Thunersee unter Wasser

Thunersee unter Wasser

Thunersee unter Wasser

Die Bilder von Michel Roggo machen sprachlos. Noch nie haben wir Unterwasserbilder wie seine gesehen. Sie zeigen, dass unsere Süsswasserwelten voll versteckter Schönheit sind. 

Text: Annette Weber  |  Fotos: Michel Roggo

Herr Roggo, wann und warum haben Sie begonnen, unter Wasser zu fotografieren?

Vor 30 Jahren sah ich in Alaska erstmals Lachse auf der Laichwanderung. Fasziniert davon, entschloss ich mich, dies zu dokumentieren – unter Wasser, aber ohne zu tauchen, um unabhängig und mit wenig Gepäck für Wochen draussen im Busch arbeiten zu können. Ich entwickelte ein System, mit welchem ich vom Ufer aus arbeiten konnte – auch, um während der Arbeit nach etwaigen Bären Ausschau halten zu können. Jahr für Jahr kehrte ich nach Alaska zurück und reiste später auch nach Kanada, verfeinerte die Technik im Lauf der Jahre. Der Hauptvorteil der Arbeit mit Fernbedienung war, dass die Lachse nicht wirklich gestört wurden von einem Gehäuse am Flussgrund und so ihr natürliches Verhalten fotografiert werden konnte. Bald folgten erste bedeutende Publikationen und ich machte die Fotografie zum Beruf.

Sie sind der bekannteste Unterwasser- fotograf der Schweiz. Was zeichnet Sie besonders aus?

Nun ja, der bekannteste, das ist so eine Sache... Ich bin natürlich nicht der einzige Unterwasserfotograf der Schweiz, aber weltweit einer der wenigen, die ausschliesslich im Süsswasser arbeiten. Ich habe während eines Vierteljahrhunderts ziemlich hart unter Wasser gearbeitet und tue dies auch weiterhin. Jeder Tag, an dem ich nicht fotografieren kann, ist fast ein bisschen ein verlorener Tag – natürlich nur, was die Arbeit betrifft. In der Tat macht die Büroarbeit mehr als die Hälfte aus und ich muss mir die Zeit zum Fotografieren im und am Wasser manchmal fast stehlen. Deshalb wohl auch habe ich in den letzten Jahren viel rund um die Welt gearbeitet – ich war dann einfach mal weg.

Wieso gerade Süsswasser? 

Wir wissen, wie das Korallenriff aussieht, vom Fernsehen, doch nicht, wie die Welt unter der Oberfläche der Bäche, Flüsse, Seen und Sümpfe vor unserer Haustüre aussieht. Ich bin immer auf der Suche nach neuen Unterwasserlandschaften, mit diesem dramatischen Licht, welches es nur in Gewässern geben kann – in einem Torfmoor, unter dem Eis eines Bergbaches, inmitten wogender Algenfelder. Diese oft so nahen und doch verborgenen Welten sind von atemberaubender Schönheit.

«Dieses dramatische Licht gibt es nur in Gewässern.»

In welchen Gebieten fotografieren Sie?

Jetzt gerade arbeite ich am Freshwater Project (dem Süsswasser-Projekt, etwas unpoetisch auf Deutsch), für das ich in rund vier Jahren 30 besondere Gewässer rund um die Welt fotografieren will, immer Süsswasser. Ich bin jetzt bei 25... Dafür war ich zwischen Kamtschatka und Amazonas, Gornergletscher und Waikoropupu, Gunung Mulu und Sense, Thingvellir und Wadi Wurayah an ziemlich speziellen Orten unterwegs. Die Belastung ist enorm, vor allem emotional. Sich immer wieder auf komplett verschiedene Kulturen und Menschen einzustellen und dabei das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, ist anstrengend. Viel mehr als etwa die körperliche Anpassung an die verschiedenen Klimazonen. Ich vermag die Eindrücke bei diesem rasanten Tempo kaum zu verarbeiten. Nach Abschluss des Projekts will ich manche Orte und Menschen unbedingt für längere Zeit wieder besuchen.

Neben diesem Projekt arbeite ich aber immer auch in der Schweiz und dem angrenzenden Alpenraum. Das liebe ich ganz besonders, aber leider ist die Zahl der «guten» Gewässer sehr klein geworden, und vielerorts sind die Fischbestände und der Artenreichtum in den Gewässern ganz dramatisch eingebrochen. 

Arbeiten Sie allein oder im Team?

Zwar arbeite ich im Gelände meist allein, aber ich bin auf ein gutes Netzwerk angewiesen. Ich erhalte viele Informationen etwa von Fischern oder der Fischereiaufsicht. Im Ausland arbeite ich oft mit lokalen Führern, was es mir ermöglicht, sehr rasch und zielgerichtet zu arbeiten. Auf längere Reisen kommen gelegentlich Bekannte mit, das macht das Reisen und Arbeiten ganz angenehm. Allerdings bin ich während der Arbeit sehr darauf konzentriert, und man sagt mir manchmal, ich sei dann ziemlich unmöglich... Wenn ich zum Beispiel einen Kaiman oder einen Bären einen halben Meter vor dem Unterwassergehäuse habe, muss ich einfach vollkommen auf die Situation fokussiert sein und alles andere um mich herum muss komplett egal sein. Aber am Abend bei einem Bier ist das alles wieder vergessen.

Wie beurteilen Sie den Thunersee unter Wasser?

