Eisenbahnprobleme in Thun vor 150 Jahren

Eisenbahnprobleme in Thun vor 150 Jahren

Eisenbahnprobleme in Thun vor 150 Jahren

Probleme im öffentlichen Verkehr sind jedermann bekannt und mitunter ­allgegenwärtig. Aber auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Eisenbahn das Berner Oberland eroberte, gab es Probleme, die allerdings von ganz anderer Art als heute waren: zu reden gaben gute Anschlüsse, Spätzüge und direkte Billetts.

Text: Jon Keller  |  Fotos: Stadtarchiv Thun

Als die Eisenbahn 1859 Thun und 1861 Scherzligen erreichte, wo auf die Thunerseeschiffe umgestiegen wurde, erkannten die damaligen Hoteliers, der Verkehrsverein, aber auch Gemeinderäte von Thunerseegemeinden die Wichtigkeit und die Chancen des neuen Verkehrsträgers, der bald einmal Touristen zu Hundertschaften ins Berner Oberland brachte. Dabei galt es, mit den Bahngesellschaften Probleme zu diskutieren und zu lösen. Man war sich ­damals sehr wohl bewusst, dass der Stellenwert eines Touristenortes nicht unwesentlich von guten Bahnverbindungen und Bahnanschlüssen abhing.


Das Problem der Spätzüge

Viel zu reden gab damals das Problem der Spätzüge, auf Thun bezogen also die Spätverbindung von der Kantonshauptstadt nach Thun. Damals allerdings forderte man keineswegs einen Bern um Mitternacht verlassenden Zug, wie er heute existiert. Vielmehr schätzte man sich glücklich, um 21 Uhr ­einen letzten Zug nach Thun besteigen zu können. Zahlreiche Vorstösse des Thuner Gemeinderates, die sich über Jahre hinwegzogen, waren nötig, um dieses Ziel zu erreichen. Er gelangte an das Regierungsstatthalteramt, das jeweils dem Gemeinderat die sogenannten Projektfahrpläne zur Vernehmlassung einreichte, aber auch an die kantonale Eisenbahndirektion. Ja schliesslich schaltete sich gar das Eidgenössische Eisenbahn- und Handelsdepartement ein. Steter Tropfen höhlt den Stein, und so war es 1879 so weit: Thun bekam wenigstens in den Sommermonaten einen Spätzug mit ­Abfahrt in Bern um 21 Uhr. Dadurch wurde es möglich, eine Reise nach Zürich, Basel oder Luzern in einem Tag zu unternehmen, wobei in den genannten Städten ein genügend langer Aufenthalt gewährleistet war. 

Das Problem der Anschlüsse 

Eine Herausforderung der damaligen ­Eisenbahnverbindungen waren die Anschluss­­­verhältnisse, in jenen Tagen ein ­besonders heikles Problem, weil die SBB ­damals noch nicht bestanden. Sie wurden erst 1902 ­gegründet. Verschiedene grössere Privatbahnen bedienten damals die Hauptstrecken. So gehörte etwa die Strecke Bern –Thun der Schweizerischen Central­bahngesellschaft, die Strecke Bern – Luzern dagegen der Jura-Bern-Luzern-Bahn. Weitere wichtige Bahngesellschaften waren damals die Nationalbahn, die Nordostbahn und die Gotthardbahn. Der Gemeinderat bemängelte gegen Ende des 19. Jahrhunderts einige Male die schlechten Anschlussverhältnisse in Bern an andere Strecken. Recht eigentlich der neuralgische Punkt, welcher oft zu ­reden gab, war Gümligen, wo die Reisenden von Thun Richtung Luzern in die Jura-Bern-Luzern-Bahn umzusteigen hatten. Die Strecke Thun – Konolfingen der Emmental-Burgdorf-Thun-Bahn bestand damals noch nicht. In Gümligen musste der Reisende einen Aufenthalt von rund einer Stunde in Kauf nehmen, bis er dann Richtung Luzern weiterreisen konnte. Diese unbefriedigenden Anschlussverhältnisse versuchte der Thuner Gemeinderat in zahlreichen Vorstössen zu verbessern, aber nur mit sehr mässigem Erfolg.

