Johannes Brahms – drei Sommer in Thun
Johannes Brahms – drei Sommer in Thun
Der Komponist Johannes Brahms verbrachte die Sommermonate der Jahre 1886, 1887 und 1888 in Thun, im renommierten Hotel- und Touristenviertel Hofstetten, das damals noch zur Einwohnergemeinde Goldiwil gehörte.
Text: Jon Keller | Fotos: Christine Hunkeler, Stadtarchiv Thun
Während seines Aufenthalts in Thun-Hofstetten lebte Johannes Brahms (1833 – 1897) in einer Wohnung mit sechs Zimmern, die sich im ersten Stock eines Hauses am rechten Aareufer befand. Es gehörte dem Kaufmann und Gemischtwarenhändler Spring. Das Haus musste leider 1932 der Strassenerweiterung weichen und desgleichen auch die markante Inschrifttafel, die am Haus angebracht war und an die drei Aufenthalte von Brahms erinnerte. 1960 wurde an der Aarepromenade eine neue Gedenktafel angebracht, zudem steht seit 1933 ein Denkmal für Johannes Brahms am Aarequai – die Bronzestatue «Lauschendes Mädchen» des Bieler Künstlers Hermann Hubacher. Die Thuner nennen die Skulptur liebevoll «Brahms-Rösi».
«Ganz überaus reizendes Thun»
In Briefen äusserte sich Brahms stets sehr positiv über seinen Aufenthaltsort. So auch in einem undatierten Brief an einen Juristen und österreichischen Hofrat: «Ich bin für den Sommer nach dem ganz überaus reizenden Thun geraten.» Oder in einer Zuschrift vom 28. Mai 1886 an einen Musikalienhändler und Musikverleger: «Hofstetten bei Thun, da sitze ich heute früh in einer ganz reizenden Wohnung, unmittelbar hinter Hotel Bellevue, am Fluss. Ich glaube, es ist die schönste Wohnung, die ich noch hatte, und ich bin sehr froh, mich zur Reise hierher entschlossen zu haben.» Lobend erwähnte Brahms auch die ruhige Lage seiner Wohnung, wie aus einem weiteren Brief vom 2. Juni 1886 hervorgeht: «Ich empfehle Ihnen Bellevue, und Ihre Damen müssen doch einen Tag ausruhen – das kann man in Thun ganz herrlich, und sie werden in einem Tag gar nicht fertig mit Ausruhen!»
«Ich brauche in kein Hotel zu gehen, sondern habe auszuwählen, in welchen Bier- oder Weingarten ich gehen will.»
Arbeit an Musikkompositionen und Aufenthalte in Bier- und Weingärten
Wie sah der Tagesablauf während seiner Sommer in Thun aus? Schon beim ersten Morgengrauen munter, braute er sich auf einer extra aus Wien mitgenommenen Kaffeemaschine einen Mokka. Die Kaffeemaschine übergab Brahms über den Winter jeweils seinem Freund, dem Dichter Joseph Viktor Widmann aus Bern, zur Aufbewahrung. Sie gehört heute zu den Beständen des Historischen Museums im Schloss Thun. Nach dem Frühstück widmete er sich den ganzen Vormittag seinen musikalischen Kompositionen – Op. 99 bis Op. 109. Brahms war froh, keinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgehen zu müssen.
So nahm er Mittag- und Abendessen nach Lust und Laune in einem einfachen Gasthaus ein, und bei gutem Wetter hielt er sich gerne in Bier- oder Weingärten auf, hatte aber kein Stammlokal. Sein Freund Widmann schrieb in seinen Erinnerungen an Johannes Brahms: «Zu Mittag speiste Brahms, wenn die Witterung es einigermassen erlaubte, in irgendeinem Wirtshausgarten; das Table-d’hôte-Essen blieb ihm zeitlebens verhasst.» So bemerkte Brahms in einem Brief: «Ich brauche in kein Hotel zu gehen, sondern habe auszuwählen, in welchen Bier- oder Weingarten ich gehen will.» Über den Garten im Thuner Freienhof schrieb Brahms einmal: «Dort können Sie behaglich im schönen Garten für sich (und mit mir) essen. Der Marsala im Freienhof ist gut.» Bisweilen suchte Brahms indessen auch das Grand Hotel Thunerhof auf, wo er im Spielsalon einem auf Zufallsprinzip beruhenden Pferderennspiel huldigte. Franken um Franken – damals noch eine hübsche Summe – wurden von Brahms gesetzt, in den meisten Fällen aber ohne Erfolg.
Ausflüge ins Berner Oberland«Infolge
Gemeinsam mit Joseph Viktor Widmann unternahm Brahms auch Ausflüge, zumeist ins Berner Oberland. Einmal war Mürren das Ziel, das sie von Stechelberg aus über Gimmelwald erreichten. Ein andermal wanderten sie von Kandersteg zum Oeschinensee. Die Pyramide des Niesens bestiegen die beiden Freunde 1887 gemeinsam mit einem Landgerichtsrat aus Altona in Deutschland. Für den eher korpulenten Brahms war diese Bergtour eine eigentliche Kraftanstrengung, nicht zuletzt auch, weil der richtige Weg verfehlt worden war, was zusätzlich Zeit und Schweiss kostete. Als aber der Niesengipfel einmal erreicht war, vergassen die Drei angesichts der beeindruckenden Aussicht auf die Berner Alpen alle Mühsal. Und nach dem Abstieg wurde der Ausflug mit einigen Gläsern Bier gebührend gefeiert.
Einfache Kleidung
Was seine Bekleidung betraf, machte Brahms nicht gerne «Toilette», weshalb er denn auch in Thun durch einfache Kleidung auffiel. Ein Freund von ihm schrieb diesbezüglich: «Meistens sah man ihn nur mit einem Wollhemd und einer leichten Lustrejacke angetan, ohne Kragen, den Hut in der Hand herumgehen, so dass in Thun die Fabel umgeboten wurde, der Mann sei zu arm, um sich eine ausreichende Kleidung zuzulegen.» Widmann meinte: «Im gestreiften Wollhemd, ohne Krawatte, ohne angeknöpften weissen Kragen war ihm am wohlsten; selbst den weichen Filzhut trug er mehr in der Hand als auf dem Kopfe. […] Bei schlechtem Wetter hing ihm ein alter braungrauer Plaid, der auf der Brust von einer ungeheuren Nadel zusammengehalten wurde, um die Schultern und vervollständigte die seltsame, unmodische Erscheinung, der alle Leute erstaunt nachblickten.»
Distanzierte Thuner Bevölkerung
Die Bevölkerung von Thun zeigte sich gegenüber Brahms eher kühl und distanziert, nur ausnahmsweise kam es zu näheren Kontakten. Man kann es Brahms deshalb nicht verargen, dass er jeweils bei seiner Heimkehr von Thun nach Wien beim Erreichen der Landesgrenze den Charme der österreichischen Bevölkerung zu schätzen wusste: «… dass es doch immer ein eignes Vergnügen ist, die ersten österreichischen Kondukteure und Kellner wiederzusehen.»
Keine Ehrenmitgliedschaft im Thuner Männerchor
Brahms zeigte Interesse am Musikleben in der Stadt Thun, weshalb der traditionsreiche Thuner Männerchor mit dem Gedanken spielte, Brahms eine Ehrenmitgliedschaft zu vergeben. Dazu ist es aber nicht gekommen, weil eine Mehrheit des Chores diese Ehrenmitgliedschaft ablehnte. Man nimmt an, dass vor allem die deutschnationale Gesinnung von Johannes Brahms den Antrag scheitern liess.