Schönörtli – Geheimrat Eduard Oehlers Sommersitz am Thunersee

Schönörtli – Geheimrat Eduard Oehlers Sommersitz am Thunersee

Schönörtli – Geheimrat Eduard Oehlers Sommersitz am Thunersee

Bei unseren Ausflügen in die regionale Geschichte besuchen wir heute abermals ein Idyll am rechten Ufer des Thunersees. Wir bewegen uns dabei in der Zeit von 1888 bis 1905.

Text: Markus Krebser  |  Fotos: Jean Moeglé

Etwas erhöht zwischen Längenschachen und Gunten liegt ein bemerkenswerter Landsitz. Er gehört dem in Aarau geborenen, später in Deutschland lebenden und wirkenden Unternehmer Eduard Oehler und seiner Ehefrau Elisabeth, geborene Zeller, aus Aarau. 

Nach der Ausbildung in Chemie am Polytechnikum Zürich und an der Ecole Polytechnique in Paris tritt er 1870 in die von seinem hessischen Vater aus einer alten Russ- und Kreosotfabrik (Destillation von Kohlenteer) ausgebaute «Farbwarenfabrik Karl Oehler» in Offenbach am Main ein. Unter seiner Führung und mit Unterstützung des Bruders Karl junior als kaufmännischer Leiter entwickelt sich der Betrieb für Teerfarbenverfahren, später Anilinfarben und neue Farbstoffe wie Alizarin, Wasserblau und Indigo, zu einem imposanten Destillationswerk. Angegliedert wird von ihm später auch noch der Grosshandel mit Fetten und Ölen für die internationale Seifenindustrie. Das Unternehmen beschäftigt weit über 500 Arbeiter und kaufmännische Angestellte, welche pro Jahr an die 5500 Tonnen Hauptfabrikate und 16000 Tonnen Nebenprodukte erzeugen und weltweit absetzen. 

Für sein erfolgreiches Wirken in Deutschland wird Eduard Oehler vielfältig geehrt. So verleiht ihm der Grossherzog von Hessen, Ludwig IV., das Ritterkreuz zweiter Klasse des Verdienstordens von Philipp dem Grossmütigen. Zudem ernennt er ihn, obwohl zur Hälfte schweizerischer Abstammung, 1889 zum Geheimen Kommerzienrat und 1896 gar zum lebenslangen Mitglied der Ersten Hessischen Kammer. In Offenbach wird nach ihm die Eduard-Oehler-Strasse benannt. 

Neben der unternehmerischen Tüchtigkeit müssen seine Wohltätigkeit und Grosszügigkeit ebenso gebührend hervorgehoben und gewürdigt werden: Als Patron hoch geachtet und verehrt, manifestiert er seine Dankbarkeit für das ihm beschiedene Glück und sein Wohlergehen genauso mit grosszügigen Spenden an Stiftungen und Bildungsanstalten wie die Ludwigs-Universität Giessen, die Kantonsschule Aarau, das Polytechnikum Zürich und naturforschende Gesellschaften im In- und Ausland. Zeitlebens vertritt er im Übrigen während des Engagements in Deutschland seine urdemokratische Gesinnung und steht immer mit Stolz zu seiner eidgenössischen Herkunft.

Um 1880 erwirbt Eduard Oehler, der mit seiner Familie bereits ein Herrschaftshaus mit grossem Umschwung unweit seiner Fabrik in Offenbach bewohnt, hier über dem Thunersee zusätzlich den prächtig gelegenen und zu Recht so bezeichneten Landsitz «Schönörtli». In kurzer Zeit baut er ihn auf dieser von Reben und Wald umrahmten Geländeterrasse zur feudalen Ferienresidenz mit zweckdienenden Nebengebäuden aus. Und von nun an verbringt er die Sommerzeit mit der Familie hier in seinem geliebten Heim über dem Thunersee mit weiten Spaziergängen und stundenlangen Bootsausfahrten von seinem Seehaus aus.

Anno 1892 verstirbt seine treu besorgte Gattin Lisa im Alter von nur 43 Jahren, die ihm sieben Kinder geschenkt hat. Immer war sie der wahrhaftige Mittelpunkt ihrer Familie. Insbesondere hat sie auch ihren Ehemann in seinem wohltätigen Wirken mit allen Kräften unterstützt. In dieser Überforderung dürfte möglicherweise die Ursache ihres so früh erfolgten Todes liegen. Zu ihrer Erinnerung ruft ihr Lebensgefährte die «Elisabeth-Oehler-Stiftung» für die Krankenpflege armer Kinder ins Leben.

Nach zehn Jahren heiratet Eduard Oehler ein zweites Mal, und zwar Viktoria Budzbanowska, eine Sängerin aus Polen. Und 1904 verkauft er in Ermangelung eines direkten Nachfolgers das Offenbacher Werk – sein berufliches Lebenswerk – an die Chemische Fabrik Griesheim-Elektron. Überraschend wird Eduard Oehler im Jahr 1909 zweiundsiebzigjährig auf der Strasse in Bern von einem Schlaganfall ereilt. Damit schliesst sich das geschichtliche Fenster wieder, das uns um die vorletzte Jahrhundertwende Einblick in die Zeit eines erstaunlichen Unternehmers und dessen gloriosen Sommersitz gewährt hat – ein Kapitel regionaler Geschichte, das weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Allein mit einer Anzahl historischer Aufnahmen des Thuner Fotopioniers Jean Moeglé, die glücklicherweise erhalten geblieben sind, wird es auf eindrückliche Weise der Nachwelt erhalten.