Faulensee – zwei vergessene Kapitel aus der Geschichte

Faulensee – zwei vergessene Kapitel aus der Geschichte

Faulensee – zwei vergessene Kapitel aus der Geschichte

Wir kennen das anmutige, zur Gemeinde Spiez gehörige Dörfchen am linken Seeufer mit seiner weitherum gelobten Gastlichkeit. Weniger bekannt sind zwei Begebenheiten aus seiner Geschichte, welche beide zu ihrer Zeit mehr als landesweite Beachtung gefunden haben. Weil sie mittlerweile fast in Vergessenheit geraten sind, soll hier über sie berichtet werden. 

Text: Markus Krebser  |  Fotos: Archiv Krebser Thun

Exakt dort, wo sich heute – eben überhaupt nicht zufällig! – die 1961 bis 1963 auf der so genannten «Glummen» erbaute Kirche von Faulensee erhebt, stand vorher eine unter Strauchwerk verborgene Ruine, Mauerreste einer romanischen Kapelle von ursprünglich 9,5x12,5 Metern Grundriss. Sie stammte aus der frühmittelalterlichen Zeit der Jahrtausendwende und war dem Heiligen Columban – dem Jüngeren – geweiht, einem irischen Wanderapostel aus dem 6. und 7. Jahrhundert. Dieser hatte, nach seiner Abkehr vom Kloster Bangor und der britischen Insel, auf dem Festland von Luxeuil (Vogesen) aus mit zwölf Weggefährten weite Gebiete der Deutschschweiz – vielleicht auch des Berner Oberlandes – durchzogen, um den heidnischen Bewohnern das Evangelium zu bringen. Der Gruppe hat auch der schottische Glaubensbote Gallus angehört. Der Weg führte sie nachweislich unter anderem in die Gegend des Bodensees, nach Bregenz und nach St. Gallen. Dort gründete Gallus das Kloster und wurde zum Schutzpatron der Stadt und des Bistums erkürt. 

Während sich die Prediger-Gemeinschaft in der Folge wieder auflöste, reiste Columban nach Bobbio in Norditalien weiter. Nach den Orten Luxeuil und Bregenz rief er da um 613 sein drittes Kloster ins Leben, wo er als dessen Abt zwei Jahre später verstarb. Neben der Kapelle von Faulensee erinnern in der Schweiz zwei weitere an den Heiligen Columban, eine in Andermatt und eine in Scona unweit von Olivone. Auch stand im Kloster St. Gallen lange Zeit ein ihm geweihter Altar. Und heute wird sein Name ausserdem als Schutzpatron der Motorradfahrer und bei Überschwemmungen geehrt. 

In jüngster Zeit haben einige Historiker Zweifel an der Richtigkeit der Zuschreibung dieses Faulensee-Kirchleins geäussert. Sie behaupten nämlich, weil in seiner 1453 urkundlichen Ersterwähnung von einer Columba und nicht einem Columban («Capella bti Columbe – que quasi venit ad ruinam») die Rede sei, handle es sich vielleicht um die in Sens bei Paris bestattete Märtyrerin Columba. Da jedoch in der ganzen Diözese Lausanne, zu welcher damals auch dieses Thunerseeufer zählte, keine Heilige namens Columba nachzuweisen ist und die hiesige Wallfahrtsstätte aus einer Zeit stammt, in der die Verehrung des grossen Glaubensboten wahrscheinlicher ist, liegt man wohl mit der Columban-Version richtig. Dem folgt auch die historische Fachliteratur, obschon die Bezeichnung «Columba-Kapelle» heute noch gelegentlich sogar durch amtliche Texte geistert.

Wir kehren nun zurück in das Jahr 1887 und werfen den Blick von der Höhe der Glummen, die ihren Namen natürlich ebenfalls Columban verdankt, nach Süden über die malerische Bucht (Bild oben). Hoch über dem markanten Bauernhaus – weisser Kamin! – lässt sich auf der Krete ein auffälliger, heller Bau erkennen. Er liegt 140 Meter über dem Seespiegel und ist das andere Ziel unseres Ausfluges in die Geschichte von Faulensee. Der früheste schriftliche Nachweis einer Mineralquelle in dieser Gegend datiert von 1585. Er betrifft die Veräusserung des Seeholzwaldes durch den damaligen Freiherrn von Spiez an Private, der darin ausdrücklich verlangt, das heilende Wasser habe auch weiterhin der Allgemeinheit zugänglich zu sein. 

