Die erste und einzige Bahn vom Thunersee in die Höhe

Die erste und einzige Bahn vom Thunersee in die Höhe

Die erste und einzige Bahn vom Thunersee in die Höhe

Das Dampfschiff hält an: Station Beatenbucht. Wir steigen vom Schiff auf die Drahtseilbahn nach Beatenberg um. Das tun wir heute, und das taten auch schon unsere Vorfahren, und zwar seit 1889, seit 131 Jahren also. Ab 1946 führte dann eine Sesselbahn ganz hinauf: aufs Niederhorn, auf nicht ganz 2000 Meter über dem Meer.

Text: Anita Egli  |  Fotos: Niederhornbahn AG, Stadtarchiv Thun

Seit dem 18. Jahrhundert stossen Touristen ins Berner Oberland vor, im 19. Jahrhundert in immer grösseren Scharen, sprich Reisegruppen. 1859 gelangten sie mit der Eisenbahn bis Thun, worauf dort das Hotelfieber ausbrach. Von Thun aus reisten die Reisenden sogar schon seit 1834 mit dem Dampfschiff in Richtung Berge, die sie dann auch bestiegen. Doch die Berge waren hoch, und nicht alle Besuchenden waren geübte Bergsteiger. Führer standen zur Verfügung, auch Lasttiere; die Gäste wurden gar in Sänften über die Berge geschleppt. Dann brach neben dem Hotel- auch das Bergbahnfieber aus. Bergbahnen sollten die Touristen mühelos auf die Berge bringen. Von einer Bahn auf die Jungfrau berichteten die Zeitungen ab den 1880er-Jahren, von einer Niesenbahn wurde ab 1896 gesprochen. 

Klein und bescheiden, quasi im Windschatten der Grossprojekte und mit Vollgas im Endspurt transportierte als erste Bahn direkt vom Thunersee aus ab 1889 die Beatenbergbahn ihre Gäste 553 Höhen­meter hoch auf die Sonnenterrasse Beatenberg. Vor 1889 hatte nur eine steile Strasse vom Bödeli nach Beatenberg geführt, die Fahrgäste der Kutschen mussten auch mal ­aussteigen und zu Fuss hinter dem Wagen her gehen, weil die Pferde die Kutsche nicht mehr zu ziehen vermochten. Um Beatenberg besser erreichbar zu machen, lancierte Baumeister Johann Frutiger aus Oberhofen 1887 die Idee einer Bahn. Hoteliers und auch deutsche Gäste auf dem Beatenberg halfen bei der Finanzierung, in Rekord­tempo wurde die Bahn gebaut. 1889 gab es im Oberland noch gar keinen elektrischen Strom, das Wasserkraftwerk Spiez produzierte Strom erst ab 1899. Die Beatenbergbahn funktionierte denn auch anfänglich nicht mit Strom – sondern mit der Schwerkraft: An der Berg­station in Beatenberg wurden bis zu neun Kubikmeter Wasser in den Tank der Bahn eingefüllt und damit ein Übergewicht erzeugt, das den oberen Wagen nach dem Lösen der Bremse nach unten und gleichzeitig den unteren Wagen nach oben beförderte. 

Ab 1914 war die Beatenbucht von Thun und Interlaken her auch per Bahn zu erreichen: die Steffisburg-Thun-Interlakenbahn, die STI, arbeitete sich von Thun her dem rechten Thunerseeufer entlang vor, erreichte 1913 Beatenbucht und stellte dort den Anschluss an die Beatenbergbahn sicher. In den Felsen hinter der Beatenbucht waren umfangreiche Sprengungen nötig, um die Bahn weiterzuführen, 1914 erreichte sie Interlaken. Sie fuhr von Anfang an elektrisch, den Strom lieferte die BKW AG. 

