Vom Kutscherwesen im alten Thun

Vom Kutscherwesen im alten Thun

Vom Kutscherwesen im alten Thun

Probleme im öffentlichen Verkehr gab es zu allen Zeiten: heute, aber auch schon in der Vergangenheit. Das gilt auch für das Kutscher- wesen mit seinen Kutschen, welche in Thun wie auch in Spiez, in Interlaken und anderswo bis zum Siegeszug des Automobils zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Öffentlichkeit gegen Bezahlung wie heute ein Taxi zur Verfügung standen.

Text: Jon Keller  |  Fotos: Stadtarchiv Thun

Kutscher-Verordnungen

Man nehme eine Kutsche, ein Pferd, einen Kutscher und postiere sie vor dem Bahnhof Thun – so einfach allerdings war die Sache nicht. Vielmehr war das Kutscherwesen in Thun wie andernorts rigoros durch Verordnungen und Tarife geregelt. Dass dabei vielerlei jeweils zu Diskussionen Anlass gab, zeigt sich in alten Akten der Thuner Stadtverwaltung, so in Protokollen des Gemeinderates und der Polizeikommission, in Korrespondenzen und in Vernehmlassungen. Städtische, aber auch kantonale Kutscherverordnungen sind namentlich im 19. Jahrhundert in regelmässigen Abständen erlassen und immer wieder revidiert worden. Bevor ein Reglement in Kraft gesetzt werden konnte, waren zahlreiche Sitzungen notwendig. Neben der Stadt nahmen an den Verhandlungen auch Vertreter des Verkehrsvereins, der Hoteliers und der Kutscher teil. Anschliessend wurde das Geschäft zur Beratung und Genehmigung an den Gemeinderat weitergeleitet. Schliesslich hatte der kantonal-bernische Regierungsrat die Verordnung zu sanktionieren und durch die Bestätigung des Regierungsstatthalters bekam sie ihre Gültigkeit. Rückweisungen durch die verschiedenen Instanzen kamen sehr häufig vor. Wenn es um die Aufstellung der Kutschen vor dem Thuner Bahnhof ging, redete ebenfalls das Eidgenössische Post- und Eisenbahndepartement ein Wort mit.

Nach Göschenen im Vierspänner

Grund für Tariferneuerungen war natürlich meist die Teuerung, welche auch vor Kutschen, Pferdebeschaffungen und Futtermitteln namentlich zur Zeit des Ersten Weltkrieges nicht Halt machte. Deshalb gestattete beispielsweise der kantonal-bernische Regierungsrat im Juli 1917 die Erhöhung der Taxen während des Krieges um satte 25 %. Die damalige Teuerung mögen folgende Tarifansätze illustrieren: Die einfache Fahrt per Einspänner von Thun nach Oberhofen kostete 1900 vier Franken, 1909 fünf Franken und 1920 acht Franken. Selbstverständlich konnten Kutschen nicht nur für Fahrten in Thun oder in der näheren Umgebung gemietet werden, sondern ebenfalls für längere Fahrten auch über die Kantonsgrenzen hinaus. So musste man etwa 1900 für eine einfache Fahrt nach Göschenen folgende Beträge berappen: im Einspänner 95 Franken, im Zweispänner 170 Franken, im Dreispänner 240 Franken und im Vierspänner 300 Franken, für die damalige Zeit sehr hohe Summen. Erwähnt sei noch, dass für Thun ein Stadtrayon mit Einheitstarif existierte. Spezielle Tarifansätze bestanden für extra bestellte Wagen und für Fahrten in der Nacht. Schliesslich sei noch vermerkt, dass bei Spazierfahrten von zwei Stunden Dauer jeweils gratis ein Aufenthalt von einer halben Stunde gewährt wurde. Die Abgabe eines Trinkgeldes war übrigens ausdrücklich fakultativ.

Ein verschwundenes Amt: Kutscheraufseher

Die Aufstellplätze in Thun waren ebenfalls behördlich geregelt: beim Bahnhof, bei der Dampfschiffländte in Scherzligen, beim Freienhof, bei der Post im Bälliz und beim Lauitor. Immer Anlass zu heftigen Diskussionen gab die Aufstellungsordnung der Kutschen auf dem Bahnhofplatz, wo sich Mietkutschen, Postkutschen, weiter die Hotelomnibusse (Kutschen mit Bänken in Längsrichtung), Privatkutschen und weitere Fuhrwerke den Platz zu teilen hatten. Für Ordnung unter den Kutschen beim Bahnhof sorgte ein Kutscheraufseher. Dieser wurde von der Polizeikommission dem Regierungsstatthalter zur Wahl für ein Jahr vorgeschlagen. Der Kutscheraufseher war immer ein Polizeidiener, wie Polizisten damals genannt wurden. Dass ein Ordnungsaufseher notwendig war, zeigten andauernde Streitereien unter den Kutschern, beispielsweise 1893, als sich der Regierungsstatthalter diesbezüglich an die Behörden der Stadt Thun wandte.

Die Abgabe eines Trinkgeldes war übrigens ausdrücklich fakultativ.

Nicht erwünscht: Liederliche Kutscher

Kutscher hatten zur Ausübung ihres Berufes ein Patent zu lösen, einen heftähnlichen sogenannten Kutscherpass, der jährlich erneuert werden musste. Dazu war eine Empfehlung der städtischen Polizeibehörden notwendig. Der Kutscherpass war zugleich Zeugnisheft, in welches der Kunde ein gutes oder schlechtes Zeugnis eintragen konnte. Der Kutscher hatte sich über einen guten Leumund auszuweisen, ferner musste er natürlich befähigt sein, eine Kutsche anspannen und führen zu können. Bestraft wurden Kutscher, die ihre Pferde misshandelten. Gleiches galt auch für Kutscher, «die sich unanständig betragen, sich dem Trunke ergeben oder die ungenügende Fuhrwerke und Pferde aufführen», wie in der Kutscher-Verordnung von 1909 zu lesen steht. Jedes Anwerben und jede Zudringlichkeit gegenüber dem Publikum war untersagt. Leistete sich ein Kutscher eine Unregelmässigkeit, drohte ihm der Ausweisentzug, unter Umständen auch eine Geldstrafe, Arbeit für die Öffentlichkeit oder sogar Gefängnis. 

Ein neues Wort: Autodroschke

Und dann, nach dem Ersten Weltkrieg, beginnt in den Akten und Zeitungen ein Wörtchen immer mehr aufzutauchen, das seither seinen immensen Siegeszug rund um die Welt gefeiert und auch zur Ablösung des Kutschenverkehrs geführt hat: Autodroschke oder Automobil …

Spezielle Tarifansätze bestanden für extra bestellte Wagen und für Fahrten in der Nacht.