Weihnachtsgeschenke in Thun zu Ururgrossvaters Zeiten
Weihnachtsgeschenke in Thun zu Ururgrossvaters Zeiten
Geschenke in Hülle und Fülle unter dem Weihnachtsbaum, Geschenke in Verkaufsgeschäften, die zum Kauf einladen: Für viele steht heute das Schenken und das Beschenktwerden im Mittelpunkt des Weihnachtsfestes. Was aber wurde in Thun und im Berner Oberland zu Ururgrossvaters Zeiten, im 19. Jahrhundert, geschenkt? Ein Blick in Zeitungen und Verkaufsangebote der damaligen Zeit gibt Aufschluss.
Text: Jon Keller | Fotos: zvg
Geschenke aus fremden Ländern waren damals die grossen Favoriten. Während heute dank Auto, Eisenbahn und Flugzeug fremde Länder in kürzester Zeit erreicht werden können, und Ferien im Ausland für sehr viele an der Tagesordnung sind, lagen im 19. Jahrhundert Ziele im Ausland nur für wenige im Bereich des Möglichen. Deshalb wurde versucht, wenigstens mit Geschenken den Duft der grossen weiten Welt in die eigenen vier Wände zu bringen. Dies konnte etwa geschehen, indem man Pariser oder Wiener Kosmetikartikel, Mülhauser Baumwolltücher, Türkische Gewebe, Turiner Wer- mut, Wacholderbranntwein aus Amsterdam, Rum aus Jamaika, Trauben aus Málaga oder «ächt englische» Rasiermesser schenkte.
Musikdosen in Bierhumpen
Elektronische und elektrische Apparaturen und Gerätschaften sind heute allgegenwärtig. Aber in der Vergangenheit erfreute man liebe Verwandte oder Freunde, indem man ihnen ein Spielwerk oder eine sogenannte Musikdose schenkte, welche zwischen zwei und sechzehn, manchmal gar noch mehr Melodien spielen konnte. Derartige Spielwerke waren, man höre und staune, in Briefbeschwerern, in Zigarrenständern, in Schweizer Chalets, ja sogar in veritablen Bierhumpen eingebaut. Unsere heutige Gesellschaft wird von einer Flut von Bildern heimgesucht, sei es in Zeitschriften, im Fernsehen, durch das Smartphone, in Büchern oder im Kino, ganz im Gegensatz zu früher. Damals schätzte man ein «Illustriertes Prachtwerk», beispielsweise eine bebilderte Geschichte der Schweiz, viel mehr als heute, und man betrachtete die Bilder sehr eingehend und nicht nur oberflächlich im Schnellzugstempo.
Cachenez, Balayeuse…
Gerade etwa der Kalte Markt in Thun bot Gelegenheit, sich selbst und Angehörige mit Kleidungsstücken zu beschenken. Schon damals war die Auswahl sehr gross. Man konnte unter anderem aus verschiedensten gesteppten Röcken, Filz-Jupons und Seidensamt-Gilets seine Favoriten wählen. In jenen Tagen waren für viele Kleidungsstücke noch die französischen Ausdrücke gang und gäbe, so etwa Paletot (Überrock), Ca-
chenez (grosses Halstuch) oder Balayeuse (Schleppkleid). Gerne geschenkt wurden natürlich auch Romane von Bestsellerautoren, beispielsweise Eugenie Marlitt, Berthold Auerbach oder Joseph Victor von Scheffel, Autoren, die heute kaum mehr gelesen werden. Ein guter Ehemann beschenkte vielleicht seine Allerliebste mit dem Ratgeber «Das fleissige Hausmütterchen».
Keine Computerspiele…
Belehrende Spiele für die Jugend sind keineswegs eine Erfindung moderner Pädagogen: bereits damals wurden sie in Thuner Papeterien empfohlen. Daneben gab es aber auch, wie in unseren Tagen, Kriegsspiele, so etwa «Die Deserteure» oder – in jener Zeit noch aktuell – «Der russisch-türkische Krieg», der 1877/78 ausgefochten wurde. Während für Mädchen Reliefalben Schlagerartikel darstellten, waren es Bleisoldaten für die Knaben. Mit bleiernen Figürchen konnten mittelalterliche Ritterturniere aufgebaut oder wichtige Schlachten wie Waterloo 1815, welche Napoleon I. eine vernichtende Niederlage brachte, nachgestellt werden.
Emaillierte Fotoansichten
Modegeschenke in damaligen Zeiten waren etwa emaillierte, bombierte Fotoansichten oder transparente Fotografien auf fein dekoriertem Mattglas, dann verschiedenste Kalender (Brattig) wie Nationalkalender, der Pilger, Rosius oder der noch heute bekannte Hinkende Bote. Nähmaschinen «neuester Konstruktion» wurden ebenfalls als repräsentative Geschenke angepriesen, wobei neueste Konstruktion natürlich Hand- oder Fussbetrieb meinte. Von elektrischen oder gar elektronischen Geräten war man noch meilenweit entfernt.
