Die Entstehung des Eisenbahnknotenpunkts Thun

Die Entstehung des Eisenbahnknotenpunkts Thun

Die Entstehung des Eisenbahnknotenpunkts Thun

Thun ist ein veritabler und wichtiger Verkehrs- und Eisenbahnknotenpunkt mit zahlreichen Eisenbahnlinien und Autobusverbindungen. Was heute selbstverständlich ist und zum Alltag gehört, war aber nicht immer so. Die Entstehung des Eisenbahnknotenpunkts Thun stellte einen verkehrsmässigen Wendepunkt und einen Mark- stein dar.

Text: Dr. Jon Keller, Historiker |  Fotos: Stadtarchiv Thun, zvg

Die Entstehung des Eisenbahnknotenpunkts Thun geht weit in die Vergangenheit zurück: ins vorletzte Jahrhundert, bis 1859. Damals, am 1. Juli 1859, wurde nach zahlreichen technischen Abklärungen und Probefahrten die Strecke der damaligen Centralbahn von Bern nach Thun eröffnet, zu jener Zeit noch mit Dampfbetrieb und ohne die heutige Doppelspur. Mit Wehmut blickten damals viele Thuner der letzten Pferdepost, die Richtung Bundeshauptstadt holperte, nach, und viele Zeitgenossen begegneten den Dampflokomotiven mit Skepsis, ja Angst. Auch die Aareschifffahrt zwischen Bern und Thun, die für den Waren- und Personentransport eminent wichtig war, gehörte der Vergangenheit an.


Weg frei für die Industrialisierung

Die Eröffnung der Bahnlinie nach Thun war der Schlüssel zur Industrialisierung, konnten doch nun Rohstoffe und fertige Produkte recht problemlos befördert werden. Ein Beispiel für den damaligen Güterverkehr: Im September 1886 wurden ab dem Thuner Bahnhof in 695 Waggons nicht weniger als 5860 Stück Vieh befördert. Aber auch der Fremdenverkehr erlebte durch die Eisenbahn einen rasanten Aufschwung, denn Touristen erreichten Thun und das Berner Oberland schnell und bequem. So erreichte beispielsweise ein gekröntes Haupt, die Königin von Holland, 1864 Thun mit der Bahn. Die Zeit blieb indessen nicht stehen: 1861 wurde die Bahnlinie von Thun nach Scherzligen verlängert, wo bequem vom Zug auf die Thunerseedampfer umgestiegen werden konnte. 1893 wurde dann die sogenannte Thunerseebahn eröffnet, die Eisenbahnstrecke Richtung Spiez und Berner Oberland. Aber auch sonst blieb die Zeit nicht stehen: Mit der Zeit wurde die Strecke zwischen Bern und Thun auf elektrische Traktion umgestellt und auf Doppelspur ausgebaut.


Sensation: erste elektrische Normalspurbahn Europas

Die Zeit der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges anno 1914 bescherte Thun nicht weniger als vier neu eröffnete Bahnlinien, woraus ein sehr wichtiger Eisenbahnknotenpunkt resultierte. Am 21. Juli 1899 wurde die Burgdorf-Thun-Bahn (BTB) eröffnet, die später mit der Emmentalbahn zur Emmental-Burgdorf-Thun-Bahn (EBT) fusionierte. Die Eröffnung dieser Bahnlinie bildete eine Sensation: Es war die erste elektrische Vollbahn Europas – ein historisches Ereignis. Die Einrichtung des elektrischen Betriebs war damals ein Wagnis, und der Entscheid zugunsten der Elektrizität erfolgte «nicht etwa leichten Herzens» und nach Einholung von diversen Gutachten, zum Beispiel von der bereits damals renommierten Firma Brown und Boveri in Baden. Der elektrische Eisenbahnbetrieb der BTB war eine Nouveauté, die europaweit Beachtung fand.



Humor muss sein: «Wechselstromsuppe»

Die Eröffnung der elektrischen BTB sorgte natürlich überall für gute Stimmung, was sich zum Beispiel auch am Bankett an der Eröffnungsfeier im Thuner Gasthof Falken manifestierte, stand doch auf dem Menu unter anderem die Verabreichung einer «Wechselstromsuppe mit Isolierkugeln». Die neue elektrische Traktion war aber auch mit diversen Kinderkrankheiten  behaftet, was nicht erstaunt. Ebenfalls das Wetter konnte einen Streich spielen. So war wegen starken Frosts im Dezember 1912 die elektrische Leitung unterbrochen, weshalb Dampflokomotiven aushelfen mussten. Abschliessend sei noch festgehalten, dass die EBT 1997 mit dem Regionalverkehr Mittelland (RM) fusionierte, der seinerseits 2006 in der BLS AG (Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn) aufging.


