Brücken der besonderen Art

Brücken der besonderen Art

Brücken der besonderen Art

Titelbild: Fuss- und Radwegbrücke Reutigen-Wimmis.

Im dritten Beitrag der Serie «Brückengeschichten» werfen wir den Blick auf drei besondere Brücken. In unmittelbarer Nähe des Zusammenflusses von Kander und Simme finden wir die moderne Fahrradbrücke Reutigen-Wimmis und einige Hundert Meter Kander aufwärts zwei historische Bauwerke: die Eisenbahnbrücke der Spiez-Erlenbach-Bahn von 1897 und den Aquädukt der vereinigten Kander- und Hagneckwerke von 1908.

Text: Rudolf Schneiter  |  Fotos: zvg

Vom illegalen «Pulveristeg» zur längsten freigespannten Holzbrücke der Schweiz

Der «Pulveristeg» – heute präziser «Fuss- und Radwegbrücke Reutigen-Wimmis» genannt – blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Am Anfang steht der Wunsch von den Arbeitern der um 1918 gegründeten Pulverfabrik Wimmis nach einer direkten Verbindung zwischen Reutigen und der Fabrik. Sie erstellten ohne Bewilligung 1919 einen ersten Fussgängerübergang über die Simme. Dieser Steg wurde bei einem Hochwasser 1922 weggerissen und dann grösser und höher wieder aufgebaut. Tragischerweise verunfallte 1932 auf dem Steg ein Arbeiter aus Reutigen tödlich und der Kanton verbot die weitere Nutzung des Steges. Nun schaltete sich der Gemeinderat von Reutigen ein und erhielt vom Kreisoberingenieur Unterstützung, indem dieser erklärte, dass der Steg unter den Begriff «der Landesverteidigung dienendes Objekt» fällt und für solche Bauwerke keine kantonale Bewilligung oder Kontrolle erforderlich ist. Somit konnte der Holzsteg weiterhin benutz werden, musste aber wegen Hochwasserschäden in den folgenden Jahren mehrmals repariert werden. Im Zusammenhang mit dem Bau der Festungsanlagen an der Sattelegg wurde 1941 ein neuer, fester Betonsteg erstellt, der beinahe fünfzig Jahre Arbeitskräften sowie Schülerinnen und Schülern den Weg nach Wimmis verkürzte.

Nach einer längeren Planungsphase wurde im August 1989 die neue Fuss- und Radwegbrücke eröffnet. Die auf zwei Betonpfeilern (16 Meter und 19 Meter hoch) ruhende Brücke ist ganz aus Holz gefertigt und weist eine Länge von 108 Metern auf. Die Brücke verläuft in einer Höhe von 24 Metern über dem Flussbett der Simme und ist ein Schlüsselobjekt im kantonalbernischen Radwegkonzept von 1985. Mit einer Mittelspannweite von 54 Metern zwischen den beiden Betonpfeilern war sie bei ihrer Erstellung die längste freigespannte Brücke der Schweiz. Beeindruckend ist – neben den Baukosten von 2,7 Millionen Franken (inkl. Lehnenviadukt) – die gewaltige Menge verbautes Holz (48m3 Lärche, 80m3 Tanne, 98m3 Brettschichtholz, 17m3 Furnierschichtholz).

Eine eigenartige Brücke – der Kanderaquädukt

Durch den gestiegenen Elektrizitätsbedarf genügte das aufgestaute Wasser der Kander für den Betrieb des Elektrizitätswerks Spiez nicht mehr. Deshalb entschlossen sich die Betreiber des Kraftwerks, einen Zulauf aus der Simme zu bauen, und errichteten 1908 an der Port bei Wimmis das Simmenwehr. Das Wasser sollte über einen Stollen zum Stauweiher Spiezmoos geführt werden. Dies erforderte jedoch eine Überführung des Simmenwassers über die Kander. Das erste Projekt mit einem eisernen Siphon, der auf niedrigen Pfeilern den Fluss überqueren sollte, wurde verworfen. Die vereinigten Kander- und Hagneckwerke entschieden sich trotz beträchtlicher Mehrkosten, insbesondere aus ästhetischen Gründen, für einen Massivbau mit monumentalem Charakter des Zürcher Unternehmens Müller, Zeerleder & Gobat. Ein beachtlicher Bogen von 28 Meter Spannweite überspannt das eigentliche Flussbett. Nördlich und südlich schliessen daran je 13 regelmässige Bogen von 8 Meter Spannweite an. Der geschlossene Wasserkanal ist in armiertem Beton ausgeführt. Zur Gliederung wurde jeder vierte Pfeiler mit einer Mauervorlage als Gruppenpfeiler ausgestaltet. 1908 wurde das Aquädukt fertiggestellt. 

