Hängend und schaukelnd durch die Sommerzeit
Hängend und schaukelnd durch die Sommerzeit
«Dolce far niente» – süss ist es, das Nichtstun in den Hängematten rund um den Thunersee! Ausspannen, träumen, philosophieren, einfach die Seele baumeln lassen, während Wolken und Gedanken vorbeiziehen und das Paradies einem verführerisch zuzwinkert.
Text & Fotos: Heinrich Rehmann, Katrin Stirnemann
Ein kurzes Stück Geschichte
Die Erde ist bereits eine Kugel, als Kolumbus 1492 Richtung Westen segelt. Er entdeckt dabei nicht nur die «Neue Welt», sondern auch die Hängematte. Die Bewohner des neuen, unbekannten Kontinents mit ihren für Kolumbus exotischen Lebensformen und Bräuchen, Normen und Mo- ralvorstellungen erstaunen den berühmtesten aller Seefahrer auf verschiedensten Ebenen. So schlafen diese Menschen beispielsweise schwebend über dem Boden.Die ersten Chronisten schreiben: «Ach wie unbequem das Liegen in diesen Matten.» Sie hatten schlicht nicht begriffen, in welcher Richtung sie sich in die Matten legen sollten. Merke: immer diagonal oder quer liegen, niemals in der Längsrichtung. Das heisst, die Breite einer Hängematte ist wichtiger als ihre Länge. (Ab einer Breite von 150 cm wirds richtig bequem.)
Nach Kolumbus benützten Seefahrer, vor allem Briten und Franzosen, Hängematten als Schlafstätten und trugen viel zu ihrer Verbreitung bei. Von Brasilien aus gelangten Hängematten mit den Sklaven nach Westafrika und mit den Kolonialmächten nach Asien. In Amerika selbst verbreitete sich die neuartige Schlafvorrichtung in Windeseile über den gesamten Kontinent.
«Meine Reise entlang des Amazonas verbrachte ich grösstenteils in der Hängematte. Tagsüber sowie zum Schlafen hielt ich mich in den zweistöckig, also übereinander gehängten Matten auf.» Die «Hamaca» zieht immer grössere Kreise und taucht mit uns 1984 auf dem Markt in Bern auf. Wir bieten mexikanische Hängematten an. Sie sind in ihrer Machart, aus lose geflochtenen Baumwollgarnen, am ursprünglichsten. Betrachter und Betrachterinnen begegnen unserer exotischen Ware mit Erstaunen und Neugierde. Wir hören kuriose Sätze wie: «Schau mal, was ist denn das, Fischnetze oder Einkaufsnetzchen?»
In der Gegenwart angekommen
Das sind die Jahre, in denen die Hängematte hier Fuss fasst. Junge Leute sind begeistert, nehmen sie mit an den Fluss, den See oder ans Openair. Heute sind es längst nicht mehr nur Hippies oder ein paar verrückte Weltenbummler, die einen dieser Exoten besitzen. Die «Hamaca» zieht in unsere Wohnzimmer, Gärten und Balkone ein. Sie ist salonfähig geworden, ob geflochten oder geknüpft, bunt oder dezent in Naturfarben oder als exklusive Rarität. In den Ursprungsländern in Mittel- und Südamerika ist sie nebst Alltagsgegenstand auch ein Statussymbol. Spezielle Webarten und Muster lassen wahre Kunstwerke entstehen.
Ein bisschen Philosophie
Natürlich schlafen wir nach wie vor in Betten. Und doch scheint uns etwas an diesen schaukelnden Netzen zu faszinieren. Dieses Hängemattengefühl verbindet Vorstellungen von süssem Nichtstun, dem schwerelosen Über-dem-Boden-Schweben, dem Entkommen vom Alltag, einer Auszeit von all den Anforderungen und Momenten der Ruhe oder zumindest der Sehnsucht danach. Vielleicht geben uns die alten Griechen eine Antwort. Bei ihnen hatte die Musse eine zentrale Bedeutung. Sie war nicht nur Ruhephase, sondern eine grosse, schöpferische Kraft. Mittlerweile kommt die moderne Hirnforschung zu ähnlichen Schlüssen. Vieles spricht dafür, dass Nichtstun keine vertane Zeit ist, im Gegenteil der Kreativität Tür und Tor öffnet. Ein brasilianisches Sprichwort sagt: «Für grosse Träume gibt es keine schlechten Hängematten.»
So geniessen wir mutig und mit gutem Gewissen das süsse Nichtstun, schaukeln tagträumend ungewohnten Einfällen und Einsichten entgegen. Dabei krabbeln keine Ameisen über unsere Beine, kein Stein sticht in den Rücken und die leichte Bewegung entspannt tiefenwirksam. Wir alle kennen die beruhigende Wirkung, die sanftes Schaukeln auf kleine Kinder hat.
Also packen wirs an, und zwar direkt vor unserer Haustür, rund um den Thunersee. Nebst den eingezeichneten Orten warten versteckte, verträumte Plätzchen auf ihre Eroberung. Wer schaukeln will, braucht etwas Abenteuerlust und eine Portion Fantasie und Kreativität. Die passenden Bäume verstecken sich manchmal nur allzu gut. Merke: genügend Seil einpacken, pro Seite ca. 6 Meter.
Vieles spricht dafür, dass Nichtstun keine vertane Zeit ist, im Gegenteil der Kreativität Tür und Tor öffnet.
Hängemattenplätze rund um den Thunersee
1. Grunderinseli, klein und fein
Ab Strandbad Thun fünf Minuten zu Fuss, rechts am Bad vorbei, Richtung See über einen Holzsteg wird das Inseli mit der grandiosen Sicht seeaufwärts erreicht (bei Gewittereinbruch kann die Hängematte direkt über der Feuerstelle montiert werden. Aber Achtung: bitte nicht zu tief).
2. Bonstettenpark
ÖV ab Thun oder mit dem Auto (Parkplätze vorhanden). Ein weitläufiger Park mit Bäumen so weit das Auge reicht. Vom Eingang her gesehen links liegt eine kleine Halbinsel mit einer Art Nadelbäumen, ein perfekter Platz.
3. Kander
Zugang von Reutigen oder Wimmis, den Wanderwegen folgen. Viele wildromantische Plätze auf beiden Seiten des Flusses, es lässt sich prima verweilen.
4. Neuhaus/Lombachspitz
Kleine Halbinsel, rechts vom Neuhaus, Sicht über den ganzen See. Zwei bis drei versteckte Plätze am Uferweg Richtung Interlaken.
5. Sundlauenen-Dorf,
Sundbachdelta
Keine Parkplätze, mit ÖV oder mit dem Velo erreichbar. Dem Wanderwegschild «zum See» folgen, links oder rechts vom Suldbach Richtung See spazieren, dann zeigen sich die «Hängemattenbäume».
6. Steinbruch Balmholz,
für Abenteuerlustige
Absolut keine Parkplätze, mit öV (Haltestelle Geisskilche) oder mit dem Velo erreichbar. Abzweigung Steinbruch bis zum ersten grossen Felsbrocken auf der rechten Strassenseite, Abstieg auf einem kleinen, steilen Weg, der sich gabelt, in beide Richtungen ergeben sich viele spannende Gelegenheiten.
7. Cholere-Schlucht,
für heisse Sommertage
Von Hünibach auf dem Wanderweg «Cholereschlucht». Plätze zum Beispiel am Fuss der grossen Felswand im oberen Teil der Schlucht, schattig und faszinierend.