Die Drahtseilbahn bot einer breiten Masse die Möglichkeit von Wintersport am Niederhorn. 1931 schrieb das Oberländer Tagblatt: «Mit der Rechtsufrigen und der Drahtseilbahn lässt sich der gemütlichere Eingeborene hinaufbefördern auf den Berg, und mit dem Schlitten saust er dann zu Tal. Ein prächtiger Wintertag auf Beatenberg verschafft einen herrlichen Landschaftsgenuss, und für die Sportbetätigung sind die Verhältnisse hier ausserordentlich günstig. Die Skitouren nach dem Niederhorn, Flösch, Burgfeld, Amisbühl, Hochwald, Seefeld und auf die Gemmenalp sind sehr beliebt und können bis in den Frühling hinein ausgeführt werden.»

Der Erfolg machte Appetit auf mehr, die Beatenbergbahn wollte höher hinaus – aufs Niederhorn. Denn ab 1906 war sie ihre Exklusivität los, die Niesenbahn führte ab 1906 Gäste auf über 2300 Meter, die Jungfraubahn ab 1912 auf 3454 Meter, während bei der Drahtseilbahn auf den Beatenberg bei 1121 Meter über dem Meer fertig war. Eine Konzession für die Erschliessung des Niederhorns lag schon 1912 vor. Doch zwei Jahre später begann der Erste Weltkrieg, es folgte der Zweite: nicht unbedingt die Zeit für touristische Projekte. 

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der «zweite Stock» gebaut. Die Beatenbergbahn war 1945 Hauptinitiantin für den Bau der Sesselbahn Beatenberg-Niederhorn und beteiligte sich mit 300 000 Franken Aktienkapital an den Gesamtkosten von 1,2 Mio. Franken. Wie schon 1889 für die Drahtseilbahn war wieder die Firma Frutiger aus Oberhofen für den Bau verantwortlich. Diesmal baute Frutiger eine Sesselbahn mit Umlaufbetrieb «System von Roll», ein eben neu entwickeltes Produkt mit automatisch kuppelbaren Seitwärtssesseln. Das gleiche Modell war als letztes in der Schweiz bis 2008 auf dem Weissenstein in Gebrauch. 

Am 16. September 1946 wurde die Sesselbahn eröffnet, nun schwebten die Gäste von Beatenberg auf Zweiersesseln mit Blick gegen Süden bis zur Mittelstation Vorsass, wo die Sesselbahn einen Winkel auswies und der Blick der Gäste in der zweiten Sektion Richtung Westen fiel. Die Sessel waren allerdings nicht aus touristischen Gründen seitwärts ausgerichtet, sondern aus technischen: Die von-Roll-Sesselbahnen ab 1945 funktionierten mit Seitwärtssesseln, weil so unter anderem die Abstände der Stützen wie auch die Stationen enger konstruiert werden konnten. Und ein weiterer Vorteil: die Sessel konnten an der Station ausgekuppelt werden, und die Gäste bestiegen und verliessen den Sessel im Stehen und nicht im Fahren wie heute.

Die Drahtseilbahn bot einer breiten Masse die Möglichkeit von Wintersport am Niederhorn.

Den Ski­fahrern lagen anfänglich am Niederhorn unpräparierte Hänge zu Füssen, sie suchten sich ihre Abfahrten selbst, es gab keine Pisten­fahrzeuge.

Anfänglich waren die Stützen der zweiten Sektion aus Holz gebaut, was nicht ganz ungefährlich war, denn starker Wind konnte das Förderseil in Schwingung bringen, sodass es bei den Rollenbatterien entgleiste und zu Boden fiel – ohne dass dies von der Tal- oder Bergstation aus bemerkt wurde.

