Alpwirtschaft: Alpprodukteaus Leidenschaft

Alpwirtschaft: Alpprodukteaus Leidenschaft

Alpwirtschaft: Alpprodukteaus Leidenschaft

Die Alp Hösel liegt im Naturpark Diemtigtal und bietet eine beeindruckende Aussicht auf die liebliche Stockhornkette. Familie Brügger aus Erlenbach im Simmental bewirtschaftet den Alpbetrieb jeweils in den Sommermonaten und lädt Gruppen und Schulklassen zur Visite ein. 

Text & Fotos: Laura Leupold

Hinter dem Thunersee gelegen, eingebettet zwischen Simmen- und Frutigtal, bietet das Diemtigtal eine Vielzahl landschaftlicher Schönheiten. Dem Diemtigtal wurde im September 2011 vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) das Label «Regionaler Naturpark Diemtigtal» (Landschaft von nationaler Bedeutung) verliehen. Mit 6700 ha ist das Diemtigtal das grösste Alpwirtschaftsgebiet der Schweiz, zudem zeichnet es sich durch grosse Artenvielfalt aus. Die Alpweiden zwischen 1000 und 1800 m ü. M. sind gleichzeitig auch ein beliebtes Wander- und Erholungsgebiet. Die total 151 Alpbetriebe des Diemtigtals unterstützen die Ziele des Regionalen Naturparks, namentlich die För- derung nachhaltiger Entwicklung in Randregionen sowie die Erhaltung von Natur, Landschaft und Kultur.

Von der Vorweide auf die Alp

Andreas und Annemarie Brügger führen einen der zahlreichen Alpbetriebe des Diemtigtals. Zwischen Mitte Mai und Anfang Oktober leben sie hier, dieses Jahr mit 21 Kühen, 43 Rindern, 21 Kälbern, sieben Ziegen und vier Katzen. Wie im Diemtigtal üblich, bewirtschaften Brüggers einen sogenannten 3-Stufen-Betrieb mit Bauernhof im Tal, Vorsass/Vorweide und Alp. Die dreistufige Bewirtschaftung entlastet den Talbetrieb, so wird auf den Talweiden nicht alles Gras weggefressen. Während das Vieh auf der Alp weilt, kann das Gras im Tal gemäht und im Winter als Futter verwendet werden. 

Mitte Mai ziehen Brüggers mit ihren Tieren von ihrem Hof in Erlenbach im Simmental für etwa 2 Wochen auf die Vorweide Wysshalti auf 1200 m ü. M. und anschliessend auf die Alp Hösel auf 1480 m ü. M. Das «Zügeln» ist jedes Jahr ein besonderes Ereignis, dabei ist auch die richtige Vorbereitung von Bedeutung. Bereits eine Woche vor dem grossen Tag werden den Kühen und Rindern die Weideglocken angezogen, damit sie sich an das «Geläut» gewöhnen können. Dieser Moment ist dann jeweils das Zeichen für die Kühe, dass es bald wieder losgeht. Erst für die Alpauffahrt und die Alpabfahrt tragen sie die grossen Treicheln. Sohn Urs Brügger meint, dass auch die Tiere eine Art Adrenalin verspüren und vom «Zügelfieber» gepackt werden, das er ebenfalls verspürt, da er bereits seit Kindsbeinen beim Zügeln dabei ist. Die älteren Kühe könnten den Weg hinauf zur Vorweide wahrscheinlich selbst finden, da sie über eine gute Orientierung verfügen. Der «Alpzug» folgt dann jeweils der Autostrasse von Allmenden nach Oey entlang 13 km hinauf Richtung Horboden/Springenboden. Zuvorderst gehen die Ziegen, gefolgt von den grossen Kühen und Rindern, zuhinterst dann die grösseren Kälber. Brüggers sind eine der weni- gen Familien, die noch das ganze Rindvieh zügeln. Nur mit handzahmen Tieren sei es möglich, auch mit wenigen Leuten viele Tiere zu zügeln, denn der Weg über die Strasse birgt natürlich auch Gefahren, wie beispielsweise unvorsichtige Autofahrer.  

