Waldbaden: Natur tut gut

Waldbaden: Natur tut gut

Waldbaden: Natur tut gut

Herzhafter Harzgeruch, liebliches Bachgeplätscher und fröhliches Vogelgezwitscher – ein achtsamer Spaziergang durch den Wald ist entspannend. Doch was bedeutet «Waldbaden» eigentlich genau und wo kann man in der Thunerseeregion am besten in grünes Dickicht eintauchen?

Text: Esther Loosli  |  Fotos: Robert Gallmann, zvg

Während die westliche Gesellschaft oft im Widerstreit mit der Natur zu sein scheint, sind die Menschen in Japan traditionell eng mit ihr verbunden. Sie fühlen sich der Natur nicht übergeordnet, sondern ihr gleichgestellt. Diese Empfindung ist tief im Zen-Buddhismus und in der japanischen Kultur im Allgemeinen verwurzelt. Beispielsweise verehren Japa- ner:innen alte Bäume als Kraftorte, errichten ihnen Schreine oder schützen Wälder von besonderer Schönheit in Nationalparks. Es überrascht daher nicht, dass auch die Wurzeln des Waldbadens in Japan liegen. So wurde der Begriff «Shinrin-yoku», der am ehesten mit «Baden im Wald» übersetzt werden kann, in den 80er-Jahren vom Generaldirektor der japanischen Forstbehörde, Tomohide Akiyama, geprägt. Unter Shinrin-yoku wird das bewusste Wandern im Wald, um positive Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit und das psychische Wohlbefinden zu erzielen, verstanden. Shinrin-yoku ist eine in Japan seit Jahrzehnten erforschte und anerkannte Therapie gegen Stress-Symptome und andere Zivilisationskrankheiten, die mit unserem modernen Lebensstil zusammenhängen. Medizinische Studien belegen, dass Waldbaden die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol hemmt, den Blutdruck senkt und Übergewicht vorbeugt. Gleichzeitig lassen sich positive Effekte auf psychische Leiden wie Depression und Burn-out erzielen und das Risiko von Autoimmun- und Stoffwechselkrankheiten verringern. Zudem wohnt dem Waldbaden ein meditatives Element inne, das einen Zustand der Harmonie und inneren Ruhe herzustellen vermag. So fühlt man sich nach einem entspannten Aufenthalt im Wald wie frisch gebadet.

Das Beste am Waldbaden ist, dass es keiner speziellen Fähigkeit, Kondition oder Vorbereitung bedarf und noch dazu gratis ist. Einzig die mentale Einstellung und der Einsatz all unserer Sinne sind elementar, um ein ausgeglichenes, positives und gesundes Gefühl zu erreichen. So besagt eine der zehn goldenen Regeln des Waldbadens, dass man sich voll und ganz auf den Aufenthalt im Wald fokussieren soll. Wer achtlos und in Gedanken versunken durch die Natur geht, lässt die Umgebung nicht an sich heran. Doch bei einem Bad in den Bäumen geht es darum, den Wald mit allen Sinnen zu erleben.

Wie sich die gesundheitlichen Effekte von Shinrin-yoku mit der Freude an der Natur des Kantons Bern verbinden lassen, zeigt das Buch «Waldbaden» auf. Die insgesamt 33 Wandervorschläge führen alle durch Waldgebiete von grosser Schönheit zu Kraftorten mit besonderer Ausstrahlung oder spiritueller Energie. Wir stellen drei Wanderungen vor, bei denen man in der Thunerseeregion ein Bad in den Wäldern nehmen kann.

Bäume sind Gedichte, die die Erde in den Himmel schreibt.  (Khalil Gibran)

Ringoldswil

Das rechte Thunerseeufer lockt mit einer konditionell einfachen Wanderung, die von Goldiwil zum Kraftort Gründungsahorn in Heiligenschwendi und über Ringoldswil hinunter nach Oberhofen führt. Ausgangspunkt dieses «Badegenusses» ist die Haltestelle Goldiwil, Hintermatt. Dem Wanderweg Richtung Heiligenschwendi folgend, taucht man nach der Wegbiegung Multenegg in einen Wald ein und gelangt nach wenigen Minuten zur Längnadweid. Dann führt der Weg hinauf in einen anderen sehr schönen Wald. Von dort wandert man leicht abwärts und befindet sich plötzlich auf einer kleinen Lichtung, auf der ein mächtiger Baum steht: der Gründungsahorn, der 1895 anlässlich der Gründung der Höhenklinik Heiligenschwendi gepflanzt wurde. Von ihm soll angeblich eine besondere Energie ausgehen, ihm wird sogar eine heilende Wirkung zugeschrieben. Was liegt da näher, als sich auf das Niesenbänkli zu setzen und neue Kraft zu tanken?

Erfrischt von der kurzen Pause, wandert man via den Winterberg und den Eggwald weiter nach Heiligenschwendi. Bereits von Weitem ist der Vesuv sichtbar – ein auffällig kegelförmiger Hügel, der einem Vulkan nicht unähnlich sieht. Von dort führt der Weg durch den Brüggliwald, vorbei am Hof Mehlbaumen und am Krindenhof nach Ringoldswil. Ein grandioses Alpenpanorama mit Seeblick lässt sich bis Tschingel ob Gunten und weiter bis nach Aeschlen geniessen. Dort angekommen, bietet sich ein Abstecher zur berühmten Panoramabrücke an. Schliesslich gelangt man vorbei am Weiler Erizbühl durch den Glesichopfwald hinunter nach Oberhofen. Die letzten Meter führt der Weg entlang des Sandgrabens und danach des Riderbachs, der in den Thunersee mündet. Von da geht es durch den mit Mammutbäumen gesäumten Park des Schloss Oberhofens entlang des Seeufers bis zum Schiffsteg, wo die Wanderung endet.