Die erste konkrete Überlieferung eines Kurbades jedoch stammt aus dem Jahr 1843. Es lag etwas westlich in einer Lichtung des Seeholzwaldes und bestand aus einem einfachen Holzschuppen mit fünf Badekammern zu je zwei Wannen. 1859 kam es in den Besitz von Christian Bhend aus Hond- rich. Dieser leitete den Quell (kräftiger Eisensäuerling) zur nahen Geländeterrasse um, weil ihm die Lage im Forst und in der beengenden Tannenumzäunung zu düster schien. Hier erstellte er ein erstes Gebäude mit 15 Zimmern. 1873 verkaufte sein Sohn Friedrich das kleine Mineralbad an die kinderreiche Familie Müller-Dubach, frühere Besitzerin der Kuranstalten von Weissenburg. Vater Jakob Müller war im Jahr zuvor verstorben. Die Witwe und ihre Söhne Jakob junior, Albert – Arzt – und der Schwiegersohn Adolf Christener, auch er ein Arzt, errichteten das Kurhaus mit grosszügigen Neubauten und verbesserten Einrichtungen. Sie zelebrierten am 20. Mai 1875 eine vielbeachtete Eröffnung. Vierzig Zimmer mit teils offenen, teils geschlossenen Balkonen, heizbar und dank einer hydraulischen Anlage mit fliessendem Wasser sowie mit Bad- und Duschräumen. Die Anstalt genoss weitherum einen ausgezeichneten Ruf, florierte entsprechend und führte neuerdings den Namen «Faulenseebad und Waldhotel Victoria». Nach weiteren Ausbauten und Errichtung einer Dependance verfügte sie bald über 100 Betten, einen Damen- und einen Lesesaal, einen neuen parkettierten Speisesaal für 150 Gäste, Billard- und Rauchzimmer sowie eine Russische Kegelbahn. 1876 wurde zudem ein eigenes Postbüro mit Telefon und Telegraf eingerichtet. Im Hochsommer spielte ein Kurorchester den Gästen auf und eine direkte Omnibusverbindung führte zum Bahnhof Spiez. Dem Kurgast standen neben all diesen Annehmlichkeiten in unmittelbarer Nähe ein dichtes Netz von Waldwegen mit Ruheplätzen und Anlagen für Croquetspiel und Lawn-Tennis zur Verfügung.

Nach der Handänderung 1884 zu Albert Schleuniger, einem anderen Schwiegersohn der Witwe Müller, folgten erneut aufwändige Investitionen wie Toiletten neusten Systems mit Wasserspülung. Trotz allem Renommee und erfreulicher Frequenz hat man sich jedoch offenbar übernommen, die Talfahrt von Faulenseebad begann sich abzuzeichnen. Immerhin konnte der Betrieb, der nach einer ersten Handänderung 1904 in den Besitz von Direktor Homburger-Risold gelangte, vorerst noch aufrechterhalten werden, bis 1914 der Ausbruch des Ersten Weltkrieges – mangels ausländischer Gäste – das endgültige Aus brachte. Die rund 50000m2 umfassende Liegenschaft mit all ihren Gebäuden kam 1919 durch Kauf an die «Bernische Privat-Blindenanstalt», die hier grosszügige Werkstätten einrichtete und fast vier Jahrzehnte lang erfolgreich betrieb. Dann wurden die Blinden und Sehschwachen in das neu errichtete Schulheim in Zollikofen bei Bern umgesiedelt. Und im Jahr 1962 erfolgte der Abbruch der ehemaligen Kurhaus-Anlage mit ihren zahlreichen Nebengebäuden im Rahmen einer spektakulären Übung der Luftschutztruppen. Als einziger Zeuge aus der gloriosen Zeit des 19. Jahrhunderts ist ein imposanter Mammutbaum (Sequoia gigantea) amerikanischer Provenienz stehen geblieben.

Damit war der Weg frei für eine neue Nutzung der einzigartigen Geländeterrasse. Sie wurde 1964 durch den TCS Campingclub Bern für die neu gegründete «Genossenschaft Camping Faulenseebad» erworben, welche seither den weit über hundert Mitgliedern günstige Standplätze für ihre Wohnwagen zur Verfügung stellt. Da das privilegierte Grundstück – einer dichten Waldfestung nicht unähnlich – von einem hohen, geschlossenen Drahtzaun eingefasst wird, entzieht es sich heute dem Zutritt und den Augen der Öffentlichkeit.