«Ich möchte Arbeitsplätze für Frauen schaffen.»

«Ich möchte Arbeitsplätze für Frauen schaffen.»

«Ich möchte Arbeitsplätze für Frauen schaffen.»

Eigentlich müsste man ihr eine Auszeichnung verleihen. Gewiss, nicht gerade den Friedens-Nobelpreis, aber eine Anerkennung für ihr Engagement in Usbekistan. Wir haben uns mit Marlene Hofer aus Steffisburg unterhalten, einer ganz und gar ungewöhnlichen jungen Frau.

Text: Thomas Bornhauser  |  Fotos: zvg

Vor einigen Monaten gab es im Schloss Thun einen Talk mit Peter Gysling, dem ehemaligen SRF1-Moskau-Korrespondenten. Er berichtete über sein Buch, über «Andere Welten», nicht nur in Bezug auf Russland, beziehungsweise die Sowjetunion, sondern über seine Reisen durch viele Länder. Unter den Zuhörenden fiel eine junge, charmante Frau auf, die nicht so recht ins eher ältere Publikum (den Schreibenden mit inbegriffen …) zu passen schien – Marlene Hofer. Wir wollten noch an Ort und Stelle wissen, weshalb sie der Talk mit dem bekannten Journalisten interessierte. Und bekamen eine Geschichte abseits von Profit und Rendite zu hören. Sie spielt in Usbekistan.


Faszination Seidenstrasse 

Es dauert nicht lange, bis wir im Gespräch zur Mutter aller Fragen kommen: Weshalb gerade Usbekistan? Die 29-Jährige lacht: «Die typische Frage. Keine höre ich öfter. Schon als kleines Mädchen war ich von der Geschichte der Seidenstrasse fasziniert.» So setzte sie sich in den Kopf, einmal eine Wegstrecke von Marco Polo selber kennenzulernen. 


Der Zufall klopfte bei ihr an, als die MDR einen Dokumentarfilm aus der Reihe «Ostwärts» von Julia Finkernagel über Usbekistan ausstrahlt. Dort erfährt Marlene Hofer, dass ein Usbeke – Oybek Ostanov, der nach Aufenthalten in England und Deutschland gut Englisch und perfekt Deutsch spricht – ein Reisebüro in Samarkand für ausländische Touristen führt. «Was gisch, was hesch» beginnt die Berner Oberländerin zu googeln. Kurz darauf kommuniziert sie mit Oybek Ostanov über einen möglichen Aufenthalt im Land, das über weite Teile noch an 1001 Nacht erinnert. Resultat dieser Kontakte: Im Sommer 2017 reist Marlene Hofer nach Samarkand, eine Stadt in Usbekistan, bekannt für ihre Moscheen und Mausoleen. Sie liegt an der Seidenstrasse, der antiken Handelsroute, die China mit dem Mittelmeer verband.

Engagiert für Usbekinnen 

Bei Discover Oriental Central Asia Tours (kurz DOCA Tours) von Oybek Ostanov absolviert Marlene Hofer ein unbezahltes Praktikum und geniesst dafür Kost und Logis bei der Familie. Während ihres Aufenthaltes reist sie als Begleiterin mit Gruppen von DOCA Tours herum, übersetzt im Büro Texte und hilft mit, Werbematerial nach europäischem Geschmack zu gestalten. Wie kommt es, dass sie heute Handarbeiten von Usbekinnen in der Schweiz anbietet? «Ich habe während meines Aufenthaltes, wie es halt so ist, das eine oder andere gekauft, das mir selber gefallen hat. Meine mitgebrachten Souvenirs fanden auch bei meiner Familie und meinen Freunden grossen Anklang.» Eines ist sie sich zu jener Zeit bewusst: dass sie nämlich nicht das letzte Mal in Usbekistan zu Gast war. 

Nach einem kurzen Schweizer Gastspiel reist die junge Frau im Herbst 2018 für einige Monate nach Samarkand, arbeitete wieder bei DOCA Tours, unter anderem um die Social-­Media-Kanäle aufzubauen und intensiviert ihre Bemühungen, Usbekisch zu lernen. «Ich wollte unbedingt einfachere Gespräche direkt mit den Einheimischen führen.» Mit der Nichte ihres Gastgebers schaut sie Kinder-TV und lernt so Tag für Tag hinzu.

