Internierte deutsche Offiziere in Thun im 1. Weltkrieg
Internierte deutsche Offiziere in Thun im 1. Weltkrieg
Ein ganz besonderes Kapitel der Schweizer Internierungsgeschichte ist mit den Anfängen der Fliegerei und mit der Thuner Offizierskaserne verbunden: Hier internierten die Schweizer Militärbehörden während des 1. Weltkrieges (1914–1918) mehrere deutsche Offiziere, vorwiegend Piloten.
Text: Karin Rohrbach | Fotos: zvg
Beat Künzi, im Juli wird für Sie ein Kindheitstraum wahr. Sie spielen im Musical-Klassiker CATS mit, der vom 12. Juli bis 24. August auf der Thuner Seebühne aufgeführt wird. Warum ist CATS ein Kindheitstraum?
Ganz einfach: CATS war eines der allerersten Musicals, die ich als Jugendlicher gesehen habe. Ich kannte ja bereits die Musik – insbesondere der Hit «Memory», den die alte Katze Grizabella singt, begleitete mich viele Jahre. Nun selbst in diesem für mich so prägenden Musical auf der Bühne stehen zu dürfen, ist toll! Als Laie in einer professionellen Produktion mitwirken zu dürfen, macht mich sehr stolz. Die Bühne – und insbesondere die Thuner Seebühne – bringt eine riesige Faszination mit sich. Das Gefühl, vor einem so grossen Publikum im Rampenlicht zu stehen, ist einmalig. Und macht süchtig (lacht).
Welche Rolle spielen Sie in CATS?
Ich bin als Chormitglied Teil des Ensembles. Welchen Charakter meine Katze haben wird, wird sich bei den Proben herausstellen. Ich bin sicher, dass sich unsere Regisseurin und Choreografin Kim Duddy etwas Tolles ausgedacht hat.
Der Offizier realisiert erschrocken, dass er die Aare mit dem Rhein und Solothurn mit Basel verwechselt hat.
Freitag, der 13. Oktober 1916, halb vier Uhr nachmittags. Ein Schatten gleitet an diesem milden und sonnigen Herbsttag über die Solothurner Allmend, begleitet von einem dumpfen Knattern. Die weidenden Kühe werden unruhig. Ein Doppeldecker, eine einsitzige Fokker D.II 536/16, setzt wackelnd zur Landung an. Es ist eines der modernsten Jagdflugzeuge seiner Zeit, ausgestattet mit einem als «Spandau-MG» bekannten Maschinengewehr, das dank eines Synchronisationsmechanismus durch den Propellerkreis schiessen kann. Am Steuer sitzt der 27-jährige bayrische Fliegerleutnant Otto Dessloch. Die Landung auf der Kuhweide ist holprig. Das Flugzeug macht einen Kopfstand, bevor es stillsteht. Der Pilot entsteigt seiner beschädigten Maschine unverletzt und eilt auf ein Mädchen zu, welches die Kühe hütet. «Sag, Mädchen, wo bin ich?», fragt er, zitternd vor Aufregung und Erschöpfung. Sie schaut ihn mit grossen Augen an. «In der Schweiz», antwortet sie. «Nicht möglich», erwidert Dessloch bestürzt. «Das ist doch der Schwarzwald und dort der Rhein!» Der mit dem Eisernen Kreuz dekorierte Offizier, der nach einem heftigen Luftkampf über Belfort nördlich des Schweizer Jura in dichten Nebel geriet, realisiert erschrocken, dass er die Aare mit dem Rhein und Solothurn mit Basel verwechselt hat. Ein zufällig vorbeifahrender Schweizer Offizier hat die Landung beobachtet und nimmt ihn gefangen. Währenddessen bildet sich um das Flugzeug rasch eine grosse Menge von Schaulustigen. Der Deutsche wird entwaffnet, befragt und nach mehreren Zwischenstationen in der Thuner Offizierskaserne interniert. Sein Flugzeug wird beschlagnahmt und zum Militärflugplatz Dübendorf gebracht.
Die wegen Grenzverletzung festgenommenen deutschen Offiziere wollten so rasch als möglich wieder in den Krieg eingreifen.
vorbeifahrender Schweizer Offizier hat die Landung beobachtet und nimmt ihn gefangen. Währenddessen bildet sich um das Flugzeug rasch eine grosse Menge von Schaulustigen. Der Deutsche wird entwaffnet, befragt und nach mehreren Zwischenstationen in der Thuner Offizierskaserne interniert. Sein Flugzeug wird beschlagnahmt und zum Militärflugplatz Dübendorf gebracht. Dieses vom Tagblatt der Stadt Thun überlieferte Ereignis steht exemplarisch für ein ganz besonderes Kapitel der Schweizer Internierungsgeschichte, das Jon Keller in seinem Artikel «Internierte des 1. Weltkrieges in Thun» in der ThunerseeLiebi vom Winter 2017 kurz erwähnt hat. In den Jahren 1915 bis 1917 internierten die Schweizer Militärbehörden in der Thuner Offizierskaserne mindestens sechs deutsche Offiziere, vorwiegend Piloten. Die Akten hierzu befinden sich im Bundesarchiv in Bern. Bei diesen Internierten handelte es sich nicht um verletzte oder kranke Kriegsgefangene französischer, belgischer, britischer oder deutscher Nationalität, wie sie während des Krieges zu Tausenden zur Erholung in der Schweiz weilten, sondern um Soldaten und Offiziere, die wegen bewussten oder unbewussten Grenzverletzungen, also aus kriegsrechtlichen Gründen, verhaftet worden waren. Sie standen unter Aufsicht des Militärdepartements bzw. des regionalen Territorialdiensts.