Wimmis

Zum Waldbaden lädt auch die leichte wie landschaftlich attraktive Wanderung entlang der Simme und der Kander ein, die von Burgholz nach Wimmis zum Kraftort Strättligburg und weiter zum Kanderdelta verläuft. Vom Bahnhof Burgholz nimmt man den Wanderweg bis zum Ufer der Simme und folgt dieser flussabwärts durch eine schöne Auenlandschaft. Je näher die Simmenporte rückt, desto ruhiger wird der Fluss, bis er sich schliesslich in einen Stausee verwandelt. Mit Blick auf die Burgflue und das Schloss Wimmis wandert man die rechte Seite der Simme entlang durch den Brunnigandwald. Bei Gmünd lässt sich die Simme über eine Holzbrücke überqueren, und bald darauf ist die Stelle erreicht, an der die Simme in die Kander mündet.

Dem tiefen Flussbett der Kander folgend, werden Schwindelfreie bei Hani dazu verlockt, die Hängebrücke hoch über der Kanderschlucht zu begehen. Nach dem zusätzlichen Adrenalinschub kehrt man zurück und folgt der Hauptstrasse Richtung Thun. Unmittelbar nach der Autobahnüberführung biegt ein Fussweg nach links ab, der zuerst rund 50 Meter entlang der Autobahn, dann steil den Strättlighügel hinauf zur Burgruine führt. Von hier lässt sich eine fantastische Aussicht auf Thun, den Thunersee und die Berner Alpen geniessen. Zudem werden diesem Ort aufgrund sich kreuzender Energielinien besondere Kräfte nachgesagt. Passend also, um kurz zu pausieren, bevor man wieder zur Hauptstrasse wandert und diese überquert. Danach geht es den steilen Weg hinunter in die Kanderschlucht und über den Strättligsteg, der mit zauberhaften Ausblicken aufwartet. Die Kander hat sich hier tief in den Felsen gefressen, die Wände der Schlucht sind dicht bewaldet und im blauen Wasser liegen grosse Felsen. Der letzte Teil der Wanderung führt entlang des rechten Kanderufers, bevor man nur ein paar Meter weiter flussabwärts die Kander über die Chanderbrügg erneut überquert. Durch das Naturschutzgebiet Kandergrien gelangt man direkt an den Thunersee, wo das Kursschiff zurück nach Thun anlegt.

Grüenebergpass

Ein ausgiebiges Waldbad nimmt, wer sich für die lange, aber wunderschöne Rundwanderung von Inner­eriz über den Grüenebergpass zum Kraftort Karstfeld und weiter ins Justistal entscheidet. Von der Haltestelle Innereriz, Säge, führt der Weg am schmucken Restaurant Säge vorbei und über eine Holzbrücke, bevor er sich beim lokalen Tourismusbüro gabelt. Hier ist der Wanderweg nach links Richtung Grüenebergpass zu nehmen, der zuerst flach entlang des Fallbachs durch einen Mischwald und bald darauf über Wiesen den Hügel hinauf verläuft. Vorbei an der Alp Hinter Sohl steigt man weiter dem Grüenebergpass entgegen – zuerst durch einen Mischwald, dann hinunter durch ein kleines Tal und von dort steiler hinauf auf einem mit Schotter belegten Strässchen. Ist der Pass erreicht, gabelt sich der Weg erneut. Rechts Richtung Justistal abbiegend, wandert man auf einem Bergwanderweg über das Hochmoor und durch einen prächtigen Arvenwald. Während des weiteren Aufstiegs tun sich immer wieder atemberaubende Ausblicke auf. Nach einiger Zeit gelangt man zur Hütte am Hinteren Seefeld, danach zur Hütte im Mittleren Seefeld. Hier lohnt sich eine Pause, geniesst man doch eine fantastische Aussicht auf die gesamte Alpenkette.

Weiter geht es durch das Hochmoor zur Hütte am Vorderen Seefeld, wo man dem Weg Richtung Justistal folgt. Er führt zuerst hinauf zum Oberberg, dem höchsten Punkt der Wanderung (1771 m ü. M.), von wo man einen guten Blick auf das eindrückliche Karstfeld am Südhang der Sieben Hengste hat. Keine Pflanze, kein Baum wächst hier, trotzdem geht von dieser öden Landschaft mit den zerklüfteten Kalksteinfelsen eine spezielle Anziehung aus: Die Eintönigkeit hat etwas zutiefst Meditatives und lässt einen gedanklich zur Ruhe kommen. Die Wanderung fortsetzend, steigt man nach rund 300 Metern einen steilen Pfad hinunter ins Justistal. Bei der Hütte Ufem Schopf folgt man dem Weg Richtung Innereriz und erreicht dann die Alp Oberhofner. Von hier ist ein letzter Anstieg von gut 200 Metern hinauf zur Sichle zu bewältigen – belohnt wird man mit einem tollen Ausblick. Schliesslich steigt man von der Sichle wieder hinunter nach Innereriz, wo die Rundwanderung gestartet ist.

Buchtipp

Waldbaden

Autor: Robert Gallmann
und Prof. em. Yoshifumi Miyazaki
256 Seiten, 23 × 27 cm, gebunden, Hardcover
ISBN 978-3-03922-147-9 CHF 49.– | EUR 49.– 

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