Während ihres Aufenthalts auf der Vorweide Wysshalti wird ein Teil des Grases gemäht, das den Tieren als Futter für den Herbst dient. Die Milch, die gemolken wird, wird in einer lokalen Sammelstelle abgegeben. Ende Mai geht es dann weiter hinauf zum Alpbetrieb Hösel, wo Familie Brügger die nächsten rund vier Monate verbringt. Auf der Alp wird fast die ganze Milch zur Käseherstellung genutzt. Neben Alpmutsch- li, Alpkäse und Raclettekäse aus Kuhmilch wird auch Ziegenkäse hergestellt, der, so meint Andreas Brügger schmunzelnd, besonders gut schmeckt, da er von den braunen Oberhasli-Brienzer-Ziegen stammt. 

Alpvisite und Unterricht auf der Alp

Man kann hier nicht nur vor Ort den Käse kaufen, der während des Sommers auf der Alp Hösel produziert wird, man kann auch eine feine Alpmahlzeit geniessen oder die Familie Brügger tatkräftig beim Käsen unterstützen. Als Besonderheit bietet die Familie Brügger Erwachsenengruppen und Schulklassen an, einige Stunden, einen Tag oder volle 24 Stunden auf der Alp Hösel zu verbringen. Das Angebot «AlpVisite» richtet sich an Gruppen von 10 bis 25 Personen, denen ein «Apéro à la montagne» oder ein Alpmittagessen mit Dessert und Kaffee serviert wird. Darin eingeschlossen ist auch eine Alpbesichtigung mit vielen Hintergrundinfos zum Führen des Alpbetriebs. Es gibt beispielsweise Firmen aus der Region, die anlässlich eines Teamausflugs auf die Alp Hösel kommen. Manchmal wünschen die Gruppen auch, bei den praktischen Arbeiten auf der Alp mitzuhelfen. 

Ein weiteres Angebot der Alp Hösel möchte auch Schülern einen Einblick in den Alltag einer Alpwirtschaft ermöglichen. Das Umweltbildungsangebot «Schule auf der Alp» entstand als Folgeprojekt von Forschungsarbeiten zur Nutzung des Schweizer Sömmerungsgebietes (AlpFutur). Das Projekt von Gaby Speck, der Projektleiterin des Diemtigtaler Naturparks, erhielt letztes Jahr den Innovationspreis der Volkswirtschaft Bern. Zielgruppen des Angebots sind Schulklassen der Mittel- und Oberstufe, Gymnasien und weiterführenden Schulen. Analog zum Bildungsangebot «Schule auf dem Bauernhof» auf Talbetrieben bietet «Schule auf der Alp» Schülern die Möglichkeit, die Praxis auf einem landwirtschaftlichen Alpbetrieb kennenzulernen. 

Im Naturpark Diemtigtal gibt es etwa zehn Familien, die beim Umweltbildungsangebot mitmachen. Brüggers empfangen seit letztem Jahr auf ihrer Alp Klassen und kleinere Gruppen à 4 bis 5 Schüler mit mindestens einem erwachsenen Begleiter, hauptsächlich aus den Kantonen Bern und Solo- thurn. Schulklassen können für einen Tag kommen, kleinere Gruppen dürfen sogar auf der Alp übernachten. Dabei können die Besuche ganz unterschiedlich ausfallen, je nach Wissensstand der Kinder und ihrem Interesse. Oft sind es Kinder und Jugendliche aus der Stadt, die noch kaum mit Tieren in Kontakt gekommen sind. Hier können sie vielleicht zum ersten Mal einen Bezug zu Tieren aufbauen. Wie Andreas Brügger sagt, können sie «Schule auf der Alp» nur anbieten, weil sie zahme Tiere haben, die an den Umgang mit Menschen gewöhnt sind und für Kinder nicht gefährlich werden. Die Schüler sollen lernen, wie Alpprodukte entstehen, wie die Milch der Kuh zum Käse wird, wie die Tiere auf der Alp leben. Es gehe darum, die Kinder und Jugendlichen zu sensibilisieren und ihnen ein Verständnis für die Natur und die Zusammenhänge zu vermitteln. Für Familie Brügger ist es zudem wichtig zu zeigen, wie Regionalprodukte entstehen. Natürlich bedeutet es für die Familie einen Mehraufwand, neben ihrer eigentlichen Arbeit auch noch Kinder zu betreuen und pädagogische Aufgaben zu übernehmen, doch könnten sich Brüggers durchaus vorstellen, dieses Angebot mit der Zeit zu einem soliden Nebenerwerbszweig zu entwickeln. 

