Streik, Sprengstoffexplosion ... als der Thuner Schiffshafen erbaut wurde

Streik, Sprengstoffexplosion ... als der Thuner Schiffshafen erbaut wurde

Streik, Sprengstoffexplosion ... als der Thuner Schiffshafen erbaut wurde

Der Thuner Schiffshafen und der Bahnhof Thun um 1930. Das Dampfschiff Bubenberg ist bereit zur Ausfahrt.

Als in Thun nach 1900 die Planung eines Zentralbahnhofs an die Hand genommen wurde, der die Bahnhöfe Thun-Stadt (heute Güterbahnhof) und Thun-Scherzligen ersetzen sollte, tauchte bald einmal auch der Wunsch auf, einen Schiffshafen für die Passagierschiffe auf dem Thunersee zu erstellen. Dieser sollte sich in unmittelbarer Nähe zum Thuner Bahnhof befinden, sodass die Thunersee-Dampfschiffe weiter als nur bis Scherzligen verkehren konnten. Die Schiffländte Thun-Scherzligen war rund ein Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, was auch im Ausland negativ vermerkt wurde, so beispielsweise anno 1911 im «English Herald». Eine weitere Thuner Ländte, die Freienhof-Ländte beim Gasthof Freienhof, musste aus Sicherheitsgründen und auf Anordnung des Eidgenössischen Post- und Eisenbahndepartements 1904 aufgegeben werden.

Text: Dr. Jon Keller, Historiker  |  Fotos: Andrea Abegglen, Stadtarchiv Thun, zvg

Welches Projekt soll ausgeführt werden?

Jahrelang, ja jahrzehntelang, wurde über das Projekt eines Thuner Schiffshafens diskutiert. Immer wieder befassten sich unter anderem der ­Thuner Gemeinderat, die Thuner Gemeindeversammlung, der damalige Verkehrsverein (Vorgänger der heutigen Organisation Thun-Thuner­see Tourismus) und 1919 auch der Thuner Stadtrat mit anschliessender Urnenabstimmung mit dem ­Projekt. Zwei Varianten für einen Thuner Schiffshafen standen zur Diskussion, wobei beide Varianten einen neu zu bauenden und mit grossen Erdarbeiten verbundenen Kanal vorsahen. Zum einen ein gradlinig verlaufender Kanal von Scherzligen und dem Oberen Aare­inseli, dem Kleistinseli, entlang der heutigen Seestrasse bis zum Bahnhof Thun. Zum anderen ein Kanal, der vom Aarebecken in Thun-­Hofstetten beim Unteren Aareinseli Richtung Bahnhof führen sollte. Die erstgenannte Variante überzeugte durch die gerade Linienführung. Die zweite, vom Aarebecken her kommende Variante wäre kurvenreicher gewesen und hätte zu grösseren Schiffsmanövern geführt. Gegen dieses Projekt wurde auch argumentiert, dass bei erhöhtem Wasserstand eine reissende Aare eine sichere Zufahrt in den Hafen gefährden könnte. Zudem schaltete sich auch der Berner Heimatschutz ein, der bei dieser Variante die landschaftliche Harmonie des Aarebeckens zerstört und «verhässlicht» sah. Der Gemeinderat war vor allem darauf erpicht, möglichst bald einen Schiffshafen in Stadt- und Bahnhofnähe zu erhalten. Die Entscheidung, welches Projekt zur Bauausführung kommen sollte, verzögerte sich, denn der damals geplante Verkauf der Dampfschifffahrts-Gesellschaft Thuner- und Brienzersee (DGTB) an die Thunerseebahn (Thun–Interlaken) sollte abgewartet werden. Als dieser Verkauf 1912 vollzogen wurde und anschliessend die Thunerseebahn 1913 in der BLS (Bern–Lötschberg–Simplon-Bahn) aufging, wurde sowohl von der BLS als auch von den SBB das Kanalprojekt vom Oberen Aareinseli (Kleistinseli) her favorisiert.

Was lange währt …

Was lange währt, wird endlich gut: Mehr als ein Jahrzehnt nach Beginn der Diskussionen um einen zentral gelegenen Thuner Schiffshafen gab es grünes Licht für das Bauprojekt. Der Thuner Gemeinderat, der sich wie BLS und SBB hinter das Kanalprojekt bei der heutigen Seestrasse stellte und vom Projekt eines Schiffs­hafens vom Aarebecken her abrückte, empfahl der Thuner Stimmbürgerschaft, das Projekt in der Volks­abstimmung anzunehmen und die finanziellen Mittel freizugeben. In der Gemeindeabstimmung vom 15. September 1924 gab der Souverän mit 1128 Ja gegen 833 Nein bei einer Stimmbeteiligung von 46,7 % seine Zustimmung zum Hafenprojekt Seestrasse und zu dessen Finanzierung. Umgehend wurde die Baupublikation mit dem Bewilligungs- verfahren ausgeschrieben. Das Eidgenössische Eisenbahndepartement genehmigte das von der BLS eingereichte Kanalprojekt, wobei nur einige wenige Vorbehalte und Änderungen vorgenommen wurden, so die Verkürzung des Kanals um elf Meter.

Der Thuner Schiffshafen und der Thuner Bahnhof um 1930. Im Vordergrund das Thuner Tram, das einst von Steffisburg über Thun und Gunten nach Interlaken fuhr.

