Zu Besuch im Kanderdelta

Zu Besuch im Kanderdelta

Zu Besuch im Kanderdelta

Das Kanderdelta am Thunersee ist ein spezielles Gebiet, welches seit 2008 unter Naturschutz steht. Es wurde als Flussdelta von nationaler Be- deutung eingestuft und stellt viele Beteiligte vor grosse Heraus- forderungen. Damit das Gebiet im gewünschten Zustand verbleibt, gibt es von verschiedenen Seiten einiges zu beachten.

Text: Carmen Frei  |  Fotos: Arnold Gertsch, Annette Weber, zvg

Wenn man heute das Kanderdelta erblickt, mögen sich viele gar nicht vorstellen, wie es hier früher einmal ausgesehen hat. Ursprünglich floss die Kander nämlich nicht in den Thunersee, sondern ergoss sich erst unterhalb des Thunersees in die Aare. Da der ursprüngliche Kanderverlauf aber immer wieder zu Überschwemmungen in den an der Kander gelegenen Ortschaften führte, entschloss man sich Anfang des 18. Jahrhunderts, den Fluss bei Einigen in den Thunersee zu leiten. Der Kanderdurchstich, oder auch Kanderkorrektion genannt, stellte die erste grosse Gewässerkorrektion in der Schweiz dar. Ohne die heutigen technischen Möglichkeiten und Kenntnisse wurde die Planung aufgenommen. Der Ingenieur Samuel Bodmer begann, die Umleitung via Strättlighügel zu konzipieren. Zwar wurde bereits in dieser Planung der Umleitung berücksichtigt, dass durch den Zufluss der Kander in den Thunersee zusätzliche Wassermassen anfallen und den Thunersee belasten würden, weshalb darin auch Vorschläge zum Ausgleich der zusätzlichen Abflussmenge des Thunersees in die Aare gemacht wurden. Bekanntlich wurden diese allerdings nicht umgesetzt und nach dem Kanderdurchstich hatte man in Thun oft mit Überschwemmungen zu kämpfen. Dieses Problem wurde erst durch die Aarekorrektion Ende des 19. Jahrhunderts und der Erstellung eines Entlastungsstollens Anfang des 21. Jahrhunderts effektiv behoben.


Nach dem Kanderdurchstich hatte man in Thun oft mit Überschwemmungen zu kämpfen.

Der Kampf gegen die Verlandung 

Der Kanderdurchstich selbst war ebenfalls mit vielen Komplikationen verbunden. Eigentlich wollte man die Kander durch einen Stollen in den Thunersee leiten, dieser stürzte allerdings ein – so entstand die Kanderschlucht. Das Wasser frisst sich bis heute noch weiter ins Gestein, ein Problem, welches man unterschätzt hatte. Das Kanderdelta, welches als Folge der Umleitung entstand, vergrösserte sich in den Jahren nach dem Kanderdurchstich derweil immer mehr. Bereits in den ersten zwei Jahren nach dem Durchstich bildete sich so eine Fläche von 220800m2 als Delta aus. Das vom Fluss mitgeführte Material lagerte sich ab und das Delta wuchs immer weiter. Die Erkenntnis, dass diese Entwicklung die Gefahr der Verlandung des Thunersees barg, führte dazu, dass 1913 der Kiesabbau im Kanderdelta aufgenommen wurde. Die dortige Kiesentnahme war dabei schon immer mit Auflagen verbunden. Inzwischen wird jeweils im August durch eine dafür eingesetzte Gestaltungskommission festgelegt, auf welchem Gebiet die Kiesentnahme erfolgen darf. Im Kanderdelta selber dürfen dann von Anfang September bis Anfang Oktober 10000m3 Kies durch Vigier Beton entnommen werden, um das Delta herum können 50000m3 entnommen werden. 

Die Kiesentnahme hat das Wachstum des Deltas mehr oder weniger eingedämmt, in den Überschwemmungsjahren 1999 und 2005 wurde allerdings übermässig viel Kies und Holz angeschwemmt: Im Jahr 1999 vergrösserte sich das Delta so um 6500m2, im Jahr 2005 sogar um 10000m2. Damit das Delta nicht weiterwächst, arbeitet Vigier Beton zusammen mit der Seepolizei und entnimmt neben Kies auch Schwemmholz, welches zu Schnitzel verarbeitet wird. 




