Der «Spycher» – einst die bäuerliche Schatzkammer

Der «Spycher» – einst die bäuerliche Schatzkammer

Der «Spycher» – einst die bäuerliche Schatzkammer

Rund um den Thunersee stehen wunderbare Zeitzeugen von bodenständigem Handwerk. Früher wurden die Speicher als Vorratskammern gebraucht – heute stehen die meisten unter Schutz und werden sehr unterschiedlich genutzt.

Text & Fotos: Beat Straubhaar

Bereits die Römer kannten einen Aufbewahrungsraum für Ähren und Korn, das «Spicarium». Deshalb gehört der Speicher mit dem Ofenhaus zu den ältesten und wichtigsten Begleitern des Bauernhauses, im Gegensatz zum «Stöckli», das erst im 18. Jahrhundert bekannt wurde, nachdem es dem Bauernstand wirtschaftlich besser ging. Beim Speicher handelt es sich um ein oft reich verziertes Holzhaus etwas abseits des Hauptgebäudes. Darin bewahrten die Bauern je nach Region gedroschenes Korn, Gemüse, gedörrtes Obst, Fleisch und Geräte auf. Für den Fall eines Bauernhausbrandes war der «Spycher» die überlebenswichtige Vorratskammer. Oftmals wurden darin auch wichtige Dokumente und Bargeld gelagert. Jeremias Gotthelf nannte den Speicher «die grosse Schatzkammer» oder auch «das Herz eines Bauernwesens». Seine Emmentaler Speicher zeigen natürlich einen reichhaltigeren Inhalt und auch grosszügigere Verzierungen als in anderen Gebieten. Wer aber am Thunersee wandert, findet auf der linken und rechten Seeseite wunderschön erhaltene Zeitzeugen. Oftmals stehen an der Speicherwand prächtige Inschriften in reicher Fakturaschrift, die von früheren, schweren Zeiten erzählen. Viele Objekte sind im Bauinventar der Berner Denkmalpflege als schützens- oder erhaltenswert eingestuft.


Mit Schlössern gesichert

Der hölzerne Kornspeicher besteht seit alter Zeit aus anderthalb oder zweieinhalb Holzgeschossen. Geschützt vor Feuchtigkeit und Ungeziefer, steht er vom Boden abgehoben auf einem Schwellenkranz und auf Stützen. Gelegentlich stehen die Bauten aber auch auf gemauerten Kellern oder Sockeln. In dicht gefügten Wänden sorgen schmale Schlitze oder kleine Luken für eine gute Durchlüftung. Starke Holz- und ab etwa 1700 metallene Kastenschlösser schützten die aufbewahrten Vorräte und Kostbarkeiten vor unberechtigtem Zugriff. Meistens wirken die Spycher durch ihre Höhe zum Grundriss sehr elegant. Im 19. Jahrhundert bestand eine Hofgruppe oftmals aus Bauernhaus, Stöckli und Speicher.

Der Spycherweg Heiligenschwendi

Der Berner Heimatschutz und Heiligenschwendi Tourismus haben mit dem Spycherweg Heiligenschwendi besonders schöne Exemplare dieser teils über 300 Jahre alten Zeugen in einem Rundweg zusammengefasst. Die mit Tafeln versehenen Spycher und Ofenhäuser an elf Standorten können in dreieinhalb Stunden von der Post Schwendi aus erwandert werden. Eine Abkürzung um eine Stunde ist möglich, der Führer zu den rustikalen Holzhäuschen ist im Tourist-Info Heiligenschwendi erhältlich.

Ebenfalls in Sigriswil können auf einem kulturhistorischen Rundgang Speicher bewundert werden. Der «Adolf-Schaer-Speicher» aus dem 18. Jahrhundert beheimatet seit 1994 das Tourismusbüro. Ebenfalls in Zentrumsnähe befinden sich zwei weitere Speicher, einer davon ist der Doppelspeicher von 1774 mit flach geschnitzten Wellen- und Kielbogenfriesen im Bundbalkenbereich. In Beatenberg befindet sich im Dorfteil Spirenwald ein schöner Spycher. 

Einfachere Käsespeicher 

Im Gegensatz zum Kornspeicher ist der Käsespeicher oder -gaden viel einfacher gebaut. Er hat «nur» die Aufgaben, dem jungen Käse auf den Alpen ein gutes Klima zu bieten und im Tal die Ausreifung des Hobelkäses zu unterstützen. Die oberirdischen, hölzernen Lagerräume sind einstöckig und ohne Fenster – das Wichtigste ist ja, die Käse ohne Abdrücke von Mausezähnen über den Sommer zu bringen! Damit die Temperatur in den Käsespeichern nicht zu hoch wird, stehen sie im Schatten von Tannen und Bäumen, idealerweise an Bächen. Bekannte Objekte sind das Spycherdörfli im Justistal sowie der Käsespeicher der Burgergemeinde Hilterfingen von 1790 zuhinterst im Suldtal.

Kleinode auf der linken Seeseite 

Weitere sehr schöne, repräsentative Speicher aus der Hochblüte der Landwirtschaft stehen auch in Aeschi und Aeschiried. Eines dieser Kleinode aus dem Jahre 1727 befindet sich an der Suldhaltenstrasse. Es ist reich mit Inschriften, Schnitzfriesen und Malereien geschmückt. Ganz speziell ist eine Holzgittertüre mit aufwändigen Eisenbeschlägen. An der Strasse von Aeschi nach Aeschiried steht ein Doppelspeicher von 1750, mit reich gestalteter Hauptfassade und bemalten Zwillingstüren sowie einer aufwändig gearbeiteten Gittertüre. Neben dem Restaurant «Chemihütte» kann ein Speicher von 1820 bewundert werden, der ursprünglich in Faltschen gestanden hat. Bei ihm ist das Dach beeindruckend – die Schindeln sind mit mächtigen Steinen gesichert. 

Auf den meist steileren Weiden der Gemeinde und auch im Dorf Krattigen sind rund 50 Objekte als schützens- oder erhaltenswert bezeichnet. Es sind aber vorwiegend kleinere Bauernhäuser und logischerweise keine Speicher, da der Getreideanbau an der Nord- Ost-Exposition kaum möglich war. Mit dem Bau der ersten Eisenbahnen im 19. Jahrhundert wurde eine rasche Verschiebung grosser Getreidemengen über weite Distanzen möglich. Damit verlor der Speicher schlagartig seine ursprüngliche Bedeutung der Lagerung von Lebensmitteln für Notzeiten.

Es ist reich mit Inschriften, Schnitzfriesen und Malereien geschmückt.