Die Strättligburg, das Freiherrengeschlecht und Heinrich von Strättligen, der Minnesänger

Die Strättligburg, das Freiherrengeschlecht und Heinrich von Strättligen, der Minnesänger

Die Strättligburg, das Freiherrengeschlecht und Heinrich von Strättligen, der Minnesänger

Hoch über dem Thunersee, majestätisch und wie ein Monolith, steht sie: die Strättligburg oberhalb von Gwatt, die heute wieder gut sichtbar ist, sei es vom Thunersee her oder von der Autobahn, nachdem in den letzten Jahren Bäume rund um die Burg gefällt worden waren. Jahrzehntelang war die Burg mit dem mächtigen Turm und der hohen Ringmauer kaum sichtbar, da sie von dichtem Wald umgürtet war.

Text: Jon Keller  |  Fotos: zvg

Die Freiherren von Strättligen 

Die Strättligburg war ursprünglich die Stammburg der Freiherren von Strättligen, die in alten Urkunden zum ersten Mal im Jahr 1175 nachweisbar sind. Das Geschlecht der Freiherren von Strättligen erlebte im 13. Jahrhundert seine grösste Machtentfaltung. Damals umfasste die Herrschaft Strättligen Land im Simmental, im Diemtigtal, im Kandertal, am Thunersee und im Thuner Westamt. Wimmis und Spiez, beispielsweise, gehörten dazu. Ab 1300 erfolgte der allmähliche Niedergang des Hauses Strättligen, das sich gezwungen sah, je länger desto mehr von seinem Besitztum zu veräussern. Das Geschlecht der Strättliger Freiherren starb mit dem Tod von Anna von Strättligen anno 1401 endgültig aus. Die Burg Strättligen wurde 1332 von den Bernern eingenommen und stark beschädigt. Nach diversen Handänderungen gelangte sie schliesslich an den Stadtstaat Bern, der die Burg als Pulvermagazin wieder aufbaute, woraus das heutige Aussehen resultierte. 1977 gelangte die Strättligburg in den Besitz der Stadt Thun, die sie zweimal renovierte und mit einer Infrastruktur versah (Toilettenanlagen, Brätlistelle usw.), was erlaubt, die Burg zu mieten, um frohe Festivitäten, wie sie sicher auch zu Zeiten der Freiherren stattfanden, durchzuführen.

Der Minnesänger Heinrich von Strättligen 

Die Forschung nimmt heute an, dass in einem Heinrich von Strättligen, der in Urkunden zwischen 1258 und 1294 verzeichnet ist, der Minnesänger Heinrich gesehen werden darf. Da dieser in der Genealogie der Strättliger als dritter Vertreter diesen Namen trägt, wird er gemeinhin als Heinrich III. bezeichnet. Geburts- und Todesdatum sind uns nicht bekannt, das heisst, wir wissen einzig, dass er in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts lebte. In einigen Urkunden ist von ihm die Rede. 1271 beispielsweise trat Heinrich III. mit seinem Bruder Rudolf II. als Zeuge bei einer Verschreibung von Gütern und Rechten in Uttigen und in Uebeschi auf. Im Jahr 1290 verpfändete Heinrich III. gemäss einer Urkunde, in der er als «Heinrich, Vogt von Strättligen, Herr zu Spiez, Junker» bezeichnet wird, einem Onkel alle zur Feste Spiez gehörenden Besitzungen mit Ausnahme des Turmes, eines Hauses und der Kirchensätze von Spiez und Leissigen. Der oben erwähnte Niedergang des Hauses Strättligen angesichts von finanziellen Problemen zeichnet sich hier klar ab. 1294 schliesslich wurde Heinrich III. zum letzten Mal urkundlich erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit einem Tauschvertrag von Gütern in Wattenwil, Steffisburg und Bächi.

Bildliche Darstellungen 

Minnesänger Heinrich ist zweimal bildlich dargestellt worden: in der Manessischen Liederhandschrift (die Abbildung ist hier wiedergegeben und Details zur Manessischen Liederhandschrift folgen weiter unten) und im sogenannten Naglerschen Bruchstück, Teil einer ehedem viel grösseren Liederhandschrift, entstanden um 1300. Gezeigt wird auf beiden Darstellungen ein höfischer Tanz, obwohl keine Musikanten zu sehen sind. Auf den ersten Blick sind sehr grosse Gemeinsamkeiten festzustellen. Angefangen mit Heinrich, der um seine angebetete Frau wirbt, über das Wappen der Strättliger bis zum goldenen Hirschgeweih mit den fünfblättrigen roten Rosen an den Enden der Sprossen. Aber auch zahlreiche Unterschiede können ausgemacht werden, die aber an dieser Stelle nicht näher beleuchtet werden sollen.

 

Der Minnesänger verstand sich als anbetender Diener einer meist höhergestellten, reifen Herrin, die oft verheiratet war.

Manessische Liederhandschrift

Von Heinrich III. sind drei Minnelieder erhalten geblieben, die sich in der Manessischen Liederhandschrift finden, in der auf 425 Pergamentblättern die Werke von 140 Dichtern mit rund 6000 Versen aufgeführt sind. Die Dichtungen stammen aus der Zeit von ungefähr 1160 bis gegen 1330 und umfassen somit die ganze höfische und späthöfische Zeit, die neben anderen Merkmalen auch durch den Minnesang des Rittertums gekennzeichnet war. Entstanden ist die Sammlung in der Schweiz, vermutlich in Zürich. Die Bezeichnung Manessische Liederhandschrift erhielt sie im 18. Jahrhundert vom Schweizer Gelehrten Johann Jakob Bodmer, der Teile der Handschrift im Druck herausgab. Bodmer vermutete damals in den Zürcher Patriziern Rüdiger Manesse und seinem Sohn Johannes, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts lebten, die Sammler und Herausgeber der Liederhandschrift.

Der deutsche Minnesang

 

Der deutsche Minnesang gilt als Merkmal der mittelalterlichen höfischen Ritterkultur. Ein Minnelied ist zwar ein Liebeslied, aber nicht im konventionellen Sinn der Erlebnislyrik. Gesellschaftlicher Hintergrund beim Minnesang war der Frauendienst: Der Minnesänger verstand sich als anbetender Diener einer meist höhergestellten, reifen Herrin, die oft verheiratet war. Er sah in ihr ein Vorbild in edlem, ritterlichem Menschentum, ja die Verkörperung weniger eines Individuums als vielmehr eines fernen Ideals, dem sich anzugleichen sich der Ritter bemühte. Und so pries denn der mittelalterliche Ritter in seinen Minneliedern die erhabene Tugend und Schönheit der Frau, die er bewunderte. Aus einem Minnelied von Heinrich von Strättligen seien an dieser Stelle einige Verse zitiert, und zwar nicht in der mittelhochdeutschen Originalsprache, sondern in einer neuhochdeutschen Übersetzung: «Nachtigall, lieb Vögelein, singe meiner Herrin; singe ihr in das kleine Ohr, dass sie hat mein Herz allein, der ich allen Frohsinn ihrethalben längst verlor. Ists ein Wunder oder keins? Bin mit Wundern nicht vertraut, doch mitunter, man auch munter mich in meinem Leid erschaut.» Der Umstand, dass die Minnelieder von Heinrich von Strättligen vor Jahrhunderten Aufnahme fanden in die Manessische Handschrift als der umfassendsten und repräsentativsten Liederhandschrift des Mittelalters, beweist, dass Heinrichs Lieder durchaus Qualitäten aufwiesen, die den Vergleich mit deutschen und österreichischen Minnesängern nicht zu scheuen brauchten.