Wenige Maschinen, viel Handarbeit

Im Dezember 1924 wurde mit den Bauarbeiten begonnen, vornehmlich mit dem Aushub von Erdreich. Dabei war viel Handarbeit notwendig, denn ein Maschinenpark, wie er heute üblich ist, stand damals nicht zur Verfügung. Immerhin leistete ein mit Dampf betriebener Bagger effiziente Unterstützung. Im ­damaligen Winter stieg saisonbedingt die Zahl der Arbeitslosen in der Stadt Thun. Der Kanalbau ermöglichte es, dass Arbeitslose, zeitweise waren es über 30, eingesetzt und beschäftigt werden konnten. Da bis zur Sommersaison 1925 der Schiffskanal betriebsbereit sein sollte und weil sich die Bauarbeiten sehr aufwendig und zeitintensiv gestalteten, wurde ab Februar 1925 nicht nur tagsüber, sondern zeitweise auch in der Nacht gearbeitet. Ein Ereignis, das für Thun nicht alltäglich war, ereignete sich im Februar 1925: Die zahlreichen Handlanger, die am Kanalprojekt mitarbeiteten, traten in den Ausstand und streikten wegen eines Lohnkonflikts. Die Bauarbeiten mussten in der Folge eingestellt werden. Abgesehen vom schweizerischen Landesstreik (11. bis 14. November 1918), war ein Streik in Thun in der damaligen Zeit doch ein aussergewöhnliches Ereignis. Mit Stadtpräsident Paul Kunz wurde eine Vermittlungsaktion gestartet. Vertreter der Bauunternehmung und der rund 200 streikenden Bauhandlanger trafen sich zu Verhandlungen, vorerst aber ohne Erfolg, sodass der Streik weiterging. Drei Tage später, Ende Februar 1925, konnte der Streik beendet werden. In der heute verschwundenen, aber damals sehr bekannten Gaststätte Hopfenkranz in Thun stimmten die Bauhandlanger der Lösung mit einem Lohn von 90 Rappen pro Stunde zu, der aber je nach Aushubmenge bis zu 105 Rappen gesteigert werden konnte. 80 Stimmende waren dafür, 14 dagegen. 

Abgesehen vom schweizerischen Landesstreik (11. bis 14. November 1918), war ein Streik in Thun in der damaligen Zeit doch ein aussergewöhnliches Ereignis.

Schadenfeuer und Explosion

Neben dem Streik, der die Arbeiten sehr verzögerte, gab es Mitte März 1925 eine weitere Panne beim Bau des Kanals. Eines Abends um 21 Uhr brach ein Schadenfeuer bei einer Baubaracke aus, die trotz Einsatz der Feuerwehr niederbrannte, wobei kleinere Mengen von Sprengstoff explodierten. Als Ursache wurde kein krimineller Akt eruiert, sondern eine Selbstentzündung wegen eines Ofens in der Baracke, welcher des kühlen Wetters wegen angeheizt war. Während der Bauarbeiten wurde eine Änderung am Kanalprojekt vorgenommen, die auch optisch augenfällig wahrnehmbar ist: Anstelle einer aus Eisenbetonpfählen erstellten, senkrechten Spundkanalwand wurde eine schräg angelegte, gepflasterte Böschung geschaffen, die ästhetisch befriedigender ist. Im Mai 1925 gingen die Arbeiten am neuen, 180 Meter langen Schiffskanal und die ebenfalls notwendigen Abdichtungsar­beiten an den Kanalufern zu Ende. Erstellt wurden vorerst drei Landungsstellen für die Kursschiffe. Schliesslich wurde der Damm beim Kanalbecken zur Aare durchbrochen, sodass der neue Kanal geflutet und mit Wasser gefüllt werden konnte. 

Der Thuner Schiffshafen im Bau 1925. Blick Richtung Scherzligen und Thunersee.

DS Bubenberg als erstes Schiff im neuen Schiffshafen

Der 17. Juni 1925: ein Meilenstein und ein markanter Tag. Das Dampfschiff Bubenberg befuhr als erstes Schiff der Thunerseeflotte den Kanal probeweise. Die «Bubenberg» streifte allerdings bei der Kanaleinfahrt leicht den Grund, was eine erneute tiefere Ausbaggerung notwendig machte. Wenige Tage später, am 26. Juni 1925, fand dann die Betriebseröffnung der neuen Schiffstation Thun statt. Dies geschah in aller Stille und ohne eigentlichen Festakt. Zwei technische Beamte des Eidgenössischen Eisenbahndepartements unternahmen die amtliche Kol­laudation (Prüfung und Genehmigung) des neuen Schiffshafens. Ein Jahr später, Ende Mai 1926, also rund ein Jahr nach der Inbetriebnahme, wurde der Schiffshafen durch die BLS definitiv von der Bauunternehmung übernommen, nachdem noch einige Nachbesserungen ausgeführt worden waren. 

Schiffshafen zugefroren

Bei tiefen Minustemperaturen im Winter fror der neue Schiffshafen jeweils zu. Im Dezember 1927 beispielsweise musste mit einem speziell ausgerüsteten Schiff eine Fahrbahn gebrochen werden, um den fahrplanmässigen Schiffsverkehr aufrechterhalten zu können. Gleichwohl erlitt zu jener Zeit das Motorschiff Gunten bei der Einfahrt in den Kanal durch treibende Eisschollen einen Defekt an der Steuerung, was eine Evakuierung der Passagiere notwendig machte. Mit der Inbetriebnahme des Thuner Schiffshafens wurde ein Umsteigen der Fahrgäste in Scherzligen von der Eisenbahn auf das Schiff und umgekehrt hinfällig, weshalb die Bahn- und Schiffstation Scherzligen aufgehoben wurde. 

Der Thuner Schiffshafen wie er sich heute präsentiert.