Markus Luginbühl
Markus Luginbühl
«Gut zu wissen, dass man dazu beitragen konnte, Leben zu retten.»
Als Rheinschiff-Kapitän, Berufsfeuerwehrmann und Kapitän der Basler Feuerlöschboote rettete er Leben: Markus Luginbühl, heute Hafenmeister des Yacht-Clubs Spiez.
An Zeiten militärischer Bedrohung im Zweiten Weltkrieg erinnert der Reduitweg im Spiezer Weidliquartier. Hier stehen auch die vier «Adjudanten-Häuser» – Einfamilienhäuser aus den 1960er-Jahren – am Hang zwischen dem Westrand des Spiezbergwaldes und dem Wasserkraftwerk am See. In einem dieser Adjudanten-Häuser wuchs der heutige Yacht-Club-Hafenmeister Markus Luginbühl auf. Sein Vater war tatsächlich Adjudant auf dem Waffenplatz Thun. Fern von Spiez übte Markus ungewöhnliche Jobs aus: Rheinschiff-Kapitän, Berufsfeuerwehrmann in Bern und Kapitän der zwei Basler Feuerlöschboote. Erst seit seiner Pensionierung 2018 wohnt er wieder in Spiez, im kürzlich renovierten Elternhaus. In einem separaten Logis wohnen seine Eltern, beide 92-jährig. Markus Luginbühl – sportlich-hager, leicht ergraut, mit Dreitagebart und neugierigem Blick – führt mich in den blitzblanken Wohnraum mit Kochinsel, Sitzgruppe und einem Riesenfenster, durch das See und Berge wie ein Gemälde wirken. Ein Ölbild an der Wand zeigt einen Leuchtturm inmitten mächtiger Gischtfahnen. Markus Luginbühl beantwortet meine Fragen detailreich und äusserst unterhaltsam.
Markus Luginbühl, du gingst mitten aus einem abenteuerlichen Berufsleben, in dem es oft um Leben und Tod ging, in Pension. Fiel dir nach all der «Action» die plötzliche Ruhe nicht schwer?
Nein, das ist einfach mein dritter Lebensabschnitt nach der Kindheit und der Berufszeit. Mein Blick geht in die Zukunft. Natürlich schaue ich auch gerne in die Vergangenheit, es waren schöne Zeiten. Aber ich ging auch deshalb bereits mit 60 in Pension, weil ich zuletzt als Kapitän der beiden Basler Feuerlöschboote meinen Aufgabenbereich nicht wie gewünscht auf die Schifffahrt reduzieren konnte. Meine Partnerin liess sich ebenfalls mit 60 pensionieren. Wir wollen es geniessen, so lange wir sportlich und gesundheitlich auf der Höhe sind.
«Damals lud man nicht sofort aus und fuhr wieder weg, wie heute mit den Containern. Man blieb eine Woche im Hafen – das waren richtige Abenteuer!»
Als Hafenmeister des Yacht-Clubs Spiez hast du aber einen grossen Job übernommen.
Das stimmt. Der Yacht-Club beschäftigt mich sehr, vor allem von März bis Oktober. Als «Mädchen für alles» unterhalte ich die ganze Infrastruktur, die von der Gemeinde gemietet ist, auch das Gebäude. Ich bediene den Kran, besorge das Ein- und Auswassern der Boote, schaue zu den Bootsplätzen, zum clubeigenen Segelschiff und den drei Motorbooten, die wir für die Regatten brauchen, kümmere mich ums Material. Übrigens ehrenamtlich. Ich will ja nicht dazuverdienen.
Du bist hier aufgewachsen, besuchtest jedoch unmittelbar nach der obligatorischen Schulzeit die Schifffahrtsschule in Basel. Ein ungewöhnlicher Werdegang!
Wenn du hier rausschaust, siehst du den See. Als Kind und in der Jugend war für mich alles irgendwie mit dem Wasser verbunden. Mein Zwillingsbruder und ich fuhren Kanu, wir gehörten zu den ersten Surfern, wir gingen fischen. Auch der Wald da drüben zog mich an, ich kletterte in den Baumkronen herum. Ich wollte nicht unbedingt weg. Doch dann sah ich ein Inserat, dass man bei der Rheinschifffahrt eine Schnupperlehre machen könnte. Ich meldete mich und konnte auf einem kleinen, alten Schiff mitfahren. Das faszinierte mich sofort!