Produkte aus Leidenschaft

Devise des Familienbetriebs ist, dass die Tiere und ihr Wohl im Zentrum stehen. Andreas Brügger will den Kühen einen «optimalen Speisezettel» bieten, denn nur «ein gesundes Tier» kann «ein vorzügliches Produkt» liefern. Urs Brügger ergänzt, dass ihre «Produkte aus Leidenschaft entstehen», weil alle Mitglieder der Familie am gleichen Strick ziehen und jeder sein Bestes beisteure. Der Familienbetrieb fördere den Zusammenhalt und «jeder hat eine eigene Beziehung zu den Tieren», wie Urs Brügger hinzufügt. Die Hauptstärke des Familienbetriebs liege in der Direktvermarktung der Produkte, die sie selber herstellen. Neben Käse und Milch ist das auch Fleisch, ausserdem werden Mastkälber und Zuchtstiere verkauft. Das Ziel sei, ihre Produkte möglichst vielen Kunden bekannt zu machen und ein gutes Bild der Landwirtschaft zu vermitteln. Neben dem Panoramarestaurant Stockhorn beliefern Brüggers auch andere Kunden mit Käse und Fleisch. Bei Coop steht während des Sommers die Alpmilch des Diemtigtals im Regal. Die Direktvermarktung bedeutet zwar einen beträchtlichen zeitlichen Aufwand, da es ein langer Prozess ist, bis ein Produkt schliesslich zum Verkauf bereit ist. Doch gerade durch die Besonderheit der frischen Grasnarbe (Bezeichnung für eine einheitliche Grasfläche) auf der Alp zeigen sich die Qualität der Milch und der gute Geschmack des Käses. Ein Teil der Produktion kann die Familie schliesslich auch zur Selbstversorgung nutzen: Gemüse aus dem Garten des Talbetriebs, Fleisch und Milchprodukte. Urs Brügger betont, dass die Erhaltung von Familienbetrieben umso wichtiger sei, je mehr die Landwirtschaft industrialisiert werde. 

Tagwacht ab 5 Uhr

Ein Tag auf der Alp Hösel beginnt sehr früh. So muss die Familie bereits um 5.15 Uhr aus den Federn, damit es für alle Arbeiten reicht. Als Erstes werden die Kühe und Ziegen zum Melken in den Stall geholt. Jemand muss das Wasserkochen übernehmen, damit später für das Frühstück und für das Käsen Wasser bereitsteht. Die Kälber müssen in den Stall geholt und getränkt, das Milchgeschirr gewaschen werden. Auch die Weidepflege sollte wenn möglich noch vor dem Frühstück geschehen. Dazu wird ein Raupenfahrzeug benutzt, um den Mist von den Wiesen zu entfernen. Während der Tier- und Weidepflege, der sich je nachdem Andreas und Urs Brügger oder ein Freund der Familie annehmen, kümmert sich Annemarie Brügger um die Käsepflege (Wenden und Abreiben des Käses) und die Vorbereitungen für das Käsen nach dem Frühstück. Dieses wird erst gegen 8 Uhr eingenommen. Nach dem stärkenden «Zmorge», bis spätestens 9.45 Uhr, sollten die Rinder und Kühe eingestallt sein. Dann müssen auch die Aussenarbeiten abgeschlossen sein, damit jemand Annemarie Brügger beim Herausheben des Käses zur Hand gehen kann. Die Käsefabrikation nimmt die restliche Zeit bis zum Mittag in Anspruch. Das Mittagessen wird dann im Bauernhaus in Erlenbach eingenommen, da auch hier Arbeiten wie die Pflege des Gemüsegartens oder die Futterkonservierung für den Talbetrieb anstehen. Ausserdem muss für die Mutterschweine und Ferkel gesorgt werden, die im Sommer auf dem Hof bleiben. Das Zvieri wird noch im Tal eingenommen, dann geht es wieder hinauf auf die Alp. Jetzt wird gemistet und die Kühe und Ziegen erneut gemolken. Je nach Tagesablauf fallen noch weitere praktische Arbeiten an, bis dann gegen 19.30 Uhr endlich das Abendessen auf dem Tisch steht und sich Familie Brügger und ihre Helfer vom anstrengenden Tag erholen können. 

