Von Fuhrknechten, Taglöhnern und Dienstmägden: Berufe im Oberland einst

Von Fuhrknechten, Taglöhnern und Dienstmägden: Berufe im Oberland einst

Von Fuhrknechten, Taglöhnern und Dienstmägden: Berufe im Oberland einst

Dreimal besuchte der Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749 –1832) während einigen Tagen die Schweiz: 1775, 1779 und 1797. Aber nur 1779 waren auch Örtlichkeiten im Berner Oberland Ziele des Dichterfürsten.

Text: Jon Keller  |  Fotos: Stadtarchiv Thun

An erster Stelle ist sicher festzuhalten, dass technische Berufe ganz im Gegensatz zur heutigen Zeit nur spärlich auftraten. Man las zwar von Mechanikern, Giessern, Ingenieuren, von Arbeitern im Thuner Feuerwerklaboratorium (wie die Eidg. Munitionsfabrik Thun einst hiess), aber der heutige markante Stellenwert fehlte. Gleiches gilt natürlich auch für die Berufe im Zusammenhang mit der elektronischen Datenverarbeitung. Wörter wie Handy, PC, EDV, IT, digital oder analog waren unbekannt und hätten ein Buch mit sieben Siegeln dargestellt. Recht neue Berufe waren im 19. Jahrhundert der Fotograf und der Telegrafist, welcher den 1837 von Morse erfundenen Telegrafen bediente.

Tramführer im Thuner und Spiezer Tram

Berufe in Zusammenhang mit dem damaligen Verkehr zeigten noch die absolute Wichtigkeit des Pferdes für den Transport von Personen, Waren und der Post. So waren Kutscher, Fuhrmänner, Fuhrknechte, Hufschmiede und Spanner, welche die Pferde einspannten und Waren auf- und abluden, weitverbreitete Berufe. Die 1850 eröffnete und 1950 aufgehobene Eidg. Pferderegieanstalt im Thuner Schwäbis beschäftigte viele Pferdewärter und Bereiter, welche für die Betreuung, die Pflege und das Training der Pferde verantwortlich waren. Nicht zu vergessen der Sattler, der – im Gegensatz zur Gegenwart – zahllose Pferdesättel herstellte, und der Nagelschmied, der notwendige Materialien für den Hufschmied lieferte. Verschwunden ist in Thun und Spiez auch der Beruf des Tramwagenführers, wurde doch die letzte Etappe der «Rechtsufrigen Thunerseebahn Steffisburg-Thun-Interlaken» (Strecke von Thun nach Steffisburg) 1958 eingestellt. Die Spiezer Verbindungsbahn, eine Strassenbahn, die vom Spiezer Bahnhof zur Schiffländte führte, existierte bis 1960. Einen verschwundenen Beruf, der im 19. Jahrhundert gang und gäbe war, stellte der Lokomotivheizer auf Dampflokomotiven dar. Die Strecke von Bern nach Thun wurde 1859 mit Dampftraktion eröffnet. Die Elektrifizierung der Strecke Bern-Thun erfolgte 1919, diejenige von Thun nach Spiez 1915. Vor 1900 war das Automobil oder die Autodroschke, wie das Auto auch genannt wurde, unbekannt, und damit auch die zahllosen Berufe, die heute im Zusammenhang mit dem Auto stehen, wie beispielsweise Automechaniker, Autoelektroniker, Autospengler oder Autohändler. In einem Zeitungsartikel von 1901 stand zu lesen: «Als Verkehrsvehikel ist dieses neue Beförderungsmittel sowieso noch lange nicht zu betrachten.» 

Von grosser Wichtigkeit waren auch der Stadtuhrenrichter und der Laternenanzünder.

Flösser – ein gefährlicher Beruf

Ein wichtiger, aber auch gefährlicher Beruf war damals derjenige des Flössers, der sich namentlich auf dem Thunersee und der Aare für den Transport von Baumstämmen verantwortlich zeichnete. Von grosser Wichtigkeit waren damals auch der Stadtuhrenrichter und der Laternenanzünder, der die Gaslaternen anzündete, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Licht spendeten, um dann um 1900 allmählich durch die elektrische Beleuchtung abgelöst zu werden. In Statistiken des 19. Jahrhunderts fällt auf, dass sehr viele Bauarbeiter verzeichnet waren. Das rührt daher, weil Baumaschinen unserer Zeit unbekannt waren, sodass eben viel Handarbeit gefordert war.