Der Wasserkanal des Kanderaquädukts verursachte den Betreibern nach rund 20 Jahren Probleme, die wohl mit der Dilatation (Verformung, Ausdehnung) und der Dichtigkeit zu tun hatten. Diese waren damals nicht in den Griff zu kriegen, weshalb man sich entschloss, den Brückenkanal vollständig zu erneuern. Anfang der 1930er-Jahre wurde der Bauingenieur Robert Maillart mit dieser Aufgabe betraut. Er hatte bereits Erfahrung mit Aquädukten und ist heute insbesondere wegen seinen bahnbrechenden Betonbrücken bekannt. Der von ihm 1935 bis 1937 erstellte Kanal hebt sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger durch eine völlig schmucklose, fugenlos wirkende Gestaltung vom Unterbau ab. Konstruktiv setzt sich der Kanal jedoch aus 18,8 Meter langen Teilstücken zusammen Sie wurden mit damals neuartigen Gummischläuchen abgedichtet.

Beeindruckend sind die gewaltigen Mengen an verbautem Holz.

Die Eisenbahnbrücke Spiez-Wimmis: Ein wichtiger Zeuge der Ingenieursbaukunst

In den Boomjahren des Eisenbahnbaus Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es im Berner Oberland eine Vielzahl von Projekten, so auch für die Erschliessung des Simmentals. Für die relativ kurze Eisenbahnverbindung Spiez–Erlenbach von nur 12,6 Kilometer Länge stellte die Überwindung des Kandereinschnitts eine der wesentlichen Herausforderungen dar. Der Auftrag für die Projektierung und Ausführung der eigentlichen Brückenkonstruktion ging an das bekannte Ingenieur- und Brückenbauunternehmen Albert Buss & Cie. in Basel. Albert Buss entschied sich für die Überbrückung der beachtlichen Spannweite für eine damals eher selten anzutreffende Eisenfachwerkbogenkonstruktion. Er orientierte sich konstruktiv als auch gestalterisch an sehr renommierten Vorbildern wie der Brücke «Ponte Maria Pia» (Porto, 1877) und dem «Viaduc de Garabit» (Zentralmassiv, 1884) der Konstrukteure Gustave Eiffel und Théophile Seyrig. Obwohl im Massstab wesentlich kleiner, wirkt die Kanderbrücke insgesamt nicht weniger elegant als ihre prominenten Vorbilder.

Bau des Kanderaquädukts 1908.

Bau der Eisenbahnbrücke, (Lehrgerüst) 1896. 

Eisenbahnbrücke über die Kander um 1902.

Eine äusserst raffinierte Lösung entwickelte Albert Buss im Bereich der Widerlager. Er liess die Brückenbogen und höchsten Vertikalstützen in übereinanderliegenden Gelenkpunkten und einem gemeinsamen Widerlager auslaufen. Die dadurch notwendige Verjüngung der unteren Stützenenden wiederholte er an den oberen Stützenenden. 

Für diesen aufwendigen Brückenbau wurden 112000 Franken budgetiert. Dies war die Summe, die für sämtliche Hochbauten der Spiez-Erlenbach-Bahn (Bahnhöfe, Güterschuppen, Wasserstationen, Beladerampen, Zugremisen und Bahnwärterhäuser) aufgewendet wurde. 1897 wurde die Bahnlinie Spiez–Erlenbach eröffnet und diente fortan insbesondere als Transportmittel für den Viehhandel und erlangte auch touristische Bedeutung mit der späteren Fortsetzung nach Zweisimmen und dem Bau der Montreux-Oberland-Bahn.