Weihnachtsbescherung für Schulkinder
Eine nicht unwesentliche Rolle spielte damals die offizielle Weihnachtsbescherung für Schulkinder. An Konzerten wurde Geld gesammelt und die Bevölkerung steuerte Naturalgaben bei. Bei der Schulweihnacht wurde ein Baum mit Kerzen und den damals neu aufgekommenen Lamettafäden verziert. Bei ärmeren Schulkindern stand zu Hause kein Weihnachtsbaum und elektrisch beleuchtete Bäume in Schaufenstern von Verkaufsgeschäften waren natürlich undenkbar. In der Tagespresse von 1861 stand zu lesen: «Für viele arme Kinder dürfte der prächtige Weihnachtsbaum im grossen Falkensaal der einzige sein, den sie zu sehen bekommen.» Bei der anschliessenden Bescherung wurden vorab Kinder von minderbemittelten Familien mit einem Geschenk bedacht, oft war es für diese Kinder das einzige überhaupt.
In einer Thuner Zeitung von 1877 wurde vermerkt: «Die Elementarlehrerschaft ist vom Wunsche beseelt, auch dieses Jahr einen Weihnachtsbaum zu veranstalten und bittet um Gaben, um auch den ärmsten Kindern ihrer Klassen eine Weihnachtsfreude zu Teil werden zu lassen.»
Während für Mädchen Reliefalben Schlagerartikel darstellten, waren es Bleisoldaten für die Knaben.
Erbsen «en boîtes»
In Inseraten der damaligen Tagespresse wurde auch für Delikatessen geworben, die zum festlichen Weihnachtsmahl gerne aufgetischt wurden. Dabei fällt auf, dass derartige Delikatessen von einst, die sehr teuer und nur in exklusiven Verkaufsgeschäften zu erstehen gewesen waren, heute alltäglich sind und in jedem Supermarkt in grosser Auswahl angepriesen werden. Zu nennen wären etwa: geräucherte Heringe, Morcheln, Champignons, Tomaten, Zitronen, Kastanien, aber auch Kapaune (gemästete junge Hähnchen), Gothaer Aufschnitt, getrocknete Málaga-Trauben (Rosinen) und zum Trinken Klaret (Gewürzwein) – alles Speisen und Getränke, die damals nicht alltäglich waren. Schlagerartikel im Verkauf waren auch verschiedene Gemüse «en boîtes», also in Konservendosen, auch das damals keine Alltäglichkeit…
In den 1870er-Jahren sprach die Presse begeistert von einem «kolossalen Aufschwung» der Gletschereisexporte. Mehrere Grindelwaldner Hoteliers schlossen sich zu jener Zeit mit der bedeutendsten Eishandlung der Schweiz zusammen, der Firma C. A. Bauer in Zürich, und gründeten die «Eis-Export-Gesellschaft von Grindelwald». Diese liess eine zwei Kilometer lange Rollbahn («Gletschereis- Bahn») von Grindelwald-Grund an die Zunge des unteren Gletschers bauen. Die Rollbahn hatte im unteren Teil, auf einer Länge von etwa 1,8 Kilometern, eine Steigung von drei bis fünf Prozent; «dann steigt die Anlage mit einer ziemlich grossen Curve mit 45–50 % gegen den Gletscher hinauf, um dann wieder ziemlich eben denselben zu erreichen. Zwei grosse Drehscheiben, um welche das Drahtseil zweimal umläuft, dienen als Bremsvorrichtung. Gefahr ist keine vorhanden, namentlich nicht für Menschenleben, da die beladenen Wagen, je einer nach dem andern, ohne Begleitung bergab gelassen werden. Der beladene, abwärts fahrende Wagen zieht den leeren auf dem zweiten Geleise aufwärts.»
Wie in einem Steinbruch leisteten gegen 60 Arbeiter Schwerstarbeit und brachen das Eis in kubische Blöcke, vor allem in den wärmeren Jahreszeiten. Jeder Block hatte ein Gewicht von 50 bis 75 Kilogramm. Um 1870 wurden täglich zwischen 10 und 15 Tonnen Eis (circa 200 Blöcke) abgebaut und verladen, in späteren Jahren waren es deutlich mehr.
Wie risikoreich die Arbeit am Gletscher war, ist dem Thuner Wochenblatt vom 1. Januar 1873 zu entnehmen: «Letzten Donnerstag verunglückten hier beim Eisbrechen zwei Arbeiter mit Namen Rubin und Roth. Durch den mehrere Tage anhaltenden Föhn wurde das Gletschereis stellenweise weich und zerbröckelte. Infolge dessen fielen gewaltige Eisstücke von der Höhe herunter auf die beiden Arbeiter und wurden dieselben furchtbar zugerichtet, so dass Rubin, der einzige Sohn einer Witwe, ein wohlbeleumdeter junger Mann, bald nach diesem Vorfalle starb. Roth wurde ebenfalls schwer verletzt, so dass man um sein Leben besorgt ist. Andere Arbeiter konnten glücklicherweise noch rechtzeitig der Gefahr ausweichen.»
Weil Grindelwald erst 1890 bahntechnisch erschlossen wurde (Schmalspurbahn Berner-Oberland-Bahn BOB von Interlaken Ost nach Grindelwald), musste das Eis anfänglich mit Fuhrwerken nach Därligen an den Thunersee transportiert werden. Im Sommer verlor ein Eisblock während des Transports etwa ein Drittel seiner Masse. Dennoch blieb
der Eishandel ein lohnendes Geschäft. Von Därligen aus erfolgte der Bahnverlad nach Interlaken via Bödelibahn oder die Umladung auf ein Trajektdampfschiff (Eisenbahnfähre) nach Thun–Scherzligen. Von hier aus wurde das Gletschereis mit der Eisenbahn Richtung Bern–Basel spediert.