Auffällig war die im Vergleich zur Gegenwart grosse Präsenz von Schneidern und Schneiderinnen, von Näherinnen, von Schustern und Schuhmachern. Die Berufsbezeichnung des Tailleurs bezeichnete im 19. Jahrhundert einen Schneider, der nicht Alltagsware, sondern exklusive Kleidungsstücke herstellte. Die Zeit der Massenherstellung von Schuhen und Kleidern in Fabriken des In- und Auslandes war damals noch nicht angebrochen. Die meisten Waren wurden in Handarbeit hergestellt, und dazu waren viele flinke Hände notwendig, obschon einfache Nähmaschinen seit ungefähr 1850 aufgekommen waren. In diesen Zusammenhang gehörte auch der Beruf des Hutmachers und Kappenmachers, welcher Stoff- und Pelzmützen in Handarbeit herstellte. Schuster und Schuhmacher waren zweierlei. Zwischen Schuster und Schuhmacher wurde insofern unterschieden, als der erste vornehmlich für Flickarbeiten verantwortlich war, der Schuhmacher dagegen für die Herstellung von neuen Schuhen. Der Beruf der Wäscherin machte deutlich, dass damals ohne die heute für fast jedermann selbstverständliche Waschmaschine gewaschen werden musste, was viel mühsame Handarbeit erforderte.

Diffamierende Berufsbezeichnungen

Viele Berufe des 19. Jahrhunderts gibt es zwar auch in unseren Tagen noch, aber die Berufsbezeichnung hat geändert. So sind Berufsbezeichnungen verschwunden, die als sozial diffamierend gelten und deshalb gegen neutralere, unverfänglichere Ausdrücke ausgewechselt wurden. Der Lumpensammler und Lumpenhändler von 1850 heisst heute Altwarenhändler oder Recycling-Angestellter. Die Kellnerin nennt sich heute Serviceangestellte, der Taglöhner und Handlanger heisst heute Hilfsarbeiter. Der Commis findet sich heute nur noch im Gastgewerbe und ein Gehülfe des 19. Jahrhunderts wird in unseren Tagen als Verkaufsgehilfe usw. näher umschrieben. Dienstmagd, Zimmermagd, Stubenmädchen, Kammermädchen, Dienstbotin und Lohndienerin von 1850 sind in der heutigen Zeit als Hausangestellte oder Hauspersonal vermerkt. Würde in unseren Tagen der Beruf einer Mitbürgerin als Zimmermädchen bezeichnet, würde das fast als Beleidigung angesehen.

Pintenwirt und Schenkenwirt, Landjäger und Polizeidiener

Der Gerant oder Besitzer eines Restaurants hiess früher Pintenwirt, Schenkenwirt oder Tavernenwirt, je nachdem, ob die Gaststätte eine Winkelwirtschaft darstellte mit leicht anrüchigem Flair. Im 19. Jahrhundert war oft auch der Beruf einer Kostgeberin vermerkt, also einer Frau, die eine Pension führte, welche auch Mittag- und Abendessen anbot. Wenn man Berufsverzeichnisse des 19. Jahrhunderts oder Auswertungen der Volkszählungen konsultiert, findet man heute unübliche Berufsbezeichnungen. Der heutige Polizist war der Landjäger oder auch Polizeidiener, ganz im Sinn von «die Polizei, dein Freund und Helfer». Noch im 19. Jahrhundert absolvierte der Nachtwächter, der für Ruhe und Ordnung sorgte und die Zeit verkündete, seine Runden. Oft vermerkt war damals der Beruf der Krämerin und der Negotiantin, wobei die von ihnen besorgten Geschäfte namentlich die Nahrungsmittel betrafen. Im 19. Jahrhundert wurde zwischen Barbier und Coiffeur unterschieden: der Barbier war mehr auf Bärte spezialisiert, der Coiffeur dagegen vorwiegend auf das Frisieren der Kopfhaare. Der Perruquier wiederum fertigte Perücken an, war aber auch als Friseur und Haarschneider tätig.

Kapitalist als Beruf 

In Berufsregistern des 19. Jahrhunderts stehen unter den Berufen auch Bezeichnungen, die kurios und amüsant zugleich sind. Eine Frau, die um 1870 vermögend gewesen sein muss, war hinsichtlich des Berufs als Kapitalistin notiert und ein Rentner als Privatier.