Ein Dichter in Thun: August Graf von Platen
Ein Dichter in Thun: August Graf von Platen
Im Jahr 1923, vor genau 100 Jahren, wurde der neue Zentralbahnhof Thun eingeweiht, was zur Aufhebung der Bahnhöfe Thun-Stadt (heutiger Güterbahnhof) und Thun-See (Scherzligen) führte.
Text: Dr. Jon Keller, Historiker | Fotos: Stadtarchiv Thun, zvg
August Graf von Platen Hallermund wurde am 24. Oktober 1796 in Ansbach (Deutschland) geboren und verstarb in Syrakus in Italien am 5. Dezember 1835. Platen gilt als einer der wichtigsten Lyriker der deutschen Romantik, stark geprägt allerdings auch durch die deutsche Klassik. In seinem dichterischen Werk (Sonette, Oden, Ghasele) suchte Platen Vollkommenheit in Form und Gestalt, wie sie der deutschen Klassik eigen ist, fernab von jeglicher Formauflösung. Daneben verfasste Platen auch politische Lieder, Balladen und Romanzen. Ab 1826 bis zu seinem Tod war Platen sesshaft in Italien.
«Die Gegend von Thun ist wahrhaft paradiesisch»
Auf seiner ersten Schweizreise erreichte Platen im Juli 1816 die Stadt Thun auf dem Seeweg über den Brienzersee und den Thunersee, wobei die Schifffahrt über den Brienzersee nicht nach seinem Gusto ausfiel. In seinem Tagebuch schrieb er nämlich: «Die schlimme Schifffahrt auf dem Brienzersee war ein kleines Opfer für die Reihe schöner Tage, die darauffolgte.» Platens Schilderung des damals noch kleinen Thun war des Lobes voll: «Die Nacht war fast herunter, als wir aus dem See in die Aare fuhren, um in Thun zu landen. Über alles lockend und üppig schlingen sich die Spaziergänge der Stadt am Fluss und am See hin; die Aare bildet zwei liebliche Inseln. Wir wohnten zu Thun im ‹Freihof›, dem ersten Gasthause, das, wie jenes in Interlaken, der Regierung der Republik Bern gehört. Es ist in der schönsten Lage. Den anderen Morgen erstiegen wir den Gottesacker, der auf einer Anhöhe liegt, von der sich die herrlichste Umsicht darbietet. Die Gegend von Thun ist wahrhaft paradiesisch, und erweckt einst jene Toten die grosse Posaune zum Gericht, so werden sie sich alle im Himmel wähnen, wenn sie um sich sehen. Man führte uns auf das alte Schloss, wo sich die Aussicht noch weiter hinstreckt. Es dient zur Aufbewahrung der Gefangenen, deren Kerker man uns zeigte. Nahe daran ist das schöne Haus des Oberamtsmanns, von Gärten, womit alle Terrassen bepflanzt sind, umgeben. Thun ist eine freundliche Stadt. [...] Das Klima ist mild, es gibt viele Weinberge in der Umgegend, und wir fühlten, dass wir aus der rauen, felsigen Schweiz wieder in die flachere traten.»
Zweite Schweizreise anno 1825: «acht herrliche Tage» und Gämsjagd auf dem Niesen
Im September und Oktober 1825 reiste Platen zum zweiten und letzten Mal in die Schweiz. Er besuchte diverse Ortschaften und weilte Anfang Oktober in Thierachern auf dem Landgut Mülimatt, das damals Familie Stürler gehörte. Nach seinem Abschied von der Mülimatt schrieb Platen am 9. Oktober 1825 in sein Tagebuch: «Heute morgens schied ich von der Mülimatt, einem Landhause von Thierachern bei Thun, wo ich acht herrliche Tage verlebt habe, in einem grünen, breiten, von einem lieblichen Bach durchschnittenen Tale; vor meinem Fenster Thun mit seinen Türmen, zur Rechten das Schreckhorn, die beiden Eiger, die Jungfrau mit ihrem Silberhorn, weiterhin die Blümlisalp und mehr im Vordergrunde der Niesen, an welchen sich die herrliche Bergreihe des Stockhorns anschliesst. Dieser schöne Rahmen umfasste die schönsten Bilder. Ich fand hier weder Pracht noch Luxus wie in Montchoisi, aber das wahre Gefühl des Landlebens und eine freundliche Wohnung, deren offene Galerien mit Blumentöpfen verziert waren, umgeben von Gärten und lieblichen Hügeln, von denen man die Aussicht auf den See hat. Doch würde dies alles ohne die Herzlichkeit der Bewohner wenig Wert gehabt haben. Doch ward ich nicht nur von der Oberstin Weiss, der Freundin meiner Mutter, und ihren Töchtern, als auch von ihrem Schwager, dem Ratsherrn Stürler, dem das Gut eigentlich gehört, und dessen Söhnen auf das zuvorkommendste, wiewohl einfachste aufgenommen. Ich befand mich im Kreise einer vorzüglichen und wahrhaft glücklichen Familie, die ich nie vergessen werde. Wiewohl die französische Sprache in den vornehmen Berner Familien die herrschende ist, so war man doch nicht unbekannt mit der deutschen Literatur, ja sehr dafür eingenommen. [...] Ich wurde öfters des Abends gebeten, von meinen Sachen vorzulesen. Ich las mehreres aus den ‹Venetianischen Sonetten›, aus den ‹Neuen Ghaselen›, ich las ‹Treue um Treue›, das grossen Beifall fand. Da man mehrere Tage hintereinander sehr unglücklich auf der Jagd war und eben Regen einfiel, als man auf dem Niesen eine Gemsjagd veranstalten wollte, so wurde ich im Scherz gebeten, eine Ode an Diana zu dichten und sie um ihren Beistand anzuflehen. So entstand ein Gedicht, dessen Strophenbau vielleicht kunstvoll genannt werden darf, das an Ort und Stelle den grössten Eindruck machte und das mir teuer ist, da ich zugleich alles darin niederlegte, was mir jenen Aufenthalt so wert gemacht, an dem es entstand.»