Ein wichtiger Lebensraum für Tiere

Das Kanderdelta hat nach seiner Entstehung vielen Tieren einen neuen und wichtigen Lebensraum geboten. Dies wurde mit der Ernennung zum Naturschutzgebiet 2008 auch staatlich anerkannt. Dass man hier in einem wichtigen Lebensraum für Tiere arbeitet, bleibt auch bei Vigier Beton nicht unbemerkt. Arnold Gertsch von Vigier Beton weiss einige Anekdoten über die im Delta wohnhaften Tieren zu erzählen. So kam es schon vor, dass sich ein Biber auf das Gelände verirrt hatte und scheinbar aber ganz begeistert von den vorhandenen Maschinen war. Einmal konnte sogar ein Reh beim Schwimmen beobachtet werden, ein Schauspiel, welches sich anscheinend nicht selten abspielt, aber häufig unbemerkt bleibt. Aufgrund der Ungewohntheit herrschte darum bei den Zuschauern zuerst einmal Alarm- bereitschaft, man merkte aber schnell, dass das Reh keiner Rettung bedarf.  

 Ausserdem ist das Baggerloch, welches in der Folge des Kiesabbaus entstanden ist, die Heimat vieler Fische geworden. Der Kiesbestand wird hier nur noch als Reserve behandelt, die Kiesentnahme findet grundsätzlich nur im Delta statt. Trotz Kiesentnahme und dem dadurch entstehenden Lärm lassen sich die Tiere aber nicht abschrecken. Es werden dann auch Stein- und Holzhaufen erstellt, welche als gute Lebensräume für die Tiere in der Umgebung fungieren.  

Demnächst sind sogar Nistkästen für die Eisvögel geplant. Während sich diese nämlich im Gwattlischenmoos in der Nähe noch nicht wirklich niedergelassen haben, sind sie im Kanderdelta auch bei der Brut zu beobachten. Weitere Vögel, welche das Kanderdelta als Lebensraum schätzen, sind die Uferläufer sowie die Flussregenpfeifer. Der Flussregenpfeifer legt hier seine Eier in flache Kiesmulden, welche diese ideal tarnen. Die Eier sehen aus wie Steine und werden dadurch oft mit ihnen verwechselt, was vor allem beim Betreten des Gesteins verheerend sein kann. Auch die Überschwemmungen, welche in den Jahren 1999 und 2005 das Gebiet trafen, führten dazu, dass die Brut dieser Vögel grösstenteils zerstört wurde. Da das Kanderdelta noch eines der wenigen verbliebenen Brutgebiete des Flussregenpfeifers ist, war dies besonders schlimm.


Ein wichtiges Delta

Das Kanderdelta bietet auch darum vielen Tieren einen Lebensraum, weil hier eine grosse ökologische Vielfalt besteht. Verschiedene Untergrundarten, so zum Beispiel Sand- und Kiesbänke sowie fliessende und stehende Gewässer, sind hier zu finden.  

Ausserdem bietet der Wald auf dem Landabschnitt ebenso einen wertvollen Lebensraum für Tiere. Die Aufrechterhaltung des Deltas als Gebiet ist darum auch für seltene Vogel- und Reptilienarten von grosser Wichtigkeit. Das Kanderdelta ist die einzige noch verbliebene Deltaaue im Kanton Bern. Als solche wurde es sogar in das Bundesinventar der Auen von nationaler Bedeutung aufgenommen. 

Damit ist das Kanderdelta eines von nur zwölf Flussdeltas, welchen nationale Bedeutung zugesprochen wurde. Für die Natur wollte man darum im Delta eine Ruhezone festlegen, welche nicht betreten werden darf. Dies wurde Ende 2008 vom Regierungsrat beschlossen, die Umsetzung gestaltet sich aber schwierig.


Die Problematik des Erholungsgebiets

Neben den Überschwemmungen gehen einige Gefahren für das Kanderdelta auch vom Menschen aus. Es ist ein Naturschutzgebiet, durch seine Lage aber prädestiniert, um als Erholungsgebiet genutzt zu werden. So ist das Betreten eines zirka 35 Meter breiten Streifens dem Ufer entlang ganzjährig gestattet. Dahinter herrscht Betretungsverbot. Dass es damit viele nicht so genau nehmen, kann man von verschiedenen Seiten erfahren. Allerdings ist die Nutzung des Uferstreifens ebenso problematisch, da der verursachte Abfall oft nicht mitgenommen wird und auch die Lautstärke der Besucher und der Begleitmusik häufig das Tragbare übersteigt.  