Die Talstation des Sessellifts lag auf ausdrücklichen Wunsch der Touristiker nicht bei der Bergstation der Drahtseilbahn, sondern einen 20-minütigen Fussmarsch davon entfernt; aus heutiger Sicht nicht wirklich ideal, damals aber wollte man die Sesselbahn in der Mitte des Dorfes haben. Die Bahnen unternahmen denn auch immer wieder Werbeaktionen, um zu zeigen, dass das Umsteigen überhaupt kein Problem sei (Oberländer Tagblatt, Band 78, Nummer 17, 22. Januar 1954): «Pressefahrt aufs Niederhorn. Der Zweck war, die verschiedenen Neuerungen vor Augen zu führen. Einmal hat sich die Hinfahrt nach Beatenbucht für die zum grossen Teil mit ihren Skiern ausgerüsteten Presseleute zu einer recht eindrücklichen Demonstration der Leistungsfähigkeit der Trolleybus-Schnellverbindungen nach der Bucht gestaltet. Solche Verbindungen werden an Wintersonntagen dreifach mit geräumiger Wagenkombination und einem bequemen Ski­anhänger geführt: in 25 Minuten ist Beatenbucht von Thun aus erreichbar. Die Beatenbergbahn führt in 12 Minuten zur Sonnenterrasse Beatenberg, von wo aus nach einem leichten Marsch das Niederhorn per Sesselbahn à la légère erklommen werden kann.»

Ski fahren am Niederhorn also, das Wintersportvergnügen für Einheimische und Gäste ab 1946. Den Skifahrern lagen anfänglich am Niederhorn unpräparierte Hänge zu Füssen, sie suchten sich ihre Abfahrten selbst, es gab keine Pistenfahrzeuge. 1952 installierte die Firma Habegger Thun bei der Bergstation Niederhorn einen kleinen Skischlepper, «der es erlaubt, die schönen Gipfelhänge ohne allzu grosse Ermüdung immer und immer wieder zu befahren», wie das Oberländer Tagblatt berichtete. Kontinuierlich wurden die Pisten verbessert, und als 1969 ein Skilift Vorsass–Niederhorn gebaut wurde, wurden auch zwei Pistenfahrzeuge angeschafft. 

Während rundum spektakuläre Bahnen – auf die Jungfrau, ab 1967 auch auf das Schilthorn – zunehmend ausländische Touristen für teures Geld in die Höhe fahren, bleibt das Niederhorn der Geheimtipp für Einheimische: Von hier aus hat man den Panoramablick Richtung Berge, hier fahren Familien günstig Ski, werden Kinder zum Wandern gezwungen, vergnügen sich die Gäste des Kurorts Beatenberg. 

Das geht lange gut so, das Niederhorn ist von Thun und Interlaken aus auch ohne ­eigenes Auto zu erreichen. Die Frequenzen steigen, Mitte der 60er- bis Anfang 70er-Jahre verzeichnet der Sessellift am meisten Gäste, das Niederhorn ist der Hausberg der Einheimischen – dann sinkt die Zahl der Gäste. Die Familien legen sich Autos zu und erreichen damit grössere, anspruchsvollere Skigebiete im Berner Oberland. Auch im Sommer wird die Konkurrenz grösser, seit ab 1968 eine Bahn Gäste auch aufs Stockhorn fährt. Der Sessellift ist nicht mehr zeitgemäss, obwohl die anfänglichen Holzstützen der zweiten Sektion längst durch Metallstützen ersetzt worden sind. In den 90er-Jahren fahren nur mehr gleich viele Gäste aufs Niederhorn wie bei Eröffnung 1946. 

1995, 50 Jahre nach dem Bau, läuft die Konzession für die Sesselbahn aus. Das ist das Ende der zwar romantischen, aber nicht mehr zeitgemässen Zweiersessel. Kostspielige Erneuerungen und Sanierungs­arbeiten wären fällig gewesen, weshalb eine komplett neue Gondelbahn erstellt und gleichzeitig auch das Umsteigeproblem gelöst wird: Die neue Gruppenumlaufbahn befördert die Gäste seit 1997 nicht mehr aus der Dorfmitte von Beatenberg, sondern ab der Bergstation der Drahtseilbahn aufs Niederhorn.