Inwiefern denn?
Da erlebst du eine ungeahnte Freiheit – du fährst den Rhein hinunter bis Antwerpen, siehst die Natur und arbeitest dabei. Damals lud man nicht sofort aus und fuhr wieder weg, wie heute mit den Containern. Man blieb eine Woche im Hafen – das waren richtige Abenteuer! Als es hiess, ich könnte im Oktober 1974 gerade mit der Schifffahrtsschule anfangen, meldete ich mich.
Du machtest also eine Lehre als Matrose?
Ja, während 17 Wochen lernte ich auf einem Schulschiff auf dem Rhein nebst dem Schiffstechnischen die verschiedensten Dinge: Elektriker, Mechaniker, Koch, Schreiner – du musst alles selber machen. Man sagt dem Stift der «Schmelzer». Es gibt wohl keinen Beruf, wo du so schnell aus dem Nichts heraus selbständig wirst und hinausgehst in die Welt, etwas siehst und erlebst!
Und wie ging es weiter nach der Matrosenlehre?
Ich machte weitere Patente, auch das Grosse Rheinpatent. Damit durfte ich als Schiffsführer bis zum Meer fahren. Neun Jahre lang wohnte und arbeitete ich meist auf einem Öltankschiff auf dem Rhein, die letzten zwei Jahre als zweiter Kapitän. Als ich jedoch meine erste Frau, kennen lernte, beschlossen wir, eine Familie zu gründen. Was kaum mit der Schifffahrt vereinbar ist, sobald ein Kind schulpflichtig wird.
Ein schwieriger Entscheid ...
Ich wollte einfach etwas Sinnvolles tun, andern Gutes tun. Da las ich ein Inserat der Berufsfeuerwehr Bern und beschloss, mich zu bewerben. Ich wurde angestellt, zog 1983 nach Bern. Ich absolvierte die Feuerwehrschule und war 18 Jahre lang bei der Berufsfeuerwehr Bern. Unsere Tochter Stefanie kam 1987 zur Welt.
An Spannung dürfte es nicht gefehlt haben bei der Berufsfeuerwehr. Menschen das Leben zu retten, ist wohl Alltag.
Bei der Berufsfeuerwehr gehörte das dazu. Es ist gut zu wissen, dass man – meist im Team – dazu beitragen konnte, Leben zu retten. (Blättert in einem dicken Ordner mit ausgeschnittenen Zeitungsartikeln und zahlreichen Schlagzeilen zu Bränden und Verkehrsunfällen.) Geblieben ist mir etwa, als wir bei einem Autobahnunfall eine junge Frau retten konnten. Damals gab es noch diese Drahtseile entlang der Mittelstreifen. Die Frau war mit ihrem Auto unter ein solches Drahtseil gerutscht und hatte es genau vor dem Hals. Es würgte sie, und ich wusste, dass ich entscheiden musste, und zwar rasch. Ich musste die Fixation ihres Sitzes genau richtig durchtrennen, damit sie vom Seil weg kam. Diesen Schnitt führte ich zum Glück richtig aus. Der Sitz löste sich, wir konnten sie rausnehmen, und sie lief fast unverletzt weg. Da wusste ich, dass ich ihr das Leben gerettet hatte!
Du hast sicher auch viele Brände erlebt …
Ja, aber bei Bränden kommen zum Glück relativ wenig Menschen zu Schaden. Es kommt auch eher selten vor, dass Leute in Gebäuden ersticken. Rauch ist immer die grössere Gefahr als Feuer. Im Lift kann es besonders gefährlich sein, wenn der Lift blockiert ist und man nicht dazu kommt. Einmal kam ein alter Mann in einem Altersheim ums Leben, er hatte im Bett im hintersten Zimmer geraucht und den Brand verursacht. Wir erreichten ihn leider nicht mehr.
