Bergsteigen, Tennis, Golf, Segeln, Baden – Sport für Fremde und Einheimische

Bergsteigen, Tennis, Golf, Segeln, Baden – Sport für Fremde und Einheimische

Bergsteigen, Tennis, Golf, Segeln, Baden – Sport für Fremde und Einheimische

Die Oberländer Bevölkerung ist seit jeher gewandert und gesegelt. Allerdings nicht zum Genuss, sondern als Broterwerb. So stiegen einheimische Hirten seit Jahrhunderten mit dem Veh auf die Alpen, und die Schiffer transportierten auf dem Thunersee mit Segelbooten Waren und Personen. Im 19. Jahrhundert reisten dann Gäste vornehmlich aus England in die Schweiz und liessen sich von ortskundigen Einheimischen in die Berge führen. Diese Gäste brachten uns das Bergsteigen als Sport nahe – heute ist es der Volksport schlechthin. Und nicht nur das Bergsteigen; viele weitere Sportarten kamen zusammen mit den Fremden in die Schweiz.

Text: Anita Egli  |  Fotos: zvg

1805 wurde bei der Burg Unspunnen bei Interlaken das erste Un­spun­nenfest mit Schiessen, Schwingen und Steinstossen gefeiert. Unspunnen gilt als der Ursprung des Schwingens in der Schweiz. Beim Steinstossen galt es, den ursprünglich 92 Kilogramm schweren Stein möglichst weit zu stossen. Die Besten schaffen es, den heute 83,5 Kilogramm schweren Stein knapp vier Meter weit zu stossen. 

Die Schweiz hatte also auch schon früher ihre Sportarten, allerdings waren diese eher etwas für kräftige Burschen, weniger für elegante Damen – bis die englischen Gäste ins Berner Oberland kamen. Ausländische Gäste ohne bergsteigerische Ambitionen spazierten durchs malerische Thun und wollten sich auch gerne sportlich betätigen. Bloss sollte es nicht Schwingen und Steinstossen sein, sondern die gewohnten Sportarten aus der Heimat, die da waren: Tennis, Reiten, Golf. Die Hotels richteten Tennisplätze ein, der Thunerhof, der Freien­hof und das Hotel Viktoria Baumgarten ­bauten in der Zeit der Jahrhundertwende um 1900 hoteleigene Tennisplätze. Rund um den Thunersee, in Spiez, Oberhofen, ­Merligen, Gunten, Sigriswil und ­Hilterfingen bemühte sich in jedem Dorf ein Verkehrsverband, die Fremden mit Alpenpanorama und Sportangeboten anzulocken. 

Dann brach der Erste Weltkrieg aus und der Tourismus war zu Ende, für die Hotellerie begann eine Krisenzeit. Arbeitslosigkeit war zwar in Thun kein grosses Thema, in den Rüstungsbetrieben wurden sogar neue Stellen geschaffen, aber es gab Lebensmittelknappheit, und soziale Spannungen kumulierten 1918 im Landesstreik. In den Hotels logierten keine Fremden mehr, sondern waren Internierte einquartiert. Gegen Ende des Krieges brach dann noch die spanische Grippe aus und forderte weltweit 25 Milli­onen Tote; in Thun waren es 118.

1918 war der Krieg vorbei, und auch die Grippe war 1919 überstanden, die Hotels öffneten wieder und erste Gäste reisten an den Thunersee – Aussicht auf Verdienst für die Einheimischen. Der war hochwillkommen, denn die Militärbetriebe bauten ab 1919 mehrere 100 Stellen ab. Wir können uns seit diesem Frühling mit dem Coronavirus vielleicht ansatzweise vorstellen, wie eingeschränkt das Leben während des Krieges war – und wie froh die Leute waren, als der Krieg vorbei war und das Leben wieder Fahrt aufnahm. 

Die Gäste spielten wieder Tennis und stiegen wieder auf die Berge. Doch das reichte nicht, es musste mehr geboten werden. Die Hotels rund um den See standen nicht nur in Konkurrenz zu Interlaken, sondern auch zu ausländischen Ferienorten – zum Beispiel der italienischen Riviera. Rund um den Thunersee setzte sich der Gedanke durch, dass die Region und nicht der einzelne Ort beworben werden sollte. Die vielen kleinen Verkehrsverbände schlossen sich 1926 zum Verkehrsverband Thunersee zusammen. Bis auch der Thuner Verkehrsverband Teil der Organisation wurde, dauerte es dann noch etwas länger, nämlich bis 2012, doch das nur nebenbei. 

Der Verkehrsverband Thunersee nahm ab 1926 die Werbung für die Region in die Hand. Prospekte zeigen, was hier neben Landschaft bewundern und auf die Berge steigen alles geboten wurde: Tennis spielen, Pferderennen, schwimmen im Strandbad Thun, Rudern, Segeln und Golfen.

