Rainer Maria Rilke am Thuner Concours Hippique
Rainer Maria Rilke am Thuner Concours Hippique
Die Stadt Thun hat im Leben des Dichters Rainer Maria Rilke eine interessante Rolle gespielt. Einerseits erwies sich die Thuner Familie Ziegler als Mäzenin und andererseits weilte Rilke auch ein paar Male für einige Tage in Thun.
Text: Jon Keller | Fotos: Stadtarchiv Thun, zvg
Beat Künzi, im Juli wird für Sie ein Kindheitstraum wahr. Sie spielen im Musical-Klassiker CATS mit, der vom 12. Juli bis 24. August auf der Thuner Seebühne aufgeführt wird. Warum ist CATS ein Kindheitstraum?
Ganz einfach: CATS war eines der allerersten Musicals, die ich als Jugendlicher gesehen habe. Ich kannte ja bereits die Musik – insbesondere der Hit «Memory», den die alte Katze Grizabella singt, begleitete mich viele Jahre. Nun selbst in diesem für mich so prägenden Musical auf der Bühne stehen zu dürfen, ist toll! Als Laie in einer professionellen Produktion mitwirken zu dürfen, macht mich sehr stolz. Die Bühne – und insbesondere die Thuner Seebühne – bringt eine riesige Faszination mit sich. Das Gefühl, vor einem so grossen Publikum im Rampenlicht zu stehen, ist einmalig. Und macht süchtig (lacht).
Welche Rolle spielen Sie in CATS?
Ich bin als Chormitglied Teil des Ensembles. Welchen Charakter meine Katze haben wird, wird sich bei den Proben herausstellen. Ich bin sicher, dass sich unsere Regisseurin und Choreografin Kim Duddy etwas Tolles ausgedacht hat.
«Unvergleichlich in meinem Angedenken»
In einigen Briefen legte Rilke Zeugnis von seiner Dankbarkeit gegenüber der Familie Ziegler für die unentgeltliche Überlassung der Residenz Berg am Irchel ab. Die Aufenthalte waren für Rilke in jeder Hinsicht bereichernd, wie er in einem Brief vom 16. Januar 1922 festhielt: «Berg ist so ganz unvergleichlich in meinem Angedenken, dass ich kaum je wagen werde, irgend eine Vergünstigung meines äusseren Lebens an jener zusäglichsten Erfüllung zu messen, die es mir, so wie es war, von der ersten Stunde an bereitet hat.»
Besuch in einem Thuner Antiquitätengeschäft
Von Mitte August bis zum 6. September 1922 weilte Rilke mit seiner Freundin Elisabeth Dorothee Klossowska in Beatenberg. Am 6. September, auf der Heimreise, schaltete er in Thun einen Aufenthalt ein. Er besuchte dabei das Antiquitätengeschäft von Margaritha Born am Lauitorplatz. Was er dabei erlebte, schilderte er in einem Brief: «…Fräulein Born, der ich mich, es kam so, zu erkennen geben musste und zwar zweifach: als autrichien und als poète, was beides sie unendlich ergriff, denn sie stellte alle Preise – puisque vous êtes autrichien – auf die Hälfte, ja auf ein Drittel herunter… und die andere Eigenschaft machte ihr, die sich als heimliche Dichterin herausstellte, womöglich noch mehr Gefühl.»
Ball im Grand Hôtel Thunerhof
Im Juni des folgenden Jahres 1923 weilte Rilke wiederum für einige Tage in Thun. Am 22. Juni wohnte er dem Concours
Hippique bei, am 23. nahm er am Ball im Thunerhof teil, am 24. besuchte er Jean-Jacques von Bonstetten in dessen Schlösschen Bellerive in Gwatt bei Thun und am 25. – vor der Abreise – besuchte er wiederum das Antiquitätengeschäft von Fräulein Born. Logis bezog Rilke damals im Hotel Bellevue. Rilke schätzte das Vergnügen, dem von Oberst Ziegler immer mustergültig organisierten Concours Hippique beizuwohnen, sehr. Dies geht aus einem Brief vom
8. Juli 1923 hervor: «Den Concours Hippique habe ich, trotz meiner Laienschaft, mit lebhaftester Freude und Teilnehmung mitgemacht:
Man wird dergleichen selten sachlich-exakter und dabei ebenso intim erleben können, wie es in Thun möglich ist, wenigstens solang Oberst Ziegler die Herrschaft hat.»