Nachdem sie 2019 – zusammen mit einem Mitarbeiter – in Hamburg und in Dresden an Reisemessen die Standbetreuung für DOCA Tours übernommen hat, reist Marlene Hofer im Frühjahr wieder ostwärts. Jetzt geht es ihr auch darum, in Bezug auf Handarbeiten Nägel mit Köpfen zu machen. Sie möchte einen kleinen Handel aufziehen, damit einheimische Frauen ihre geknüpften Teppiche, ihre Webereien oder Seidenstickereien auch in der Schweiz verkaufen können. Was man wissen muss: Im faszinierenden Schmelztiegel von verschiedenen Kulturen, Religionen und Geschichte werden vielerorts – vor allem auf dem Land – sehr konservative Werte gelebt, die nicht unbedingt ins Weltbild des Westens passen. Will heissen: Man sieht es nicht gerne, wenn Frauen arbeiten, schon gar nicht ausser Haus. Dabei wäre jede helfende Hand gefragt.


 Eine Kämpferin 

«Ich versuche nun, einzelne Frauen zusammenzubringen, damit sie unter sich traditionelle Handarbeiten herstellen können, die ich für sie verkaufen möchte.» Ideal wäre dazu eine kleine Werkstatt. Das wiederum erfordert Geld, das die Oberländerin zusammenbringen will. Anders gesagt: Marlene Hofer möchte Arbeitsplätze schaffen. «Ja», stimmt sie zu, «nur … damit das funktioniert, bin ich aber auch in der Schweiz gefordert.» Wie ist das zu verstehen? 

Zum einen ist sie hier, um Geld für ihr Projekt zu verdienen, auch um nach Sponsoren zu suchen. Keine einfache Sache. Als wir uns unterhalten, sind die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie gewaltig: Marlene Hofer arbeitet in einem Berner Verlag, der auf Tourismus spezialisiert ist, erhält aber noch in der Probezeit die Kündigung, weil die Agentur keine Aufträge mehr erhält. Nicht viel besser ergeht es ihr in einem lokalen Restaurant, das wegen des Lockdowns über viele Wochen geschlossen bleibt. Sie gibt aber nicht auf, «irgendetwas werde ich schon finden, um Geld zu verdienen, damit ich den Frauen helfen kann.»


Events für ein grösseres Publikum 

Zum anderen ist sie sich bewusst, dass es nicht mehr reicht, schöne Handarbeiten auf einem Herbst- oder Weihnachtsmärit zu zeigen. «Ich werde versuchen, Events durchzuführen, um so ein grösseres Publikum auf das Land und die Produkte aufmerksam zu machen.» Merke: Sie spricht nicht von sich als Vermittlerin, sondern von den Arbeiten, die es zu verkaufen gilt. Nicht das Geld an sich steht dabei im Vordergrund, sondern dass sie damit ihr Projekt finanzieren kann.

In welche Richtung sollen die Events denn gehen? «Ein grosser Bazar wäre toll, mit einigen Attraktionen, die Usbekistan zu bieten hat.» Sie denkt an eine Zusammenarbeit mit Leuten, die das Land bestens kennen und Vorträge halten. Oder mit Tänzerinnen und Musikern, um die Kultur vorzustellen. Und wie will Marlene Hofer als Einzelkämpferin dies alles realisieren? «Wissen Sie, Leute, die sich für Usbekistan interessieren, kennen sich gegenseitig, vor allem aus dem deutschsprachigen Raum. Zusammen mit ihnen kann ich das schaffen.» Wer sie kennt, wird keinen Moment daran zweifeln.

«Irgendetwas werde ich schon finden, um Geld zu verdienen, damit ich den Frauen helfen kann.»