1923 entstand in Einigen bei Spiez der erste Golfplatz am Thunersee. Das Oberländer Tagblatt schreibt zur Eröffnung am 19. Mai: «Damit wird eine Institution den Fremden zugänglich gemacht, an die sich mancherlei Hoffnungen für die Wiederbelebung der Fremdenindustrie am Thunersee knüpfen. Seit dem Weltkriege rekrutiert sich der Hauptteil der ausländischen Besucher im Oberlande aus dem englischen Sprachgebiete. Bei den sportliebenden Engländern und Amerikanern spielt das Golfspiel eine grosse Rolle. Von verschiedenen treuen Gästen Thuns wurde wiederholt der Wunsch ausgedrückt, es möchte auch eine Gelegenheit geschaffen werden, um diesen in England und Amerika sehr beliebten verbreiteten Rasensport hier einzuführen. Unter fachkundiger Leitung eines englischen Golflehrers ist nunmehr ein Spielplatz geschaffen worden, der vom spieltechnischen Gesichtspunkt aus als erstklassig bezeichnet wurde. Der Platz liegt seewärts der Strasse Thun–Spiez im Kandergut, oberhalb der Kandereinmündung in den Thunersee. Er kann von der Bahnstation Einigen aus in kaum fünf Minuten erreicht werden.» 

Dann brach der Erste Weltkrieg aus und der Tourismus war zu Ende, für die Hotellerie begann eine Krisenzeit.

Und dann gründete der Verkehrsverband Thunersee auch noch die erste Schweizer Segelschule überhaupt: 1935 ging sie an drei Standorten in Betrieb, nämlich Hilterfingen, Spiez und Neuhaus. Seit 1920 schon gab es einen Yachtclub auf dem Thunersee, gegründet wie der Tennisclub Schadau von vermögenden Einheimischen, also Zahnärzten, Ärzten, Prokuristen usw. Segeln auf dem Thunersee war zunächst Brotberuf der Schiffer gewesen und dann ein Privileg der Glücklichen, die sich ein eigenes Boot leisten konnten. Das änderte sich mit der Gründung der Segelschule Thunersee: 


«Infolge der günstigen Windverhältnisse eignet sich der Thunersee ganz hervorragend für den Segelsport. Mit dem Zweck, den herrlichen Segelsport weiteren Kreisen allgemein zugänglich zu machen, wurde unter dem Patronat des Thunersee-Yachtklubs und des Verkehrsverbandes Thunersee kürzlich eine Segelschule gegründet, welche unter kundiger Leitung ab Mitte Juni Segelfahrkurse durchführen wird.» (Oberländer Tagblatt, Band 59, Nummer 125, 31. Mai 1935) Die Segelschule wurde als gemeinnützige Sportorganisation betrieben, öffentliche und private Subventionen ermöglichten es, die Kurse zu bescheidenen Kosten durchzuführen. Die Segelschule Thunersee besteht immer noch und hat seit 85 Jahren unzähligen Fremden und Einheimischen das Segeln beigebracht. 

In den goldenen Zwanzigerjahren war Sport treiben nicht mehr nur für die Fremden ein Thema. Es gab auch Einheimische, die den Krieg gut überstanden hatten und sich amüsieren wollten wie die Fremden. Sie hatten sich auf den Tennisplätzen der Hotels kennengelernt, die auch Einheimischen offen standen, und beschlossen, selbst einen Tennisplatz zu bauen. 1926 wurde der Tennisklub Schadau eröffnet, beim heutigen Parkplatz Schadau spielten Zahnärzte, leitende Angestellte und Fabrikanten Tennis, darunter auch die Selvebesitzerin Else von Selve.

Tennis, Segeln und Golf wurden zu Sportarten auch für Einheimische, wenn auch für eher gutbetuchte Kreise. Doch die Gegend bot auch den einfachen Leuten etwas: Rund um den See tauchte die lokale Bevölkerung schon seit langem ins kühle Nass, wie zum Beispiel meine Grossmutter, die 1931 in Dürrenast am Ufer steht und aufs Wasser schaut. Gleich wird sie in den See steigen, sie kann nämlich gut schwimmen. Ab 1922 stand das Strandbad Thun allen zum Baden offen, anfänglich Frauen und Männern noch zu verschiedenen Zeiten, aber bald schon gleichzeitig, wie das in anderen Bädern der Gegend schon seit langem praktiziert wurde. Und weil das Strandbad so schön gelegen ist, schaffte es auch der Sprungturm des Standbades in die Tourismusprospekte. 

Vor 100 Jahren war das Wandern zum Volkssport der lokalen Bevölkerung geworden. Während sich die Engländer unter kundiger Führung von Bergsteigern an immer schwierigeren Gipfeln im Oberland versuchten, fuhr mein Grossvater an einem Sonntag mit Kollegen mit dem Velo vom Lerchenfeld nach Blumenstein und stieg von dort aufs Stockhorn auf. Auf der Mönschelenalp holte er einen Spiegel aus dem Rucksack und «spiegelte» seiner Familie im Liebefeld die Nachricht zu, er sei oben, alles in Ordnung. Die Familie spiegelte zurück: Verstanden. 

Die Gäste spielten wieder Tennis und stiegen wieder auf die Berge. Doch das reichte nicht, es musste mehr geboten werden.