Im gleichen Brief erzählte Rilke auch von seinem Besuch im Schlösschen Bellerive: «…und so lernte ich tags darauf das reizende kleine Schlösschen kennen, das Herr von Sinner eben auf das Glücklichste um- und ausgebaut hat. Es ist ein Juwel in seiner schmucken Kleinheit.»
«Trois jours magnifiques à Thoune»
Noch ein zweites Mal war Rilke in jenem Jahr 1923 in Thun und wiederum logierte er im Hotel Bellevue, in welchem er vom 18. bis 20. August gemeinsam mit seiner Freundin Elisabeth Dorothee Klossowska weilte. Anschliessend musste Rilke für einen Monat in Schöneck bei Beckenried am Vierwaldstättersee einen Sanatoriumsaufenthalt einschalten, weshalb er die Tage in Thun voll und ganz genossen haben dürfte. Rückblickend äusserte er sich in einem Brief, den er im Bahnhof Interlaken Ost verfasste: «Je suis si heureux de ces jours que nous avons passés à Thoune, parfaitement beaux.» Und in einem anderen Brief sprach er von «trois jours magnifiques à Thoune, au Bellevue». Auch Elisabeth Dorothee Klossowska genoss die Tage in Thun, wie aus einem ihrer Briefe hervorgeht: «Je prends sagement de l’Ovomaltine et je croque le pain avec une absence parfaite en me rappelant les beaux petits pains du Bellevue à Thoune. La matinée du dimanche était si belle lorsque tu me disais avec ta figure pleine de malice, vois-tu, je suis bête! Oh chéri, que tu es bête et que tu es sage!»
Rilkes Krankheit verhinderte weitere Aufenthalte in Thun
Auch für das nächste Jahr, 1924, plante Rilke, am Thuner Concours Hippique teilzunehmen. So schrieb er im Mai 1924: «Den 14. und 15. Juni will ich in Thun sein, zum Concours Hippique, dessen Verlauf mir voriges Jahr so spannend und reizvoll war, dass ich versprochen habe, jedes Jahr, solang ich in der Nähe bin, wiederzukommen.» Wegen seiner damals bereits sehr angeschlagenen Gesundheit musste Rilke indessen vom Besuch des Reitfestes absehen. Ebenfalls im Sommer 1926 stand der Thuner Concours Hippique auf Rilkes Programm, aber zu einer Teilnahme kam es in der Folge nicht. Und zwei Monate vor seinem Tod spielte Rilke, bereits ganz von seiner Krankheit gezeichnet, mit dem Gedanken, im Spätherbst 1926 einen Rekonvaleszenz-Aufenthalt in Thun zu verbringen. Im Oktober 1926 schrieb er in einem Brief: «Si j’étais sûr de trouver encore un peu de clémence à Thoune, j’irais vite faire ma convalescence dans notre Hôtel: comment s’appelait-il? Bellevue?» Aber auch dieses Vorhaben zerschlug sich in der Folge. Im Dezember 1926 erlag Rilke in Valmont am Genfersee seiner schweren Erkrankung (Leukämie).
Rilkes «Thuner-Gedicht»
Rilke war nicht nur mit dem Thuner Oberst Ziegler und seiner Gattin befreundet. Er pflegte auch Kontakte zur jüngsten Tochter des Ehepaars, Lilly Yvonne Ziegler, geboren 1906. Sie sandte Rilke 1922 ihr Poesiealbum mit der Bitte, einige Zeilen darin zu schreiben. Mit einem Vierzeiler (Rilke bezeichnete ihn als Schokolade-Verschen) wurde Lilly Ziegler beglückt:
«Halte die Freude für mehr als das Glück:
Dann wird jedes Ältersein auch ein Mehr-Sein;
Und im Ratlossein oder Schwer-sein
Reichst du zu Mächten der Kindheit zurück.»
Da dieses Gedicht für eine Thunerin geschrieben wurde, mag man den Vierzeiler als «Thuner-Gedicht» von Rainer Maria
Rilke bezeichnen.
«Je prends sagement de l’Ovomaltine et je croque le pain avec une absence parfaite en me rappelant les beaux petits pains du Bellevue à Thoune.»