Sensation Staubbachfall

Sensation Staubbachfall

Sensation Staubbachfall

Dreimal besuchte der Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749 –1832) während einigen Tagen die Schweiz: 1775, 1779 und 1797. Aber nur 1779 waren auch Örtlichkeiten im Berner Oberland Ziele des Dichterfürsten.

Text: Jon Keller  |  Fotos: Aareschlucht AG, zvg

Dank Tagebucheintragungen und ausführlichen Briefen ist es möglich, die Reise Goethes durch das Berner Oberland taggenau nachzuzeichnen. Die Reisegruppe von Goethe umfasste den 22 Jahre alten Herzog Karl August von Weimar, einen Kammerherrn, einen Sekretär, zwei Diener und einen Jäger. Diese Schweizer Reise sollte Antrieb und Hilfe sein beim geistigen und menschlichen Heranreifen des noch sehr jungen Herzogs. Goethe sah sich als Prinzenerzieher, dem die Bildung und Entwicklung des Herzogs sehr am Herzen lag. Goethe freute sich sehr auf die Reise in die Schweiz, namentlich auf die Alpenwelt, wünschte er doch, sich den Gesetzen der Natur durch direkte, unmittelbare Anschauung zu nähern. Denn Goethes Interessen waren sehr vielfältig: neben der Dichtkunst waren es Geologie, Botanik, Anatomie und die Licht- und Farbenlehre. Zudem sollte die Reise Abwechslung sein zu den alltäglichen Regierungsgeschäften, denen er am Hof zu Weimar verpflichtet war.

Goethe genoss das Alpenpanorama

Von Basel und Bern herkommend erreichte Goethe am 8. Oktober 1779 Thun. An seine langjährige Freundin Frau von Stein schrieb er dazu: «…und ritten drauf nach Thun, wo wir bei Zeiten anlangten, um noch die schöne Aussicht vom Kirchhof auf den See zu sehen und an der Aar bis gegen den See zu spazieren. Wir machten mit einem Bürger Bekanntschaft, der uns geleitete, drauf unser Schiffer war und künftig unser Geleitsmann sein wird». Die prächtige Aussicht vom Thuner Kirchhof, dem damaligen Thuner Friedhof, wird ja auch heute noch von zahllosen Touristen genossen. Am 9. Oktober ging es dann per Schiff über den Thunersee weiter nach Unterseen, wo Goethe wegen eines Augenleidens einen Arzt aufsuchen musste. Zum Mittagessen liess sich die Reisegesellschaft eine Forelle munden. Am Nachmittag reisten sie weiter mit Pferdefuhrwerken entlang der Lütschine nach Lauterbrunnen, wo sie beim dortigen Pfarrer eine Herberge fanden. Zum ersten Mal sah Goethe an jenem Abend den Staubbachfall, der ihn stark beeindruckte: «…wir haben den Staubbach bei gutem Wetter zum ersten Mal gesehen. … Es ist ein sehr erhabener Gegenstand». Für Goethe war der Staubbach aus der Literatur nicht unbekannt, hatte er doch davon in Albrecht von Hallers Monumentalwerk «Die Alpen», welches 1729 erschienen war, gelesen. Den 297 Meter hohen Staubbachfall erachtete Goethe als Ideal der Ruhe, das selige Gefühle auslöste. Er inspirierte Goethe zum bekannten und oft zitierten Gedicht «Gesang der Geister über den Wassern». Die erste Strophe lautet:   

Des Menschen Seele Gleicht dem Wasser: Vom Himmel kommt es, Zum Himmel steigt es, Und wieder nieder Zur Erde muss es, Ewig wechselnd.

Bis zum Tschingelgletscher

Am 10. Oktober unternahm die Reisegruppe einen ganztägigen Ausflug mit Pferdefuhrwerken, aber auch zu Fuss ins hintere Lauterbrunnental. Folgende Örtlichkeiten (Schreibweise gemäss der Landeskarte der Schweiz) wurden dabei in Augenschien genommen: Sichellouwena, Ammerta, Steinberg, dann der Schmadribach und die Berggipfel Tschingelhorn, Oberhorn und ferner der Tschingelgletscher, der damals natürlich noch weit hinunter ins Lauterbrunnental reichte. Den höchsten Punkt des Ausflugs erreichte die Reisegruppe beim Tschingelgletscher auf rund 2300 Metern. Diese Tour war für Goethe recht anstrengend. Jedenfalls schrieb er, er sei «müde in dem Pfarrhaus» in Lauterbrunnen des Abends wieder angekommen. Die Reise durch das Berner Oberland ging weiter. Am 11. Oktober wurde in Lauterbrunnen am Morgen gestartet und im Laufe des Nachmittags wurde via Zweilütschinen Grindelwald erreicht. Der Obere und der Untere Grindelwaldgletscher, die damals, im Gegensatz zu heute, noch bis in den Talboden reichten, beeindruckten Goethe sehr. Er schrieb von der «herrlichen Eishöhle, woraus das Eiswasser seinen Ablauf hat».

Schlechter Wein in Guttannen

Am 12. Oktober wurde die Grosse Scheidegg überquert. Dabei wusste das Engelhorn Goethe zu beeindrucken, welches, wie er schrieb, «in spitzen Türmen und Zacken gar verwunderlich ist». Weiter ging es nach Meiringen, Innertkirchen und Guttannen, wobei auch die Reichenbachfälle und die Aareschlucht besichtigt wurden. Guttannen wurde bei Nacht und mit Fackellicht erreicht, wo in einem einfachen Gasthause die Nacht verbracht wurde. Der Wein, der am Abendessen getrunken wurde, bezeichnete Goethe als «schlechter Wein». Am Morgen des 13. Oktober wurde aufgebrochen und via Meiringen Brienz erreicht, wo genächtigt wurde. Auch auf dieser Reiseetappe genoss Goethe die Natur mit viel Grün und die Alpen in vollen Zügen. So schrieb er: «Aus dem Meiringer Wirtshaus, wo wir zu Mittag assen, sieht man zwei kleine Wasserfälle angenehm den Berg herabkommen». Am 14. Oktober war die Reise durch das Berner Oberland zu Ende. Von Brienz ging es mit dem Schiff nach Interlaken, «wo man anlandet und bis Unterseen zu Fusse geht», wie Goethe schrieb. Hier wurde wieder ein Schiff bestiegen, das nach Thun fuhr. Unterwegs wurde die Seereise allerdings kurz unterbrochen, weil noch die Beatushöhlen besichtigt wurden. Des Abends langte die Reisegesellschaft in Thun an. Wiederum wurde im Freienhof übernachtet, um dann am 15. Oktober weiter nach Bern zu reisen, wo im damals sehr renommierten Gasthaus Falken abgestiegen wurde.

«das schönste Wetter… keine Wolke am Himmel»

Goethe zeigte sich sehr erfreut über seine Reise ins Berner Oberland und mit vielen neuen Eindrücken kehrte er in seine Heimat zurück. Von Thun aus schrieb er an Frau von Stein: «Wir sind glücklich wieder hier angekommen. Diese vier Tage das schönste Wetter, heut und gestern keine Wolke am Himmel, und die merkwürdigsten Gegenden ganz rein in dem himmlischen Lichte genossen».