Als der englische Dichter Matthew Arnold im Berner Oberland weilte
Als der englische Dichter Matthew Arnold im Berner Oberland weilte
Zahlreiche berühmte Gäste haben im Laufe der Jahrzehnte das Berner Oberland für kürzere oder längere Zeit besucht und über viele von ihnen wird in Publikationen, aber auch im Radio und im Fernsehen mit schöner Regelmässigkeit berichtet. Dies gilt für Johannes Brahms, Felix Mendelssohn, Johann Wolfgang von Goethe und Heinrich von Kleist, um nur einige zu nennen. Daneben gibt es indessen auch andere Berühmtheiten, deren Aufenthalte im Berner Oberland kaum bekannt sind. Zu diesen gehört Matthew Arnold, der 1848 und 1849 in Thun und im Berner Oberland weilte.
Text: Jon Keller | Fotos: Kunstmuseum Thun, Leukerbad Tourismus, zvg
Beat Künzi, im Juli wird für Sie ein Kindheitstraum wahr. Sie spielen im Musical-Klassiker CATS mit, der vom 12. Juli bis 24. August auf der Thuner Seebühne aufgeführt wird. Warum ist CATS ein Kindheitstraum?
Ganz einfach: CATS war eines der allerersten Musicals, die ich als Jugendlicher gesehen habe. Ich kannte ja bereits die Musik – insbesondere der Hit «Memory», den die alte Katze Grizabella singt, begleitete mich viele Jahre. Nun selbst in diesem für mich so prägenden Musical auf der Bühne stehen zu dürfen, ist toll! Als Laie in einer professionellen Produktion mitwirken zu dürfen, macht mich sehr stolz. Die Bühne – und insbesondere die Thuner Seebühne – bringt eine riesige Faszination mit sich. Das Gefühl, vor einem so grossen Publikum im Rampenlicht zu stehen, ist einmalig. Und macht süchtig (lacht).
Welche Rolle spielen Sie in CATS?
Ich bin als Chormitglied Teil des Ensembles. Welchen Charakter meine Katze haben wird, wird sich bei den Proben herausstellen. Ich bin sicher, dass sich unsere Regisseurin und Choreografin Kim Duddy etwas Tolles ausgedacht hat.
Matthew Arnold, geboren 1822 in Laleham in England und gestorben 1888 in Liverpool, machte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in England einen hervorragenden Namen als Pädagoge, Dichter und Literaturkritiker. Als Schulinspektor befasste er sich von 1851 bis 1886 mit der Reform des britischen Schulwesens. Zudem wirkte er von 1857 bis 1867 als Professor für Dichtkunst an der Universität von Oxford. Schliesslich sind Arnolds eigene dichterische Schöpfungen zu nennen, in welchen er sich thematisch und formal an antiken Vorbildern, aber auch an der deutschen Klassik mit Goethe orientierte. Zahlreich sind seine Gedichte, aber auch seine Veröffentlichungen über literarische, religiöse und pädagogische Themen.
Im aufstrebenden Thuner Fremdenviertel Hofstetten
Zweimal hielt sich Matthew Arnold während einigen Tagen in Thun auf: in den Jahren 1848 und 1849. Da Arnolds Tagebücher aus jener Zeit fehlen, ist es heute nicht mehr möglich, den genauen Zeitablauf seiner Aufenthalte im Berner Oberland nachzuvollziehen und eine detaillierte Schilderung seiner Aktivitäten in bernischen Landen zu geben. Aufgrund von Briefen und anderen persönlichen Aufzeichnungen indessen ist es gesichert, dass Arnold im September 1848 ein erstes Mal in Thun im Hotel Bellevue, das in den 1830er-Jahren eröffnet wurde, weilte. Im Bellevue – der Thuner Fremdenverkehr erlebte damals seine erste Blüte – stiegen damals klingendste Namen von Adel und Hochfinanz ab, vor allem Franzosen und Engländer, die es sich nicht nehmen liessen, Tage und Wochen im Berner Oberland zu geniessen. Thun erreichte Arnold vom Genfersee her über Glion und über den Col de Jaman (er führt von Les Avants nach Montbovon) und durch das Simmental. In Thun lernte Arnold eine Dame namens Marguerite kennen, über welche später genauer gehandelt werden soll. Gesichert ist, dass Arnold von Thun aus Ausflüge ins Berner Oberland unternahm. So bestieg er einmal das Faulhorn und ein anderes Mal begab er sich über die Gemmi (Schwarenbach) nach dem damals noch sehr ruhigen und entlegenen Leukerbad, von wo aus er noch einen Abstecher über den Simplonpass nach Domodossola unternahm. Zurückgekehrt ins Leukerbad überkam Arnold anscheinend die Sehnsucht nach der in Thun gebliebenen Marguerite. Jedenfalls schrieb er am 29. September 1848 von Leukerbad aus seinem Dichterfreund Arthur Hugh Clough: «Morgen werde ich wiederum die Gemmi überqueren, um nach Thun zu gelangen. Dort werde ich mich noch einen Tag im Hotel Bellevue aufhalten um der blauen Augen willen von einem seiner Gäste. Und dann werde ich mit langsamen Postkutschen dem Rhein abwärts weiterfahren nach Köln, dann Amiens, Boulogne und zurück nach England».
