Heiraten am Thunersee anno dazumal

Heiraten am Thunersee anno dazumal

Heiraten am Thunersee anno dazumal

Die rauschenden Hochzeitsfeste von am Thunersee residierenden Adelsfamilien sind längst Geschichte. Doch damals wie heute wird in den zwölf über tausendjährigen Kirchen am Thunersee geheiratet und am oder auf dem See gefeiert. So mancher Verlobungs- und Hochzeitsbrauch aus dem 18. und 19. Jahrhundert hat sich bis heute erhalten.

Text: Karin Rohrbach  |  Fotos: zvg

Freitag, 25. September 1903 am Thunersee. Es ist ein wunderbarer, milder Herbstnachmittag. Der See glitzert im Sonnenschein, als wäre er mit einem Teppich aus unzähligen Diamanten überzogen. Es scheint, als wolle auch er sich heute von seiner besten Seite zeigen. In Oberhofen ist nämlich seit ein paar Stunden ein grosses Fest im Gange. Schon von Weitem hört man Musik, Gesänge und fröhliches Kinderlachen. Es ist nicht Jahrmarkt, sondern ein Ereignis, an das man sich noch lange erinnern wird: die Hochzeit der 25-jährigen Gräfin Paula Johanna Hildegard Albertine Karoline Eleonore von Harrach auf Schloss Oberhofen. Das Schloss ist seit Generationen und insbesondere über den Sommer ein beliebter Wohnsitz ihrer Vorfahren mütterlicherseits, der von Pourtalès’. Geboren und aufgewachsen ist die Braut auf dem Familiensitz ihres Vaters, Schloss Tiefhartmannsdorf, in der preussischen Provinz Schlesien (heute Polen). Die Gräfin heiratet den vier Jahre älteren preussischen Grafen Hans Heinrich XVI. von Hochberg, Freiherr zu Fürstenstein, Reserveleutnant der Gardes du Corps in der preussischen Garde-Kavallerie. 

Das Dorf Oberhofen und seine Bewohner haben sich für den besonderen Anlass herausgeputzt. Die Häuser und Plätze sind mit Blumen, Kränzen, Girlanden, Flaggen, Kantonswappen, Bannern und Wimpeln festlich geschmückt. Die Bevölkerung fühlt sich der Grafenfamilie, die seit Generationen viel für das Dorf und die Gegend tut, sehr verbunden. So stiftete Gräfin Anna von Pourtalès, die Grossmutter der Braut, ein Krankenhaus für Oberhofen und half nach dem grossen Dorfbrand von 1864 mit grosszügigen Geldspenden aus. Und im Jahr 1868 heirateten die Eltern der jetzigen Braut ebenfalls auf Schloss Oberhofen – Ferdinand Graf von Harrach, welcher einem alten österreichisch-böhmischen Adelsgeschlecht entstammt, und Hélène von Pourtalès. Viele Dorfbewohner, welche gerade mit ihren aufgeregten Kindern oder Enkelkindern an der Hand zum Schlosshof spazieren oder sich bereits dort vergnügen, erinnern sich an diese Hochzeit. Damals waren sie selbst Kinder und haben das Feuerwerk über dem See bestaunt. Pyrotechniker Hamberger persönlich soll es gezündet haben.

An diesem Freitag verköstigt sich die Jugend von Hilterfingen und Oberhofen auf Kosten der Grafenfamilie mit Züpfe und Schokolade und erfreut sich an einem Rösslispiel. Während die Kinder spielen, holt ein bunt beflaggtes Dampfschiff die Hochzeitsgesellschaft um 14 Uhr zu einer Rundfahrt ab. Der Dampfer feuert donnernde Salutschüsse ab, die weitherum zu hören sind. Auf dem See geniesst die Gesellschaft die herrliche Aussicht und die musikalische Darbietung des Interlakner Kurorchesters unter Kapellmeister Schleidt. 18 Stücke stehen auf dem Programm, nebst klassischen Kompositionen auch Volkstümliches wie der Zähringer-, Engadiner- und Bernermarsch. Natürlich darf auch die deutsche Kaiserhymne nicht fehlen. Als das Dampfschiff gegen 17.30 Uhr wieder in Oberhofen anlegt, stimmt das Orchester gerade das Brautlied aus Lohengrin an. Die elegante Gesellschaft begibt sich auf den Festplatz vor dem Schloss und gesellt sich unter die fröhliche Kinderschar. Es wird geplaudert, gespielt, gegessen und getrunken.

