Vor 100 Jahren: Internierte des 1. Weltkrieges in Thun

Vor 100 Jahren: Internierte des 1. Weltkrieges in Thun

Vor 100 Jahren: Internierte des 1. Weltkrieges in Thun

Internierte ausländische Wehrmänner haben einige Male zum Thuner Stadtbild gehört; sei es im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 oder im Ersten und im Zweiten Weltkrieg. Unser Blick soll 100 Jahre zurückgehen, als Internierte des Ersten Weltkrieges in Thun und in zahlreichen Orten des Berner Oberlandes einquartiert waren.

Text: Jon Keller  |  Fotos: Stadtarchiv Thun, zvg

Sensation: Ankunft der Internierten

Die Durchfahrt Richtung Berner Oberland und die Ankunft der ersten Internierten im Jahr 1916 in Thun bildeten für die oberländische Bevölkerung eine echte Sensation, weshalb denn auch viele Bürger zum Bahnhof Thun eilten, wo Militär und Rotkreuzschwestern und Töchter des Samaritervereins Hilfs- und Ordnungsdienste verrichteten. Den fast durchwegs kranken und invaliden Internierten wurden Erfrischungen, Zigaretten, Blumen, Früchte und Kaffee gereicht. Der damalige Verkehrsverein verteilte Gratispostkarten. Mit Tram und Autos gelangten die Internierten dann weiter in Hotels in Thun und vielen weiteren Orten im Berner Oberland.

Über 200 belgische und französische Wehrmänner in Thun

In Thun waren ab Mai 1916 vornehmlich belgische und französische Wehrmänner zur Gesundung und Erholung sowie vereinzelte deutsche Offiziere, meist Flieger, untergebracht. Der Bestand schwankte dauernd und erreichte zeitweise über 200, miteingerechnet Zivilinternierte ohne Uniform, aber mit einer kennzeichnenden Armbinde. Eine Kommission von Schweizer Ärzten besuchte alle sechs Wochen die Internierten, wobei sie dann die zur Repatriierung (via Gefangenenaustausch) gesundeten Personen auswählte. Wo waren die Internierten in Thun untergebracht? Die französischen und belgischen Soldaten und Unteroffiziere vornehmlich im Hotel Beau-Rivage, deren Offiziere im Hotel Viktoria-Baumgarten. Aber auch im Freienhof und im Kreuz sowie in Goldiwil in den Hotels Alpenblick und Blümlisalp waren zweitweise Internierte einlogiert. Schwerkranke wurden ins Thuner Spital gebracht. Die deutschen Offiziere waren in der Kaserne einquartiert, die meisten unter Bewachung, da sie ihr Ehrenwort, keine Fluchtversuche zu machen, nicht abgaben.

Unter militärischem Kommando 

Nach der Ankunft der ersten Internierten formierte sich in Thun ein Komitee von mildherzigen Damen, welche sich um Bereitstellung, Waschen und Flicken von Unterwäsche der Internierten kümmerten, wozu die Bevölkerung Geld und Naturalien spendete. Mit der Zeit wurden diese Kosten dann von den ausländischen Staaten getragen. Was Organisation und disziplinarische Aufsicht betraf, unterstanden die Internierten militärischem Kommando, welches allerdings durch die lokalen Polizeibehörden unterstützt wurde. Im Grossen und Ganzen verlief die Internierung der Ausländer in Disziplin und Ordnung. Übertretungen waren selten. Nach entbehrungsreichen Zeiten im Krieg und in Gefangenenlagern wussten die Internierten die sauberen Hotelzimmer, die gute Nahrung, den Komfort, aber ebenfalls die schöne Gegend des Berner Oberlandes gebührend und mit Dankbarkeit zu schätzen. Am Sonntagabend durften die Internierten keine Wirtschaften besuchen und in der Woche mussten sie ab 21.30 Uhr in den Kantonnementen sein. Wenn wegen Alkoholgenusses Vorschriften übertreten wurden, ahndete man sie streng. Zeitweise war das Bälliz für die französischen und belgischen Internierten gesperrt, da dieser Stadtteil zum Ausgangsrayon der deutschen Offiziere gehörte und man Zusammenstösse vermeiden wollte.