Die Internierung deutscher Offiziere in Thun stellt einen Sonderfall dar, weil ausländische Zivilisten und Militärs deutscher Nationalität generell nur in der Zentral- und Ostschweiz interniert wurden. In der Region Thun wie andernorts im Kanton Bern sowie in der Westschweiz befanden sich dagegen grösstenteils internierte Franzosen, Belgier und Briten. Die Angehörigen verfeindeter Kriegsmächte wurden bewusst separiert. Weshalb also internierten die Schweizer Militärbehörden die deutschen Offiziere ausgerechnet in Thun und nicht in der Ostschweiz?
Als Internierter lebte man in einer Art Halbgefangenschaft. Man durfte sich zwar zu festgelegten Zeiten in einem bestimmten Gebiet frei bewegen, in den Restaurants etwas trinken oder Besuch empfangen. Aber es gab diverse Einschränkungen sowie regelmässige Kontrollen, um Fluchten zu verhindern. Diese kamen immer wieder vor. Die wegen Grenzverletzung festgenommenen deutschen Offiziere wollten so rasch als möglich wieder in den Krieg eingreifen. Nicht nur aus patriotischem Eifer oder in Befolgung von Weisungen. Für Teetrinken, Spazieren und Lesen gab es keine Orden. Deutsche Offiziere, bei welchen hohe Fluchtgefahr bestand (weil sie das Ehrenwort, nicht zu fliehen, verweigerten) oder Offiziere, welche bereits einen Fluchtversuch unternommen hatten, wurden in der Thuner Offizierskaserne einquartiert. Thun lag weiter von der deutschen Grenze entfernt als etwa der Waffenplatz in Chur. Auch waren die nötige Infrastruktur und personelle Ressourcen für die Bewachung eher vorhanden als andernorts – zumindest aus Sicht des Territorialdienstes. Der Kommandant der Thuner Militärschulen, Oberst Arnold Biberstein, sah dies anders und verlangte wiederholt, jedoch letztlich vergeblich, eine Verlegung der deutschen Offiziere. Deren Präsenz störte seiner Ansicht nach den Schulbetrieb und war mit «ganz bedeutenden Kosten und erheblichen Inkonvenienzen» verbunden. Beispielsweise mussten die Stadt Thun, die Militärbehörden und die Gewerbetreibenden unterschiedliche Ausgangszeiten für die internierten Deutschen und die in Hotels logierenden internierten Franzosen festlegen, damit es in der Thuner Innenstadt zu keinen Auseinandersetzungen zwischen den Angehörigen verfeindeter Kriegsmächte kam.
Die deutschen Offiziere kämpften nun nicht mehr mit dem Feind, sondern mit der Langeweile. Die meisten von ihnen blieben über mehrere Monate hinweg in Thun interniert. Besuche von Landsleuten und Familienangehörigen waren zwar erlaubt und kamen vor, aber es blieb immer noch viel Zeit des Nichtstuns. In der Offizierskaserne hielten sich nicht mehr als zwei oder drei Internierte gleichzeitig auf, jeweils in getrennten Zimmern. Manchmal blieb auch einer über längere Zeit allein. Mit Ausnahme eines geflüchteten Internierten wurden sie alle gegen gleichrangige, ebenfalls internierte Entente-Offiziere ausgetauscht. Wenn also ein gegnerischer Offizier repatriiert wurde, durfte gleichzeitig auch ein deutscher Offizier ausreisen.
Der 1915 in Thun internierte Kavallerieoffizier Köhler gehörte dem 3. Badischen Dragoner-Regiment Prinz Karl Nr. 22 an.
Das englische Fliegerass James McCudden (1895–1918). Er zählte zu den zehn besten Piloten seiner Zeit.
Leutnant Otto Dessloch (1889–1977) war von Oktober 1916 bis Januar 1917 in Thun interniert. Hier ein Porträt aus späteren Jahren.
Das Tagblatt der Stadt Thun mutmasste, es sei fraglich, ob er wirklich die Blitzableiterleitung benutzt habe, wie spekuliert werde.
Die 1901/02 erbaute Thuner Offizierskaserne. Hier logierten die internierten deutschen Offiziere.
Die 1916 nahe Solothurn gelandete Fokker D.II des bayrischen Offiziers Otto Dessloch.