 «Gürbuschnägg»  

Nur drei Jahre nach der Eröffnung der BTB folgte 1902 die Inbetriebnahme der mit Dampflokomotiven betriebenen Gürbetalbahn (GTB), die den Ortschaften des Gürbetals schnelle Verbindungen zur Bundeshauptstadt und nach Thun ermöglichte. Die Linienführung war damals umstritten, denn eine Interessengruppe wollte die Gürbetalbahn in Wimmis und nicht in Thun enden lassen. Das Vorhaben indessen blieb ohne Erfolg. Die Züge, die damals gemütlich durch das Gürbetal dampften, erhielten bald einmal den Übernamen «Gürbuschnägg». Bisweilen spielte auch das Wetter einen Streich. So fror im Februar 1911 wegen extremen Frosts eine Lokomotive an den Schienen an, sodass ein anderes Triebfahrzeug zu Hilfe kommen musste.


«Dekretsmühle»

1920 erfolgte die Umstellung auf elektrische Traktion. Dies geschah aufgrund eines Dekrets der bernischen Regierung, das die Gürbetalbahn verpflichtete, auf elektrischen Betrieb umzustellen, um weniger auf ausländische Kohle angewiesen zu sein. Die neu beschafften Elektrolokomotiven wurden deshalb im Volksmund «Dekretsmühlen» genannt. Auch bei dieser Eisenbahngesellschaft wurden Fusionen durchgeführt: 1944 entstand aus der Gürbetalbahn und der Bern-Schwarzenburg-Bahn die Gürbetal-Bern-Schwarzenburg-Bahn (GBS), die ihrerseits 1997 in der BLS AG aufging.


Nostalgie: das gelbe Thuner Trämli  

Die neu eröffneten Linien der EBT Richtung Burgdorf und der GBS durch das Gürbetal schlossen diverse Agglomerationsgemeinden wie Steffisburg und Uetendorf nahe an die Stadt Thun an, was sich in steigenden Einwohnerzahlen, aber auch in der Zunahme des Berufspendelverkehrs manifestierte. Gleiches  gilt auch für die damalige Thuner Strassenbahn, die Rechtsufrige Thunerseebahn (STI) (Steffisburg–Thun–Interlaken). Viele damalige Gemeinden am rechten Thunerseeufer waren damals für den Personen- und Gütertransport zum Teil auf den Schiffsverkehr angewiesen. Am 10. Oktober 1913 erfolgte die Eröffnung von Steffisburg über Thun bis Oberhofen und 1914 dann bis Interlaken. Bis die Eröffnung festlich gefeiert werden konnte, war es indessen ein recht harziger Weg. Bereits 1900 wurde ein Konzessionsbegehren der Gemeinden beim eidgenössischen Eisenbahndepartement eingereicht, aber das Vorhaben blieb damals ohne Erfolg. Bereits 1939 wurde der Trambetrieb zwischen Beatenbucht und Interlaken eingestellt und durch Autobusbetrieb ersetzt, denn das Tram und der damals immer mehr aufkommende Autoverkehr erlaubten keine flüssige Verkehrsführung. 1952 wurde dann zwischen Thun und Beatenbucht die Strassenbahn durch einen Trolleybusbetrieb ersetzt und 1958 verschwand das letzte Teilstück des Thuner Trams zwischen Steffisburg und Thun. Heute verkehren auf dem gesamten Netz der STI Autobusse.


Waren die Eisenbahnverbindungen durch das Gürbetal und Richtung Burgdorf eigentliche Nebenlinien, folgte 1913 die Eröffnung einer Eisenbahnlinie, die nicht nur national, sondern auch international von sehr grosser Bedeutung war: Am 19. Juni 1913 fand die gross inszenierte Eröffnungsfeier der Berner Alpenbahngesellschaft Bern–Lötschberg–Simplon (BLS) statt, die 2006 zur BLS AG firmierte. Es war ein von der bernischen Eisenbahnpolitik lanciertes Projekt (der Kanton Bern besass die Aktienmehrheit), das Bern und die Schweiz an das europäische Schienennetz in Italien und Frankreich anband. Bereits 1879, und das mag erstaunen, wurde in einer Volksabstimmung über ein eidgenössisches Gesetz zur Subvention von  Alpeneisenbahnen abgestimmt, das damals im Amt Thun deutlich angenommen wurde. Die BLS AG ist ein innovatives Unternehmen: Von 1976 bis 1992 erfolgte der Ausbau der BLS-Strecke auf Doppelspur und 2007 wurde die Eröffnung des Lötschbergbasistunnels gefeiert. Abschliessend sei noch festgehalten: Am Thunersee finden sich neben Thun noch zwei weitere wichtige Eisenbahnknotenpunkte: Spiez mit den Strecken nach Interlaken, durch den Lötschbergtunnel und ins Simmental. Dann auch Interlaken mit den Verbindungen der Zentralbahn über den Brünig und mit Bahnstrecken in die Jungfrauregion.