Konntest du in solchen Situationen ruhig bleiben?
In meiner Feuerwehrklasse waren wir zu acht, und nur zwei von uns konnten mit belastenden Situationen gut umgehen, ich war einer der beiden. Ob es nun um einen Menschen ging, der sehr schwer verletzt war, verkohlt durch Sprengstoff oder sonst entstellt: Ich schaute einen solchen Menschen nie an und machte mir dabei nicht zu sehr Gedanken. Bei Rettungen konzentrierte ich mich auf die Arbeit. Andere schauten hin, gerieten ins Studieren, waren blockiert. Da schickt man diejenigen Leute nach vorne, denen es nichts ausmacht. Früher gab es ja keine psychologische Unterstützung, kein Careteam. Aber ich hätte es nie gebraucht. Ich konnte auch zu Hause sofort abstellen.
Du warst auch Ausbildner für Unfallrettung. Instruierst du gerne?
Ja, vor allem in praktischen Belangen, weniger über die Theorie. Der Feuerwehrberuf ist praktisch orientiert, wie die Schifffahrt. Erfahrungen gab ich gerne weiter. Auch das, was ich in Weiterbildungskursen lernte. Damit wir alle besser wurden. Andere lernten, um besser zu sein als die andern. Aber das war nie mein Ding.
Auf der Homepage der Berufsfeuerwehr Bern liest man, dass sie auch mit der Rega zusammenarbeitet.
Ich war damals Mitinitiant dieser Kooperation. Vier von uns machten Höhenrettungen auf Brücken und an Gebäuden. Da dachten wir, wir könnten doch auch mit der Rega-Basis in Bern zusammenarbeiten. Der legendäre Pilot und Basisleiter Ueli Soltermann bot an, uns vier zu Rettungsflughelfern auszubilden und bei Einsätzen jeweils einen von uns mitzunehmen. Bei Bedarf landete er sogar im engen Innenhof der Berufsfeuerwehr beim Viktoriaplatz. Insgesamt viermal flog ich echte Einsätze mit, dreimal zu Gleitschirmunfällen. Damals flog ich selbst mit dem Gleitschirm.
«Bei Rettungen konzentrierte ich mich auf die Arbeit. Andere schauten hin, gerieten ins Studieren, waren blockiert.»
Nach 18 Jahren bei der Berufsfeuerwehr Bern kehrtest du an den Rhein zurück – 2001 wurdest du Kapitän der beiden Feuerlöschboote von Basel-Stadt und Baselland. Ein Traumjob auf schnittigen rot-weissen Booten!
Schlussendlich war es das schon, ja – und eine Abrundung all meiner vorherigen Tätigkeiten. Einerseits war ich ja Schiffsführer, also Kapitän, andererseits Vollprofi bei der Feuerwehr, der dort alle Funktionen erlebt hatte. Neu dazu kamen nun Wasserrettungen. Ich pendelte per Zug von Bern aus. Die Schicht dauerte jeweils 24 Stunden, ich übernachtete auf der Wache. Menschenleben zu retten, gehörte nun wieder dazu, nur eben im Wasser.
Hätte dich eigentlich die Thunersee-Schifffahrt nicht gereizt?
Als Jugendlicher überlegte ich mir das gar nicht, ohne besonderen Grund. Später, 2013, wurde für mich das Spiezerli wichtig. Es musste meiner Meinung nach wieder aktiviert werden. Als Spiezer liegt mir die Schifffahrt schon am Herzen. Deshalb nahm ich damals zwei Wochen Ferien und half beim Aushäuten des alten Schiffs. Damals hatte die BLS grosses Interesse, dass ich das Spiezerli später im Charterbetrieb fahren würde. Aber das Projekt verzögerte sich mehrmals. Später kam eine neue Leitung der BLS-Schifffahrt, die eigene Leute ausbilden wollte. Da war für mich klar, dass es nichts würde. Schade!
Nochmals zu deinem heutigen Leben. Was machst du, wenn du ganz frei hast?