Ich habe im Thunersee vor allem im Gebiet des Auslaufs gearbeitet, um die Schadau herum. Zum ganz grossen Glück wurde dieser Ausfluss seinerzeit nicht ausgebaggert. Es ist die beste Laichstelle für die Äsche in der Schweiz und dadurch auch national sehr wichtig.

Welche Erlebnisse hatten Sie im und am Thunersee bei den Fotoaufnahmen?

Ich arbeitete wie gesagt vor allem im Gebiet des Ausflusses, und zwar vom Ufer aus, also inmitten all der Leute dort im Park beim Inseli-Kehr. Das war manchmal schon etwas speziell. Ich meine: Das sieht schon komisch aus, wenn einer am Ufer unter einem schwarzen Tuch in einen Monitor starrt, mit einer Stange in der Hand, die ins Wasser reicht... Zwischendurch wollte ein Drögeler eine kleine Spende oder ein Hund sprang mitten zwischen die laichenden Äschen ins Wasser. Oder ein Schwan zerrte neugierig an meiner Unterwasser-Kamera herum. Die Fischereiaufsicht war natürlich immer informiert, die wussten, dass da kein Schwarzfischer irgendwas ausprobierte.

Welches sind Ihre nächsten Projekte?

In den nächsten Monaten werde ich in Rumänien, Botswana, Schweden und wahrscheinlich Grönland arbeiten und dazwischen immer wieder in der Schweiz, auch für das Süsswasser-Projekt. Doch vor allem muss ich auch ständig die Büroarbeit erledigen und Bildrechte verkaufen, damit ich alle diese Reisen auch finanzieren kann.

Welche Gewässer möchten Sie in Zukunft unter Wasser fotografieren?

Ich freue mich auf die Arbeit im Okavango, dem grössten Inland-Delta der Welt. Dort leben Krokodile und Flusspferde, die möchte ich natürlich auch fotografieren, möglichst unter Wasser. In Grönland möchte ich in Schmelzwasser-Seen und -Flüssen arbeiten, das habe ich schon auf dem Gornergletscher gemacht, aber in Grönland sind die Dimensionen viel grösser – was aber auch die logistischen Probleme grösser macht.

Was wünschen Sie den Lebewesen im Thunersee?

Das Gleiche wie den Lebewesen in allen Schweizer Gewässern: dass so viele Gewässer wie möglich einigermassen naturnah erhalten bleiben und dass die gröbsten Fehler an den Gewässern wieder korrigiert werden. Ein Fisch kann bei Problemen nicht einfach davonschwimmen, wie ein Vogel davonfliegen kann. Da muss der Mensch helfen. Und natürlich gibt es eine Vielzahl von Lebewesen, die auf Gedeih und Verderben auf naturnahe Gewässer angewiesen sind. Im Thunersee wurde in dieser Hinsicht Gutes getan, indem mit der Kiesschicht beim Ausfluss der Lebensraum für die Äschen und alle die Myriaden kleiner Tierchen im Kies erhalten blieb.

«Ein Fisch kann bei Problemen nicht einfach davonschwimmen, wie ein Vogel davonfliegen kann.»

Michel Roggo

Der Fotograf Michel Roggo wurde 1951 in Freiburg, Schweiz, geboren. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit als Lehrer arbeitet er seit 1987 als professioneller Fotograf (CH-BR); er ist Mitglied der ILCP International League of Conservation Photographers. Seit 30 Jahren fotografiert er mit einer speziellen Technik in Süssgewässern auf der ganzen Welt, zuerst in Alaska, später auch in Kanada und in den überfluteten Regenwäldern des Amazonas, dies mit Unterstützung des WWF. Über die Jahre erfolgte eine Ausweitung von der eher dokumentarischen Fotografie von Tieren und Pflanzen auf eigentliche Unterwasser-Landschaften, Sujets, die bisher kaum jemand gesehen hatte. Es folgten zahlreiche Auszeichnungen, Ausstellungen und Vorträge, und Michel Roggo gilt mittlerweile international als Spezialist für Fotografie im Bereich des Süsswassers. Auch wenn Michel Roggo immer noch überwiegend fernbediente Systeme für die Arbeit unter Wasser einsetzt, begann er zu schnorcheln – am Tag nach seinem 60. Geburtstag. Und zwei Jahre später auch noch zu tauchen – ausgerechnet im kalten Sibirien im Ozero Baykal, dem grössten und tiefsten See der Welt. Nach 25 Jahren der Fotografie in den Flüssen und Seen dieser Welt und über hundert Expeditionen startete Michel Roggo im Jahr 2011 das weltweit angelegte Süsswasser-Projekt (The Freshwater Project). Bis 2015 will er 30 Gewässer rund um den Globus fotografieren, möglichst unterschiedliche, bedeutsame und spektakuläre, und so zum Schutz der Gewässer weltweit beitragen. Das Projekt wird unterstützt von der IUCN International Union for Conservation of Nature. Michel Roggo zeigte seine Werke an über 30 Einzel- ausstellungen weltweit, er war Preisträger in Wettbewerben wie BBC Wildlife Photographer of the Year und European Wildlife Photographer of the Year, seine Bilder wurden publiziert von Kunden wie GEO, BBC Wildlife, NATIONAL GEOGRAPHIC online, mare, Art Malaysia Magazine, WWF International, Sierra Magazine und vielen mehr. Er war einer der Fotografen des Projekts Wild Wonders of Europe.

Buchtipp

wasser.schweiz

Autor: Michel Roggo
240 Seiten, 21,9 x 26 cm, gebunden, Hardcover
mit 207 Abbildungen
ISBN 978-3-85932-731-3 CHF 39.– / EUR 39.–

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