Am Abend kehrt die Bevölkerung müde und zufrieden nach Hause zurück, aber die Feierlichkeiten der Hochzeitsgesellschaft gehen weiter. In der im Schlossgarten errichteten Festhütte beginnt der Polterabend. Als es dunkel geworden ist, flammt von der Höhe, vom Schneckenbühl, ein durch elektrische Lichter dargestelltes Monogramm der Brautleute auf, gebildet aus den Anfangsbuchstaben ihrer Taufnamen und beschirmt von einer neunzackigen Grafenkrone. Um 22 Uhr erhellt ein prächtiges Feuerwerk den Nachthimmel, abgebrannt von einem auf dem See verankerten Schiff. Bis in die frühen Morgenstunden hinein wird im Schloss getafelt und getanzt. 


Bereits um 6.30 Uhr am nächsten Tag verkünden mehrere Mörserschüsse den Tag der Hochzeit. Im hübsch dekorierten Schulhaus findet am Vormittag die Ziviltrauung der Gräfin von Harrach mit dem Grafen von Hochberg statt. Zwischen 15 und 16 Uhr fahren zahlreiche Kutschen mit dem Brautpaar und den Hochzeitsgästen zur festlich bekränzten Kirche von Hilterfingen. Von nah und fern ist die Bevölkerung herbeigeeilt, um den Hochzeitszug anzusehen und die prächtige Garderobe der adligen Damen und Herren zu bewundern. An der Spitze des Zuges schreitet der Bräutigam in der glänzenden Uniform der preussischen Gardes du Corps mit einem silbernen, adlergeschmückten Helm. Ihm folgt, von ihren Eltern geführt, die Braut mit drei kleinen Schleppträgerinnen. Die zahlreichen Gäste bilden den Schluss des Hochzeitszuges. Besonders auffällig sind die mit farbigen Ordensbändern geschmückten Herren und die Brautjungfern, welche alle ein weisses Kleid mit rotem Nelkenschmuck tragen. Als sich die Gesellschaft in der Kirche eingefunden hat, vollzieht Ortspfarrer Haller die kirchliche Trauung. Lieder und Orgelvorträge verschönern die Zeremonie. Der weitere Verlauf der Hochzeitsfeierlichkeiten erfolgt unter Ausschluss der Bevölkerung innerhalb der mächtigen Mauern des erhabenen Schlosses. Die Schaulustigen schlendern nach Hause, während die Journalisten in die Schreibstuben eilen, um über das festliche Ereignis zu berichten.

Während beim Adel viel Wert auf eine standesgemässe Ehe gelegt wurde, folgten die Brautwerbung und die Heiratsbräuche beim Grossteil der Bevölkerung anderen Regeln und Traditionen. Wie genau sich das Brautpaar kennenlernte, welches mit der Hochzeitsgesellschaft und der Hotelière am 14. Mai 1910 vor dem Hotel Marbach in Hilterfingen abgelichtet wurde (siehe Abbildung rechte Seite), wissen wir zwar nicht. Aber die wichtigsten Verlobungs- und Hochzeitsbräuche im Kanton Bern vom 17. bis ins 19. Jahrhundert sind gut dokumentiert, u. a. durch Christian Rubi («Hochzeit im Bernerland» und «Liebeszeichen und Verlobungsbräuche im Bernerland»). Manche Bräuche sind verschwunden, andere werden bis heute praktiziert, so etwa das Setzen des «Maibaums».


Wallabys sind bekannt dafür, dass sie lieber auf Rückzug statt auf Konfrontation setzen.