Das Problem der direkten Billette 

Mit einer weiteren Initiative gelangte der Thuner Gemeinderat in den 1870er-Jahren an zahlreiche Bahngesellschaften des ­­In- und Auslandes, wobei es um die Vermehrung der sogenannten direkten Billette von Stationen der Schweiz und des Auslandes nach Thun ging, ferner um die Ausgabe von Rundreisebilletten mit Erwähnung der ­Station Thun. Die direkten Billette (also etwa Köln–Thun) boten damals etwelche ­Vorteile: Nur einmaliges Lösen des Billetts für die ganze Strecke, im Gegensatz zur Vergangenheit, in welcher für jede Bahn­gesellschaft und ihre Strecke ein Fahrschein gelöst werden musste, also ein sehr aufwändiges und kompliziertes Prozedere. Weitere Vorteile waren: Möglichkeit der ­direkten Gepäckaufgabe, Unterbringung in den ­direkt durchlaufenden Wagen, Vorzugsrecht zur Beförderung vor anderen Personen ­sowie Taxenermässigungen. Mit der Vermehrung dieser Fahrscheine erhofften sich der Thuner Gemeinderat und die Verkehrsvereine des Berner Oberlandes eine Ankurbelung des Fremdenverkehrs. Neben Bahnen in der Schweiz schrieb der Gemeinderat auch ­Bahnen des Auslandes an, so die Kaiserlich-königlich privilegierte Vorarlbergbahn, die Grossherzoglich Badischen Staatseisenbahnen und die kaiser­lichen Eisenbahnen in Elsass-Lothringen. Die Antworten der Bahngesellschaften sind erfreulicherweise im Stadtarchiv Thun ­erhalten geblieben. Sie fielen allerdings eher ernüchternd und unbefriedigend aus. Die Gesellschaften bekundeten wohl ihre allgemeine Bereitschaft zur Kooperation, meinten aber handkehrum, es seien solche Fahrscheine bereits in hinreichendem Mass vorhanden. Weiter wurde betont, derartige Initiativen sollten von der Centralbahn, ­welche die Strecke von Bern nach Thun ­betrieb, erfolgen. Steter Tropfen höhlt den Stein … und so kam dann Jahre später im Jahr 1880 die Centralbahn den Wünschen der Oberländer Tourismuskreise nach. Der dankbare Thuner Gemeinderat gab damals zu Protokoll: «Es soll dieses freundliche ­Entgegenkommen aufs Beste verdankt ­werden».

«Um 1900, in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, setzte im Berner Oberland ein eigentlicher Eisenbahnboom ein.»

Eisenbahnboom vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Indem Tourismuskreise des Berner Oberlandes, aber auch Gemeinderäte sich für gute Bahnverbindungen stark machten, erkannten sie die Wichtigkeit und das touristische Wertschöpfungspotential des Eisenbahnverkehrs. Die Zukunft gab den damaligen Initianten bald einmal recht. Um 1900, in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, setzte im Berner Oberland ein ­eigentlicher Eisenbahnboom ein: 1893 wurde die durchgehende Strecke der Thunerseebahn von Thun / Scherzligen über Spiez nach Interlaken eröffnet. 1899 folgte dann die Burgdorf-Thun-Bahn und drei Jahre später die Gürbetalbahn. Zu nennen sind zudem die Lötschbergbahn von 1913 und die Strecke der Rechtsufrigen Thunerseebahn (STI, Steffisburg – Thun – Interlaken) anno 1913 von Steffisburg über Thun bis Oberhofen. 1914 wurde dann auch noch der Abschnitt von Oberhofen über die Beatenbucht bis Interlaken in Betrieb genommen. Die Berner Oberland-Bahn (BOB) von Interlaken Ost nach Lauterbrunnen respektive nach Grindelwald wurde 1890 eröffnet. 1893 folgte dann die Wengernalpbahn (WAB) von Lauterbrunnen über Wengen und die Kleine Scheidegg nach Grindelwald. Zu nennen ist schliesslich auch die 1905 eröffnete Strassenbahn in Spiez (Spiezer Verbindungsbahn), welche den Bahnhof Spiez mit der Schiffländte Spiez verband.