Wo kann man das Sennen lernen?

Dies ist in der Bergbauernschule Hondrich möglich, die dem Dachverband INFORAMA, dem Bildungs-, Beratungs- und Tagungszentrum für Land- und Hauswirtschaft im Kanton Bern, angehört. In Hondrich werden jeweils im Frühling sogenannte Alpsennen- kurse angeboten, die Ende März/Anfang April starten und aus Unterrichtseinheiten zu 5 Tagen bestehen.  Es gibt auch einen Fortsetzungskurs, der im gleichen Zeitraum stattfindet und 2–3 Tage dauert. Unterrichtet wird dann hauptsächlich in der Schulkäserei auf dem Gelände der Bergbauernschule Hondrich, wo die Kursteilnehmer die Prozesse der Käseherstellung kennenlernen. Ziel des Kurses ist, dass Anfänger nach dem Kurs als sogenannte Zusennen auf einer Alp mithelfen können. Es gibt aber auch immer wieder Absolventen, die auf einer Alp alleine für das Sennen verantwortlich sind. Zum Kurs zugelassen werden mit wenigen Ausnahmen nur Personen, die bereits vor Kursbeginn die Zusicherung einer Alp- stelle erhalten haben. Während des Alp- sommers werden die ehemaligen Kursteilnehmer weiterhin vom Leiter der Schulkä- serei Hondrich beraten. Hanspeter Graf besucht jeweils ab Mitte Mai die verschiedenen Alpbetriebe und begleitet die Neu-Sennen bei ihrer Arbeit.

Information zu den Alpsennenkursen:
www.inforama.vol.be.ch

Alp Hösel
Die Alp Hösel liegt im Gebiet Springenboden und bietet eine wunderschöne Aussicht auf die Stockhornkette. Die Alp ist ein guter Ausgangspunkt für verschiedene Wanderungen in der beliebten Wanderregion des Naturparks Diemtigtal.  Es können Alpkäse, Mutschli, Raclette- und Ziegenkäse, Trockenfleisch und Trockenwurst vom Rind gekauft werden.  

Kontakt:
Andreas und Annemarie Brügger, Telefon 033 681 16 93 (Alp) oder 033 681 29 92 (Tal).

Angebot Alpvisite 

  •  «Apéro à la montagne»
  • Alpmittagessen mit Dessert und Kaffee
  • geführte Alpbesichtigung mit vielen Hintergrundinfos
  • Preis: nach Absprache
  • Zeitpunkt: Mitte Juni bis Mitte September
  • Anmeldung: direkt bei Familie Brügger
  • Personen: 10 bis 25 Personen
  • Buchung: direkt bei Familie Brügger

Schule auf der Alp

  •  Zielgruppen: Schulklassen Mittel- und Oberstufe, Gymnasium und weiterführende Schulen, Gruppen von Ferienlagern sowie Familien
  • Zeitpunkt: Sömmerungszeit von Anfang Juli – Ende September
  • Ort: Verschiedene Alpen im Diemtigtal
  • Information: Gabi Speck, Projektleiterin, Bahnhofstrasse 20, 3753 Oey,
    Telefon 079 299 41 61, E-Mail: gabi.speck@diemtigtal.ch