Ursprünglich pflanzten die ledigen Burschen am Vorabend des ersten Mai oder am ersten Maisonntag zu Ehren eines von ihnen bevorzugten Mädchens vor dessen Elternhaus eine «Mailatte», d. h. einen entasteten, entrindeten und mit farbigen Bändern geschmückten Baum. Nach ein bis zwei Wochen räumten die Burschen diesen wieder weg und wurden von ihrer Liebsten mit Speis und Trank verköstigt. Übelbeleumdete Mädchen erhielten von abgewiesenen Bewerbern einen verschandelten «Meyen», etwa einen in verlumpte Kleider eingehüllten «Toggel» mit Kohlkopf. War bekannt, dass zwei junge Dorfleute vor der Ehe allzu intimen Verkehr gehabt hatten, legten die Burschen des Orts einen Streifen aus Sägemehl oder Spreu vom einen Haus zum andern. Ein besonderer Brauch, der laut Christian Rubi aus der Gegend von Thun bekannt ist, ist das Eichenlaubstechen. Ein getrocknetes Eichenlaubblatt wurde auf einem dicken Tuchlappen ausgelegt. Anschliessend durchlöcherte man die Blattschicht Stich für Stich zwischen den Rippen, wobei der Name der Geliebten – oder was man sonst darstellen wollte – ausgespart blieb. Am Schluss wurde das Blatt sorgfältig mit einer Bürste abgefegt, bis das filigrane Gebilde zum Vorschein kam. 

Bis heute ein Begriff im Zusammenhang mit der Brautwerbung ist der «Kiltgang». In seinem 1814 erschienenen Werk «Reise in die Alpen» berichtet uns Franz Niklaus König: «Das Kiltgehen ist eine eingewurzelte und unvertilgbare Sitte auf dem Lande im Canton Bern, und mehreren andern Orten der Schweiz. (…) Die Jünglinge besuchen nämlich die Mädchen nachts, bald einzeln, bald in Gesellschaft. Der Weg geht durchs Fenster; vorher aber werden Zärtlichkeits-Reden gehalten, die meistens drollig genug sind; und auf diese folgt eine Art Capitulation. Endlich auf dem Gade (obere Stube) angelangt, werden sie von den Mädchen mit Kirschwasser erfrischt. Alles weitere gehe dann (wie man sagt) in der grössten Zucht und Ehrbarkeit zu! Ich mag das gerne glauben, und will es auch glauben, obschon mirs nicht in den Kopf will: wie ein rüstiger Aelpler zum platonisiren kommen soll? (…) Zu dem giebt es oft Symptome, die (…) zum Glücke meistens nach der Kirche führen.»

Es liessen sich noch viele weitere Verlobungsbräuche aufzählen, doch ist hier nicht der Platz dafür. Gehen wir daher einen Schritt weiter. War das Werben um die Liebste von Erfolg gekrönt, wurde Hochzeit gefeiert. Unter Hochzeit verstand man früher jegliches wichtige Fest kirchlicher oder weltlicher Art, beispielsweise auch höfische Feste. Erst ab dem 13. Jahrhundert begann sich der Begriff allmählich auf die Eheschliessung einzuengen. Während heute eine Trauung nicht mehr zwingend kirchlich erfolgt – rechtlich massgebend ist die Ziviltrauung –, war das lange Zeit anders. Noch vor 1798 mussten die Brautleute ein «Eheexamen» ablegen, d. h. sie wurden vom Pfarrer oder Priester über die christliche Religion und den Ehestand befragt. Nur wer diese Prüfung bestand, erhielt die kirchlichobrigkeitliche Erlaubnis zur Hochzeit.

Die Tradition der Geschenkgaben hat sich bis heute erhalten, nur die Art der Geschenke ist nicht mehr dieselbe. Erhielte ein heutiges Hochzeitspaar Suppenplatten aus Zinn, kupfrige Bettpfannen, silberne Löffel, Schnupftabak oder Seidenstrümpfe, wäre die Freude wohl nicht besonders gross. In wohlhabenden Kreisen beschenkte man das Brautpaar natürlich anders, etwa mit wertvollen Stoffen wie Satin oder Musselin, goldenen Uhren, Handschuhen, Nähzube- hör oder Musikinstrumenten. Im Unterschied zu heute war es noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts üblich, dass der Bräutigam in Uniform heiratete. Das Militärische spielte damals eine wichtige Rolle. So war eine Trauung erst möglich, wenn sich der Bräutigam über den Besitz eines Gewehrs ausweisen konnte. Für ärmere Burschen stellte das ein Problem dar. Nicht wenige beschafften sich die Uniform eines Kollegen. Doch wer erwischt wurde, hatte Pech: In einem solchen Fall gab es drei Tage Gefängnis statt einer Hochzeit.