Da stehen für mich Segeln und Ausdauersport im Vordergrund: velofahren, wandern, laufen. Ich lief früher auch Marathons, auf der Chinesischen Mauer, in der Wüste in Oman, in New York. Ich habe ein Segelboot, einen First 7,5, ein sportliches Schiff, siebeneinhalb Meter lang. Ich schaue raus, ob Wind ist, und wenn ja, gehen wir zwei, drei Stunden segeln. Wir gehen aber auch oft mit dem Rennvelo. Kürzlich schafften wir uns Elektro-Rennvelos an. Da kann man sportlich fahren, mit und ohne Strom. Wir nehmen die ganzen «Höger» im Alter etwas gemütlicher.
Unsere erste Standardfrage: Was gefällt dir besonders an Spiez?
Sicher der Hafen, die Bucht und das Schloss – das Feeling dort unten ist einmalig. Wie in den Ferien an der Riviera. Stefan Seger vom Spiez Marketing und sein Team haben eine wahnsinnig gute Sache aufgebaut. Früher wurde viel weniger gemacht für den Tourismus. Auch wie sich der Werkhof Mühe gibt, die Kreisel schön bepflanzt – toll!
Und die zweite: Was würdest du ändern in Spiez, wenn du wünschen dürftest?
Mein Wunsch hängt mit meiner Kindheit zusammen: Wie der Wald war uns Kindern auch der Katzenstein wichtig, dieser schöne Findling oberhalb des Walerains, der so offen da lag. Heute ist er total eingewachsen. Ich würde am liebsten die Motorsäge nehmen und alle Sträucher ringsum wegschneiden. Das ist ein Schandfleck, der Katzenstein sollte frei sein!
«Tarzan von Spiez», Kapitän, Feuerwehrmann und Hafenmeister
Als Rheinschiff-Kapitän, Berufsfeuerwehrmann und Kapitän der beiden Basler Feuerlöschboote verbrachte Markus Luginbühl sein Leben meist fern von Spiez. 2018, als er mit 60 in Pension ging, zog er zurück ins Elternhaus nach Spiez, wo er aufgewachsen war. Seit 2017 ist er Hafenmeister des Yacht-Clubs Spiez. Unter anderem ist er verantwortlich für das Gebäude, das Ein- und Auswassern mit dem Kran, die drei clubeigenen Motorboote und das Segelschiff. Er sitzt auch im Bootsplatzausschuss der Gemeinde. Markus Luginbühl wuchs mit seinem eineiigen Zwillingsbruder und seiner älteren Schwester am Reduitweg im Weidliquartier auf. Sein Vater war Berufsoffizier auf dem Waffenplatz Thun, zunächst bei den Panzertruppen, später als Leiter des sozialmedizinischen Dienstes. Markus Luginbühl war oft mit seinem Bruder im See oder im Wald, den er, «Tarzan von Spiez» genannt, sogar durch die Baumkronen hindurch querte. Nach der Primarschule im Spiezmoos-Schulhaus besuchte er die Schifffahrtsschule SRN in Basel und schloss 1977 als Matrose ab. 1980 erwarb er das «Grosse Rheinpatent», das ihn als Kapitän auf dem ganzen Rhein qualifizierte. Als er 1979 seine erste Frau kennen lernte und eine Familie gründen wollte, verliess er die Schifffahrt und wechselte zur Berufsfeuerwehr Bern, wo er 18 Jahre lang unter anderem für das Material zuständig war. Auch war er Ausbildner für Ölwehr, Rettung und Brandbekämpfung sowie Rettungsflughelfer bei der Rega. 1987 kam seine Tochter Stefanie zur Welt. 1993 liessen sich Markus und seine Frau scheiden. Von 2001 bis zur Pensionierung 2018 war Markus Luginbühl Kapitän der Feuerlöschboote Basel-Stadt und Baselland. Seit 2002 lebt er mit seiner neuen Lebenspartnerin zusammen. In der Freizeit sind sie sportlich unterwegs – wandernd, per Rennvelo, auf Schneeschuhen. Immer wieder gehen sie auf Reisen, Ende August etwa besuchten sie Markus’ Tochter, die in Namibia in einem Elefantenprojekt arbeitet.