Beat Künzi, im Juli wird für Sie ein Kindheitstraum wahr. Sie spielen im Musical-Klassiker CATS mit, der vom 12. Juli bis 24. August auf der Thuner Seebühne aufgeführt wird. Warum ist CATS ein Kindheitstraum?
Ganz einfach: CATS war eines der allerersten Musicals, die ich als Jugendlicher gesehen habe. Ich kannte ja bereits die Musik – insbesondere der Hit «Memory», den die alte Katze Grizabella singt, begleitete mich viele Jahre. Nun selbst in diesem für mich so prägenden Musical auf der Bühne stehen zu dürfen, ist toll! Als Laie in einer professionellen Produktion mitwirken zu dürfen, macht mich sehr stolz. Die Bühne – und insbesondere die Thuner Seebühne – bringt eine riesige Faszination mit sich. Das Gefühl, vor einem so grossen Publikum im Rampenlicht zu stehen, ist einmalig. Und macht süchtig (lacht).
Welche Rolle spielen Sie in CATS?
Ich bin als Chormitglied Teil des Ensembles. Welchen Charakter meine Katze haben wird, wird sich bei den Proben herausstellen. Ich bin sicher, dass sich unsere Regisseurin und Choreografin Kim Duddy etwas Tolles ausgedacht hat.
«Dass ich heute morgen das schöne Thierachern nicht mit leichtem Herzen verliess, lässt sich denken.»
«An die Diana des Niesen»
O Göttin, die du stets geleitest
Des Jägers Gang durch Feld und Wiesen,
Und gern das Hochgebirg beschreitest,
Die Blümlisalp und unsern Niesen,
Und Allen stets dich hold erwiesen,
Die dir, des Städtelebens satt,
Auf wald’ger Berge Rücken huldigen:
Was zürnst du deinen ungeduldigen
Verehrern auf der Mülimatt?
Die Bewohner der Mülimatt werden sich über dieses Gedicht gefreut haben, wohl wissend, dass es sich um eine Freundesgabe humoris causa und nicht um ein Meisterwerk des Dichters handelte. In seinem Tagebuch vom 9. Oktober 1825 fuhr Platen mit folgenden Eintragungen fort: «Dass ich heute morgen das schöne Thierachern nicht mit leichtem Herzen verliess, lässt sich denken. [...] Ich schiffte mich ein in Thun, und meine Blicke waren noch lange nach dem Kegel des Stockhorns und der Pyramidenspitze des Niesen gerichtet.» Während der Heimreise wurde Platen von «Heimweh nach der Mülimatt» ergriffen, sich gerne erinnernd an die schönen Tage in Thierachern, aber auch an attraktive Ausflüge, etwa an den See von Amsoldingen oder zur Besitzung Chartreuse in Hilterfingen, die damals dem Schultheissen und Historiker Niklaus Friedrich von Mülinen gehörte.
Des Lobes voll: «unsägliche Naturschönheiten»
Abschliessend sei noch eine allgemeine, sehr positive Einschätzung der Naturschönheiten in der Schweiz angeführt, gemäss einer Notiz im Tagebuch von Platen vom 22. Juni 1816: «Die Schweiz ist teils ihrer unsäglichen Naturschönheiten von jeder Art, teils ihrer Verfassung und Geschichte und teils ihrer verschiedenstämmigen Bewohner wegen, ein äusserst merkwürdiges Land.»