In der Nacht vor der Hochzeit oder am Hochzeitstag wurden unbeliebte Hochzeitspaare oft durch die Burschen des Orts behelligt oder dem Spott ausgesetzt. Etwa, wenn das Paar die übliche Geld- oder Weinspende an das Jungvolk verweigerte, bei unsittlichem Verhalten oder vorehelicher Geburt eines Kindes. Auch die Heirat in ein anderes Dorf ging nicht lautlos vonstatten, wie erwähnter Franz Niklaus König vor über 200 Jahren festgehalten hat: «Eine andere höchst komische Scene ist die Zügel-Fuhr, Zügelführen, oder auch Trychleten. Diese nächtliche Handlung geschieht, wenn ein Mädchen in ein anderes Dorf heyrathet. Da zieht dann der ganze Schwarm der jungen Purschen mit Peitschen, Kühglocken, Pfeiffen, Hörnern, Kesseln, und allem, was etwa zum Spektakelmachen tauglich ist, aus; nachdem sie vorher die Kleider über den Kopf geworfen, um nicht erkannt zu werden. Einige tragen russige Lappen an Stangen, und bezeichnen mit einem Schlag damit alle, die etwa die Neugierde ans Fenster lockt. So vor dem Haus der Verlobten angelangt, ziehen sie einen Kreis; die Harmonie hört auf! Einige halten Reden, wie sie zu errathen sind; stecken eine strohene Puppe an einer Stange auf, oder bringen sie in einer Wiege, (welches dann aber seine besondere Bedeutung hat) wiegen und singen dazu, auch sehr erbaulich! – Sind es arme Mädchen, oder ist der Verlobte arm, so handeln sie, zum Spott, mit Vieh und Käs, melken Kühe, und machen ihnen zum Schein, grosse Geschenke (Aussteuer). Worauf die Schaar mit dem unbändigsten Lärmen und Spektakel wieder abzieht.»

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Ein weiteres Hindernis bei einer Heirat ins Nachbardorf war der Brauch des «Türliverbindens» oder «Kettenspannens». Früher waren die Dörfer noch mit Holzzäunen umfriedet und die Ausgangswege durch Holzgatter (Türli) abgesperrt. Der Weg zur Kirche des Nachbarorts wurde der Hochzeits- gesellschaft versperrt, indem die Dorfleute – besonders häufig die Burschen – die Holzgatter an den Pfosten festbanden oder eine Kette davor spannten. Die Braut durfte erst passieren, wenn sie etwas versprochen oder Geld gegeben hatte, quasi als Lösegeld aus ihrem Dorfverband. Die Folge dieses Brauches: Die Hochzeitsgesellschaft traf häufig verspätet in der Kirche ein, weil am Gatter die längste Zeit hin und her verhandelt wurde, sehr zum Ärger des in der Kirche wartenden Pfarrers. Und damit nicht genug. Bis ins 17. Jahrhundert hielt sich trotz obrigkeitlichem Verbot der Brauch der «Morgensuppe», auch «Brautlaufsuppe» genannt. Wenn Sie jetzt an eine Gemüse- oder Fleischbrühe denken, liegen Sie falsch: Die «Suppe» bestand nämlich aus besonders zubereitetem Wein. Was sich laut Christian Rubi einst in einer Berner Landgemeinde zutrug, erlebte wohl auch so mancher Pfarrer am Thunersee: Ärgernis beim Pfarrer und wohl auch Heiterkeit bei einem Teil der Predigtleute erregte offensichtlich 1627 der Schlosswyler Peter Künzi, welcher «als er eine Hoch- zytterin geführt, die ganze Predig us gschlaffen und geschnarchlet, auch hernach, als er die Hochzytterin führen söllen, sehr geschwanket und schier dahin gfallen».

Dass man Hochzeiten ausgiebig und (feucht-)fröhlich feiert und es mit dem Alkoholgenuss gerne etwas übertreibt, ist also nicht neu und könnte ebenfalls als eine Art Tradition bezeichnet werden, die von so manchen Hochzeitsgästen, Bräuten oder Bräutigamen gepflegt wird. Auch wenn gewisse Verlobungs- und Hochzeitsbräuche inzwischen verschwunden sind, so bleibt bis heute eine jede Hochzeit ein denkwürdiges Ereignis. In diesem Sinne: Prost!