Marlene Hofer

Marlene Hofer ist in Wolhusen/LU geboren. Als sie fünf Monaten alt ist, zügelt die Familie nach Thun, anschliessend nach Steffisburg, wo sie ihre Schulzeit verbringt. 2013 schliesst sie die Handelsmittelschule Schadau inklusive Praktikum und Berufsmatura ab, arbeitet ein Jahr bei den SBB im Immobilienbereich, weil sie vor dem Studium etwas Geld verdienen möchte. Es folgen drei Jahre Tourismus-Studium an der Fachhochschule in Sierre («Mit wenigen Ausnahmen habe ich zwischen Steffisburg und Siders gependelt»). Zur Ausbildung gehört auch ein mindestens dreimonatiges Praktikum, das sie in Usbekistan absolvieren will, welches damals jedoch nicht anerkannt wird. Kein Grund für Marlene Hofer, es nicht trotzdem zu tun – und nochmals ein dreimonatiges, dieses Mal anerkanntes Praktikum in der Schweiz nachzuholen. Dies absolvierte sie beim Zentralasien-Reisespezialisten Kalpak Travel. Seither bestimmt Usbekistan ihr Leben, dennoch hat sie noch andere Interessen, namentlich reisen, kochen und backen, lesen und mit Freunden etwas unternehmen.

Marlene Hofer betreut einen eigenen Usbekistan-Blog, zu finden unter 

www.sariq-qiz.com 

Wer bei ihr Handwerkliches aus Usbekistan beziehen will, findet schöne Stücke in ihrem Shop, der auf dem Blog verlinkt ist. 

E-Mail: info.sariqqiz@gmail.com
Telefon: 079 256 03 10.

Im Herbst/Winter finden Sie Marlene Hofer auf folgenden Märkten: Im Bälliz in Thun am Samstag 19. September, 17. Oktober und 12. Dezember 2020. Auf dem Schlossberg Thun findet am 5. Dezember 2020 ein Usbekischer Basar von 14.00 bis 19.00 Uhr statt.

Übrigens: «Sariq qiz» ist usbekisch. «Sariq» bedeutet gelb und «qiz» bedeutet Mädchen. «Sariq qiz» bedeutet also gelbes, respektive blondes Mädchen. Marlene Hofer wollte unbedingt einen Namen in usbekischer Sprache, welcher aber etwas mit ihr selbst zu tun hat. «Irgendwann hatte ich dann spontan die Idee, meinen Blog ‹sariq qiz› zu nennen.»

Sie möchte einen kleinen Handel aufziehen, damit einheimische Frauen ihre geknüpften Teppiche, ihre Webereien oder Seidensticke- reien auch in der Schweiz verkaufen können.

Gut zu wissen


Usbekistan
Hauptstadt: Taschkent
Staatsform: Republik
Regierungssystem: Präsidialsystem
Präsident: Shavkat Mirziyoyev
Amtssprache: Usbekisch
Fläche: 448978 km2
Klima: kontinental (kalte Winter, heisse Sommer)
Einwohnerzahl: ca. 32 Millionen
Unabhängigkeit: 1. September 1991
Währung: S'om (UZS)

Usbekistan ist ein doppelter Binnenstaat (Usbekistan und Liechtenstein sind die einzigen doppelten Binnenstaaten der Welt!) in Zentralasien. Im Westen und Norden grenzt es an Kasachstan, im Osten an Kirgisistan und Tadschikistan sowie im Süden an Afghanistan und Turkmenistan.

Die Hauptstadt sowie grösste Stadt, mit mehr als zwei Millionen Einwohnern, ist Taschkent. Die Stadt ist wirtschaftliches und kulturelles Zentrum. Zudem ist die «Stadt der Steine» (tosh-Stein und kent-Stadt) der internationale Knotenpunkt. 

Der Flughafen in Taschkent ist der grösste Flughafen des Landes. Direktverbindungen gibt es ab Frankfurt, Mailand, Paris und London. Tägliche Verbindungen gibt es via Moskau oder Istanbul (Aeroflot und Turkish Airlines bieten auch Direktflüge nach Samarkand). 

Grosse Teile der Stadt wurden im Jahr 1966 durch ein Erdbeben zerstört, weshalb die Architektur der Stadt stark sowjetisch geprägt ist: breite Boulevards, imposante Regierungsgebäude und grosse Parks.

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