Es war einmal… die Thuner Freienhof-Ländte

Es war einmal… die Thuner Freienhof-Ländte

Es war einmal… die Thuner Freienhof-Ländte

Der Thuner Schiffshafen und der Bahnhof Thun um 1930. Das Dampfschiff Bubenberg ist bereit zur Ausfahrt.

Kein Zeitgenosse unserer Tage hat sie noch in Betrieb gesehen, aber auf alten Fotos ist sie sehr oft verewigt: die Freienhof-Ländte in Thun, die 1904 aufgehoben werden musste und früher als zentrale Thuner Anlegestelle für die Dampfer des Thunersees eine grosse Bedeutung hatte. Der heutige Schiffkanal beim Thuner Bahnhof wurde erst 1926 eröffnet.

Text: Jon Keller  |  Fotos: Stadtarchiv Thun, Sammlung L. Reimann, Schaffhausen

Im Dezember des Jahres 1903 erreichte eine unerfreuliche Mitteilung die Direktion der Dampfschiff-Gesellschaft Thuner- und Brienzersee: Damals untersagte das Eidgenössische Post- und Eisenbahndepartement der Gesellschaft, die Schiffsanlegestelle beim Thuner Freienhof, die Ländte Thun-Stadt, die sogenannte Freienhof- Ländte, ab 1904 anzufahren und weiterhin zu betreiben.

Für die Dampfschiff-Gesellschaft wog der Verlust dieser einen unter zahlreichen anderen Ländten insofern nicht allzu schwer, weil für sie die Schiffstation Scherzligen (Thun-See) von viel grösserer Bedeutung war. In Scherzligen nämlich stiegen die vielen Passagiere, welche Thun mit der Eisenbahn erreichten, auf die Dampfboote um. Anders die Situation für die Stadt Thun: Der Stadt ging die sehr zentral gelegene Landungsstelle verloren, die sowohl vom Bälliz als auch von der Hauptgasse her problemlos in wenigen Schritten erreicht werden konnte. Selbstverständlich stand den Thunern nach wie vor die Scherzligen-Ländte zur Verfügung und Gäste aus den Hotels wie Thunerhof, Bellevue und Du Parc konnten die Schiffe an der Hofstetten-Ländte besteigen.

Was waren die Argumente, welche vom Eidgenössischen Departement für die Aufhebung der Freienhof-Ländte ins Feld geführt wurden? Die Experten erachteten das Anlegen der Schiffe bei hohem und reissendem Wasserstand und bei geöffneten Schleusen als riskant und sehr unfallträchtig. Bei einer Kollision eines Dampfers (beispielsweise wegen Ausfalls der Dampfmaschine) mit den Schleusen sahen die Gutachter schlimmste Folgen für die Passagiere des Schiffs, aber auch für die Schleusen selbst voraus, waren doch die Schleusen damals wie heute wichtiges Instrument für einen geordneten Abfluss der Aare.

In der Tat waren bei der Oberen Aareschleuse immer wieder schlimme Unglücksfälle zu verzeichnen. So verunglückte im Mai 1904 ein mit rund 500 Zentnern Grien beladenes Schiff, das bei der Oberen Schleuse aus Sicherheitsgründen von Schiffern an einer Leine gehalten wurde. Doch die Leine zerriss und das Schiff trieb Richtung Schleuse, wo es zerschellte. Ein ähnliches Schicksal ereilte im Juni 1904 – also ebenfalls zur Zeit der Schneeschmelze mit dem daraus resultierenden grossen Wasservolumen in der Aare – ein mit Sand bestücktes Schiff. Vier Männer hielten es an einem Tau fest, was allerdings mit der Zeit ihre Kräfte überschritt: Ein bei den Schleusen zerstörtes Schiff war das traurige Resultat.