«So bestieg er einmal das Faulhorn und ein anderes Mal begab er sich über die Gemmi nach Leukerbad, von wo aus er noch einen Abstecher über den Simplonpass nach Domodossola unternahm.»
Wiedersehen mit dem Berner Oberland
Das Berner Oberland machte auf Arnold anscheinend einen sehr positiven und andauernden Eindruck, weshalb er im darauffolgenden Jahr 1849, im September, ein zweites Mal nach Thun ins Hotel Bellevue kam, wo er wiederum seine verehrte Marguerite traf. Und auch in diesem Jahr suchte er von Thun aus das Leukerbad auf, um dann von dort erneut nach Thun und zurück in seine Heimat England zu gehen. Seinem bereits erwähnten Dichterfreund Clough teilte Arnold am 23. September 1849 mit, er wolle «to my cousin the Bhunlis Alp», womit ohne Zweifel die Blümlisalp gemeint war. Weiter schrieb Arnold in diesem Brief, er werde von Leukerbad aus zurück nach Thun und weiter nach England reisen.
Marguerite, die grosse Unbekannte
Wie erwähnt traf Arnold also sowohl 1848 als auch 1849 jeweils im Herbst in Thun eine junge Frau namens Marguerite, die ihn auch dichterisch stark inspirierte. Dass Marguerite keineswegs bloss eine dichterische Erfindung war, zeigen die persönlichen Aufzeichnungen Arnolds, namentlich seine Briefe. Aber wer war diese Marguerite? Die genaue Identifikation dieser Person namens Marguerite ist nicht möglich, da die Gästebücher und andere einschlägige Akten des Hotels Bellevue in Thun aus jener Zeit fehlen. Man darf aber annehmen, dass Marguerite eine junge Französin war, die vielleicht dem Adelsstand, aber ohne Zweifel oberen Gesellschaftskreisen angehörte. Ob sie in Thun bloss einen Ferienurlaub mit Familienangehörigen verbrachte oder ob sie, vielleicht aus politischen Gründen, längere Zeit quasi als Flüchtling in Thun war, bleibt ungewiss. Diese Möglichkeit darf sicher in Betracht gezogen werden, wenn man sich an die französische Februarrevolution von 1848, an die Abdankung des sogenannten Bürgerkönigs Louis Philippe und an die Proklamation der Zweiten Republik unter dem Präsidium von Louis Napoléon Bonaparte, dem Neffen von Napoléon I., erinnert. Die damalige politische Unsicherheit mit ihren politischen Wirren nötigte viele Franzosen, ihr Land zu verlassen. In Akten der Stadt Thun aus jener Zeit finden sich leider keine Angaben über politische Flüchtlinge der damaligen Zeit, welche die Identifikation von Marguerite erlauben würde.
Thun und das Berner Oberland verewigt in Arnolds Gedichten
Thun und das Berner Oberland, aber auch seine geliebte Marguerite hat Matthew Arnold in seinen Gedichten verewigt. Im Gedicht «Meeting» (aus Arnolds Gedichtsamm- lung «Switzerland»), das vermutlich im September 1849 und vielleicht sogar in Thun geschrieben wurde, kommen Thun, der Thunersee, vor allem aber Marguerite mit ihren süssen blauen Augen vor. Das Gedicht darf als eigentliche Hymne an Marguerite angesehen werden. Ausschnittsweise seien hier vier Zeilen zitiert:
«Again I see my bliss at hand, The town, the lake are here; My Marguerite smiles upon the strand, Unaltered with the year».
Ins Deutsche übersetzt würden die Verse lauten: «Erneut sehe ich meine Glückseligkeit in Reichweite. Die Stadt, der See sind hier. Meine Marguerite lächelt vom Gestade unverändert übers Jahr».
Im Gedicht «A Farewell», das 1849 entstand, wird Arnolds Rückkehr nach Thun thematisiert. Auch in diesem Gedicht sind Thun und der Thunersee verewigt, genauso wie eine gedeckte Brücke und eine Pappelallee besungen werden. Auch hier seien vier Zeilen zitiert:
«The poplar avenue was passed, And the roofed bridge that spans the stream; Up the steep street I hurried fast, Led by thy taper’s starlike beam».
Zu Deutsch: «Die Pappelallee lag hinter uns, und die gedeckte Brücke, die sich über den Fluss spannt; ich eilte die steile Strasse hinauf, geleitet vom sternförmigen Strahl deiner Wachskerze».
Mit der Pappelallee dürfte die Thuner Frutigenstrasse, an welcher ortsweise Pappeln standen, und mit der gedeckten Brücke die damals gedeckte Scherzligenbrücke, die heutige Thuner Bahnhofbrücke, gemeint sein.
«Thun und das Berner Oberland, aber auch seine geliebte Marguerite hat Matthew Arnold in seinen Gedichten verewigt.»