Neuheit: die Mechano-Therapie 

Viele der Internierten waren wegen Krankheit oder Invalidität arbeitsunfähig. Andere dagegen gingen für einen Stundenlohn von zwanzig Rappen verschiedenen Arbeiten nach: als Elektriker, Mechaniker, Schreiner, und andere halfen in Landwirtschaftsbetrieben. Ferner wurde im Freienhof speziell für die Internierten eine Handelsschule eingerichtet, an welcher französische Professoren lehrten und die zeitweilig von über siebzig Personen besucht wurde. Im Hotel Beau-Rivage bestand zudem ein Schnitzleratelier und eine Ecole des travaux publics, in welcher in die Durchführung der Vermessung eingeweiht wurde. Der damalige Thuner Arzt Dr. Weber behandelte die Kriegsinvaliden orthopädisch, und zudem richtete er im Beau-Rivage eine mechanotherapeutische Gymnastikhalle ein, wo mit Gewichtsmaschinen und fahrradähnlichen Apparaturen steife Glieder wieder ihre Geschmeidigkeit erhalten konnten. Die Interniertenkolonie in Thun hatte auch Todesopfer zu beklagen, die jeweils unter Begleitung von Schweizer Soldaten und Tambouren durch die Stadt geführt und auf dem Stadtfriedhof begraben wurden. Der Gemeinderat hatte in einer Ecke des Friedhofs Platz für rund zwanzig Interniertengräber reserviert. Am Rande sei hier noch erwähnt, dass internierte ausländische Wehrmänner des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 im Franzosenfriedhof beim Lerchenfeld bestattet wurden.

Die Internierten wussten die schöne Gegend des Berner Oberlandes mit Dankbarkeit zu schätzen.

Internierte als Kulturvermittler

Die Internierten bildeten für die Stadt Thun eine kulturelle Bereicherung, weil Gruppen von Internierten in regelmässigen Abständen in Orten des Berner Oberlandes und im Thuner Freienhof Unterhaltungsabende organisierten. Geboten wurden Musik, Gesang, Rezitationen, Theater, Artistik, aber auch akrobatisch-sportliche Leistungen. Zu diesen Anlässen kamen Interniertengruppen aus dem ganzen Berner Oberland nach Thun, von Aeschi, Bad Weissenburg, Adelboden, Frutigen usw. Die Kollekte war jeweils für kranke Schweizer Soldaten, für Kriegsgefangene oder andere karitative Werke bestimmt. Ein eigentlicher Eintrittspreis wurde nicht erhoben. Bisweilen wohnten diesen Abenden auch Vertreter der ausländischen Diplomatie bei. Zudem organisierten Internierte im Freienhof öffentliche Kinematographen-Vorstellungen, an welchen kulturelle und komödiantische Filme, aber auch solche über das Geschehen im Ersten Weltkrieg gezeigt wurden. Diese Kinovorstellungen waren natürlich damals für die Thuner mehr oder weniger eine Nouveauté.

Popularität der Internierten

Die Internierten in Thun und im Berner Oberland wurden mit der Zeit sehr populär und gehörten eigentlich zum Strassenbild. So liest man in zeitgenössischen Zeitungen etwa von den «uns liebe gewordenen Internierten» oder vom «Franzmann, an den man sich nun einmal gewöhnt ist». Nicht zu vergessen, dass die Internierten volkswirtschaftlich von einiger Bedeutung waren, indem sie der Hotellerie zu etwas Verdienst verhalfen. Deshalb bemühte sich der Thuner Gemeinderat beizeiten beim Eidgenössischen Politischen Departement um Zuweisung von Internierten. Allerdings verursachte die damalige horrende Teuerung Probleme, weil die ausländischen Regierungen diese nur zögerlich ausglichen, weshalb die Pensionspreise in den Hotels oft kaum kostendeckend waren.

«Vive la Suisse»

Dann, im Dezember 1918, nach Beendigung des Ersten Weltkrieges, fand die Abschiedsfeier und die Abfahrt der letzten Internierten statt. Unter Rufen wie «Vive Thoune, vive la Suisse» verliessen sie per Zug einen übervollen Bahnhof, wo ganz Thun den Internierten ein Lebewohl winkte. Zurück blieben nur einige im Spital hospitalisierte Internierte und wenige Zivilinternierte. Und kaum war der Grossteil der Internierten abgereist, erschien in einer Thuner Zeitung ein Inserat mit folgendem Wortlaut: «Bei Anlass der Abreise der Internierten empfehle ich mich zur gründlichen Desinfektion von Hotel-Etablissementen und Pensionen…»