Für die Stadt Thun, vertreten durch den Thuner Gemeinderat, war die Aufhebung der Freienhof-Ländte starker Tobak, zumal sich der Gemeinderat gemeinsam mit dem damaligen Verkehrsverein und der Verkehrskommission immer wieder dafür einsetzte, dass mehr Schiffskurse möglichst zu allen Jahreszeiten zum Freienhof fahren durften. Damit sollte die im Vergleich mit der Ländte Scherzligen stiefmütterlich behandelte Freienhof-Ländte aufgewertet werden. So erstaunte es nicht, dass der Gemeinderat ein Wiedererwägungsgesuch zwecks Sistierung der Aufhebung der Freienhof-Ländte an das Eidgenössische Post- und Eisenbahndepartement richtete. Auch der Verkehrsverein Thun bemühte sich um das Weiterbestehen der Freienhof-Ländte, weshalb er ein diesbezügliches Initiativbegehren startete, welches er den Gemeinden des rechten Seeufers (inklusive Beatenberg) zur Unterzeichnung zukommen liess. Der Thuner Gemeinderat unterstützte diese Initiative wärmstens, ja er liess in Thun die Unterschriftenbögen in der Bevölkerung durch die Polizei zwecks Unterzeichnung zirkulieren. Schliesslich waren 639 Unterschriften von Gemeindebehörden und von Einzelpersonen zu verzeichnen, ein schöner Erfolg. Die Antwort des Departements auf den Rückkommensantrag des Thuner Gemeinderats und auf das Initiativbegehren fiel dann jedoch ernüchternd aus. Das Departement liess sich nicht erweichen, sodass Gemeinderat und Verkehrsverein der Verfügung wegen resignierten und die definitive Aufhebung der Ländte beim Freienhof akzeptieren mussten.

In der Tat waren bei der Oberen Aareschleuse immer wieder schlimme Unglücksfälle zu verzeichnen.

Beide nahmen nach einem weiteren Vorstoss im Jahre 1906 das Unabänderliche hin, und die Ländte beim Freienhof wurde in der Folge nie mehr von den Dampfern bedient. Vehement setzte sich jedoch der Gemeinderat bei der offiziellen Vernehmlassung der Fahrpläne dafür ein, dass in Zukunft die Hofstetten-Ländte als Ersatz für die eingegangene Freienhof-Ländte regelmässig angefahren und auch im Winter bedient werden sollte, gewissermassen auch als Alternativstation zur Ländte in Scherzligen.

Bei der Freienhof-Ländte stand damals eine kleine gedeckte Wartehalle zum Schutz der Passagiere vor den Unbilden der Witterung. Da diese nun ihres Zwecks verlustig ging, wurde sie von der Dampfschiff-Gesellschaft dem damaligen Wirt im Freienhof, Karl Truttmann-Oesch, verkauft. Drei Jahre nach der endgültigen Schliessung der Freienhof- Ländte folgte noch ein letztes, kurzes Nachspiel, ging es doch darum, die ausser Betrieb gesetzte Ländte gegen die Aare hin mit einem Geländer zu sichern. Wer sollte die Kosten übernehmen: der Freinhof-Wirt, die Dampfschiff-Gesellschaft oder die Stadt Thun? Eine längere Kontroverse entstand, und nach langen Diskussionen und Verhandlungen einigte man sich dahingehend, dass das eiserne Geländer als Abschrankung je hälftig von der Stadt und von Karl Truttmann übernommen werden sollte.


Abschliessend sei noch festgehalten, dass ein sehr prominenter und bekannter Thuner Gast, welcher die Freienhof-Ländte zum Einsteigen auf einen Thunersee-Dampfer benutzte, der Komponist Johannes Brahms war, der die Sommermonate 1886, 1887 und 1888 in Thun verbrachte. Er wohnte in Thun in einer gemieteten Wohnung an der Hofstettenstrasse (das 1932 niedergerissene Haus lag rund 100 Meter vom heutigen Casino aareaufwärts), von wo Brahms in wenigen Schritten die Hofstetten-Ländte erreichen konnte. Gerne hielt sich Brahms aber auch, wie er in Briefen festhielt, im Weingarten beim Gasthof Freienhof auf. Von diesem Weingarten waren es nur wenige Meter, um bei der Freienhof-Ländte einen Thunersee-Dampfer für eine erholsame Schifffahrt besteigen zu können... die Freienhof-Ländte in Thun, es war einmal!