veranlassten ihn, nun weitere Grundstückteile zu erwerben. So gelang es ihm, das zerstückelte Gut wieder zu einem Ensemble von etwa 43 Jucharten Fläche zu arrondieren. Damit wäre die Liegenschaft allein für Ferienzwecke ohnehin viel zu gross gewesen. Er liess in der Folge das Haupt- und einzelne Nebengebäude umbauen, schuf genügend Schlafzimmer bis in den ausgebauten, mit Mansarden und Lukarnen versehenen Dachstock hinauf und richtete grosszügig ausgestattete Speisesäle sowie zwei Schulküchen ein. Nun verfügte die ganze Schulanlage über Platz für bis zu 48 Schülerinnen sowie über die nötigen Unterkünfte für Schulvorsteherin, Lehrerinnen und das Hilfspersonal.

Besonders auch dank der umsichtigen Personalwahl entwickelte sich die Schule von Anbeginn ausgezeichnet. Sie genoss bald landesweit einen hervorragenden Ruf. Und dieser erwies sich natürlich als bester Werbeträger. Bereits die erste Vorsteherin, Fräulein Marie Imhof, die Christen von Basel her berufen konnte, war ein Volltreffer. Sie hatte auch das berühmte Ralliger Kochbuch verfasst, welches im Laufe der Jahre auf 924 Rezepte erweitert wurde und es mit über zehntausend Exemplaren bis zur 6. Auflage gebracht hat. Ebenfalls ihre Nachfolgerinnen erwiesen sich als glückliche Wahlen. Begeben wir uns nun in den Umschwung und in das Innere des Schlossgebäudes.

Das Patronat des nun offiziell bezeichneten Unternehmens – «Haushaltungsschule im Schloss Ralligen am Thunersee» – wurde bei der Betriebsaufnahme in die Hände des Gemeinnützigen Vereins der Stadt Bern gelegt. Es wechselte jedoch bereits nach sieben Jahren zum Direktorium der Schule selbst. Nach einem fulminanten Start anno 1892  folgte die Epoche der Blüte und der Bewährung, des Ansehens und des Erfolges. Drei Kurse pro Jahr wurden in der Regel durchgeführt. Die Schülerinnen, sechzehn- bis zwanzigjährig, kamen vornehm- lich von Bern und Umgebung, aber auch aus den Kantonen Basel, St. Gallen, Graubünden, Solothurn, Appenzell, später ebenfalls aus dem Ausland: Deutschland, England, gar aus Amerika. Das Schulgeld belief sich, je nach Zimmer und Jahreszeit, auf zwei bis vier Franken pro Tag.

Mit dem Ableben von Gottlieb Christen, 68-jährig, am 1. November 1912 ging die Besitzung mit ihren insgesamt 13 Gebäuden, Schloss, Speichern und Scheuern, an seine Witwe Lina über. Der Erste Weltkrieg stand vor der Tür. Und nun verliessen die Ausländerinnen aus politischen Gründen die Schule, Neuzuzüge blieben aus, und auch die Bestände der Schweizerinnen gingen merklich zurück. Der Betrieb, nach dem Hinschied der Witwe Christen 1932 im Eigentum von ihren fünf Kindern, erlangte seine ursprüngliche Dynamik und seinen Zuspruch nie wieder. Er musste 1939, bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, geschlossen werden. Von der im Laufe der Jahre auf 22 Mitbesitzer angewachsenen Erbengemeinschaft kam Ralligen 1976 zum Verkauf an die in Deutschland beheimatete evangelische Bruderschaft «Christusträger Communität Schweiz».