Die Überprüfung der Regelung, wonach nur der äussere Uferstreifen zur Begehung freigegeben ist, gestaltet sich dementsprechend auch kompliziert. Daher hat das Amt für Naturförderung dieses Jahr zum ersten Mal Ranger zur Überwachung aufgeboten, da Angehörige verschiedener Naturschutzorganisationen sowie Mitarbeiter von Vigier Beton in der Vergangenheit bei der Zurechtweisung der betreffenden Personen oftmals bedroht wurde. Mit den neuen Massnahmen hofft man nun auf Besserung, damit auch die Flora und Fauna ungestört gedeihen kann und das Gebiet für seine Bewohner ein angenehmes Terrain bleibt.


Mit den neuen Massnahmen hofft man auf Besserung, damit die Flora und Fauna ungestört gedeihen kann und das Gebiet für seine Bewohner ein angenehmes Terrain bleibt.



Der Wolf – Historisches Fabelwesen und scheues Raubtier

Text: Peter Juesy |  Fotos: Kurt Gasner, Nina Gasner, zvg


Ein häufiger Charakter in Fabel- und Märchengeschichten und gleichzeitig ein umstrittenes, aber auch geschätztes Wildtier, das in Tierschutzdiskussionen oft für gespaltene Lager sorgt. Erfahren Sie, wie der Mensch sich über die Jahrhunderte hinweg an das scheue Raubtier angepasst hat – und wie der Wolf dem Menschen und der durch ihn veränderten Umwelt begegnet. 


In den letzten Jahren ist der Wolf in die Schweiz zurückgekehrt. Seine Anwesenheit ist seit 1995 eine Tatsache geworden. In den Kantonen Graubünden, Wallis und Tessin lebten in dieser Zeit mindestens vier nachgewiesene Wölfe. Seit 2001 wurden auch im Berner Oberland verschiedene Wolfsbeobachtungen gemeldet, die allerdings vorerst nicht mit einem gesicherten Nachweis bestätigt werden konnten. Die ersten Beobachtungen seit dem späten 19. Jahrhundert stammen vom Grimselpass (11. Mai 2001), vom hinteren Lauterbrunnental (24. August 2002) und von Gsteigwiler (12. Oktober 2004).


Geschichte des Wolfes

Ursprünglich war der Wolf weltweit das am stärksten verbreitete Grossraubtier. Er bevölkerte die gesamte Halbkugel nördlich des 15. Breitengrades. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschwand der Wolf aus den letzten Rückzugsgebieten der Schweiz. 1890 wurden im Jura und in der Ajoie die letzten Wölfe beobachtet. Heute sind die Bestände vor allem in den Vereinigten Staaten und in Europa stark geschrumpft. Während der Wolf im Osten und Süden Europas (Oststaaten, Griechenland, Balkan, Karpaten, Italien, iberische Halbinsel) überlebt hat, wurde er in Westeuropa und selbst in Skandinavien ausgerottet. In Skandinavien leben heute wieder ungefähr 400 Wölfe, in Finnland rund 100, während auf der iberischen Halbinsel über 2000 und in Italien bis 1000 Tiere vorkommen. 

In Europa lebt heute eine Population von ungefähr 4000 Wölfen. Aus Italien ist der Wolf nie ganz verschwunden. Da die natürlichen Beutetiere des Wolfes zu Beginn des letzten Jahrhunderts praktisch ausgerottet waren, mussten sich die Wölfe an Kehrichtdeponien und Haustiere halten, was zu Konflikten mit Menschen führte. Die Population befand sich in den frühen 70er-Jahren mit nur noch 100 Wölfen auf einem kritischen Tiefstand. Italien stellte deshalb den Wolf 1976 unter Schutz, verbot die Anwendung von Giften, führte ein Entschädigungssystem bei Haustierschäden ein und startete Informationskampagnen in der Öffentlichkeit. Die Wildbestände, ganz speziell auch die Wildschweine, konnten sich – vor allem in den Abruzzen – wieder erholen. 1985 konnte die Anwesenheit des Wolfs in der Gegend von Genua und Alessandria – ungefähr 130 km von der Schweizer Grenze – offiziell bestätigt werden.