Der erste in Thun internierte Deutsche war Reserve-Oberleutnant Köhler. Der Kavallerist gehörte der 1. Schwadron des 3. badischen Dragoner-Regiments an. Verfolgt von französischen Kavalleristen waren Köhler und sein Begleiter, Leutnant Prinz aus dem 5. Jäger-Regiment, im Jura in der Nähe von Miécourt irrtümlich über die Schweizer Grenze geraten und festgenommen worden. Das war kurz nach Kriegsbeginn im August 1914. Prinz gelang mit einem raffinierten Plan und dank der Hilfe Köhlers die Täuschung der Wachen und damit eine filmreife Flucht aus der Kaserne in Chur. Köhler blieb zurück und wurde im Dezember 1915 nach Thun verlegt. Ein knappes Jahr später erfolgte seine Repatriierung. Der Leutnant rückte sogleich wieder in den Krieg ein. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Einen Monat zuvor, im Oktober 1916, war der erwähnte Otto Dessloch in der Thuner Offizierskaserne eingetroffen. Wie die anderen deutschen Offiziere verweigerte er die vom Platzkommando verlangte ehrenwörtliche Erklärung, keinen Fluchtversuch zu unternehmen. Er wurde daher streng bewacht. Mitte Januar 1917 wurde er wie zuvor Köhler gegen einen italienischen Piloten ausgetauscht. Otto Dessloch beendete seine Militärkarriere als General- oberst der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg.
Als nächster kam Dietrich Schenk nach Thun. Er war Leutnant der im elsässischen Strassburg aufgestellten deutschen Fliegerabteilung 268. Der Beobachtungsoffizier und sein Begleiter und Pilot, ein Mechaniker unbekannten Namens, hatten von Stuttgart nach Friedrichshafen fliegen wollen, wurden dann aber in einen Luftkampf verwickelt und sahen im Nebel den Bodensee nicht. Ihr «Doppeldecker neuer Konstruktion, Modell 1916» landete wegen Benzinmangels am 4. Dezember 1916 gegen Mittag zwischen Thundorf und Lustdorf im Kanton Thurgau. Nach der Bruchlandung wurde der Pilot in Frauenfeld interniert, Dietrich Schenk bezog ein Zimmer in der Offizierskaserne.
Am Abend des 16. Mai 1917 flüchtete er und setzte sich über die Grenze ab. Das Tagblatt der Stadt Thun mutmasste, es sei fraglich, ob er wirklich die Blitzableiterleitung benutzt habe, wie spekuliert werde. Denkbar sei eher, dass er sich schweizerische Offizierskleider beschafft und die Wachen ausgetrickst habe. Die gelungene Flucht Schenks sorgte für Schlagzeilen bis nach Frankreich, wo sich die Presse über die angeblich zu lasche Bewachung empörte. Schenk stieg bald erneut für sein Vaterland in die Lüfte auf. Seinen letzten Flug absolvierte er am 29. November 1917 an der Westfront über Frankreich. Nahe der belgischen Grenze, in Drocourt bei Rouvroy, wurde sein Flugzeug, eine DFW C.V, kurz nach 13 Uhr vom englischen Fliegerass James McCudden getroffen. Die Maschine stürzte ab, Dietrich Schenk und sein Begleiter starben. Der gleichaltrige McCudden verlor sein Leben nur wenige Monate später bei einem Flugunfall.
Die letzten deutschen Offiziere, deren Spuren sich in Thun finden lassen, waren der 1895 geborene Walter Fritz aus Worms (Rheinland-Pfalz) und der fünf Jahre ältere Wilhelm Tatje von Sulingen (zwischen Hannover und Bremen). Tatje war Flugzeugführer und Fritz diente als Beobachter. Die beiden Leutnants gehörten der Fliegerabteilung 14 an, die vor allem an der Westfront im Einsatz war. Nach einem Nachtflug setzte der Motor ihres Beobachtungsflugzeugs, einer DFW C.V, aus. Am frühen Morgen des Pfingstsonntags, dem 27. Mai 1917, entschieden sie sich für eine Notlandung beim Dorf Alle bei Pruntrut. Sie wähnten sich in Frankreich und steckten das Flugzeug daher sofort nach der Landung in Brand. Während eines halben Jahres, von Juni bis Dezember 1917, waren die beiden in der Thuner Offizierskaserne interniert. Anschliessend wurden sie nach Andermatt und später nach Luzern verlegt, bevor sie Ende 1918 oder anfangs 1919 repatriiert wurden.
Die unfreiwilligen Gäste in der Thuner Offizierskaserne waren Pioniere ihrer Zeit, denn während des Ersten Weltkriegs befand sich die Fliegerei noch in den Anfängen. Die Schweizer Regierung kaufte diverse noch intakte Flugzeuge der internierten Piloten der jeweiligen Kriegsmacht für die eigene, im Aufbau begriffene Luftwaffe ab. Die mitten auf einer Kuhweide notgelandete Fokker D.II 536/16 des Otto Dessloch wurde so zum ersten Jagdflugzeug der Schweizer Fliegertruppe.