
Alpkäse – das Gold aus dem Justistal
Alpkäse – das Gold aus dem Justistal
Am Freitag nach dem Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag findet der legendäre Chästeilet im Justistal, Sigriswil, statt. Dabei wird nach jahrhundertealtem Brauch der Käse nach einem ausgeklügelten System auf die Bewirtschafter:innen aufgeteilt. Doch wie ist dieser schmackhafte Alpkäse überhaupt entstanden?
Text: Samuel Krähenbühl P Bilder: Therese Krähenbühl-Müller, zvg
Der Justistaler Alpkäse ist bei Käseliebhabern heiss begehrt. Doch bis das Gold aus dem Justistal am Chästeilet Ende September geteilt und dann im neuen Jahr genossen werden kann, ist es ein langer Weg und braucht den vollen Arbeitseinsatz der Sennen im Tal. Damit überhaupt gekäst werden kann, heisst es am Morgen früh aufstehen. Spätestens um fünf Uhr ist für die Sennen Tagwache. Sie treiben die Kühe ein, die über Nacht auf der Weide gegrast haben. Bis Anfang August bleiben die Tiere wegen der Fliegen und Bremsen den Tag über im Stall und weiden in der Nacht. Nach dem Melken geht es ans Käsen.
Ohne Hitze kein Alpkäse
Früher wurde der Käse in allen Alphütten direkt über dem Feuer in einem Kupferkessel erhitzt. Heute ist das nicht mehr überall so. In einigen der neueren Hütten werden die Kessi indirekt mit Dampf erhitzt, der aber nach wie vor mit Holz erzeugt wird. Die Milch vom Morgen kommt mit der Milch vom Abend in eine grosse Kupferwanne in der Käserei. Der Rahm auf der Milch vom Vorabend schwimmt oben auf. Er wird abgenommen und später zu Butter verarbeitet. Die Milch vom Morgen hingegen geht vollfett ins Kessi. Nun gibt der Käser die Bakterienkultur und das Lab in die Milch. Das Ziel ist es, dass die Milch dick wird, sodass man sie in einem weiteren Schritt schneiden kann. Deshalb gibt man das Lab, das aus Kälbermagen gewonnen wird, bei. Die Bakterien bewirken, dass der Käse reift. Wer als Käser auf einer Alp arbeiten will, sollte zumindest einen Kurs in der Landwirtschaftsschule Inforama in Hondrich bei Spiez besuchen.
Damit die Milch Zeit hat, einzudicken, essen die Sennen ihr Frühstück. Danach gehts zurück zum Käsekessi. Der Käser greift zur Käserharfe und zieht sie durch die geronnene Milch, die im Fachjargon Gallerte genannt wird. Damit schneidet er die eingedickte Milch in kleine Stücke, bis sie sich in eine flockige Masse verwandelt hat. Es sieht aus, als würde er in Milchreis rühren. Nun muss das Ganze fünfzig Minuten lang gerührt werden.
Bakterien als kleine Helferlein
In der Zwischenzeit muss sich der Käser auch mal um seine Bakterienkulturen kümmern. Ja, ohne diese lebendigen, kleinen Helfer gäbe es ebenso wenig einen chüstigen Alpkäse wie ohne Lab. Heute werden dazu Bakterien in Pulverform verwendet, die aber dann Tag für Tag weitervermehrt werden. Ist die Kultur nicht mehr gut, dann hilft entweder ein Senn aus einer anderen Alp aus oder die Kultur muss neu angesetzt werden. Jetzt wird die Masse darin unter weiterem Rühren erhitzt, und zwar in 50 Minuten von 32 auf 52 Grad. Bevor der Käser damit beginnt, die Masse mit Tüchern aus dem Becken zu heben, kontrolliert er die Konsistenz.
Er greift eine Handvoll des körnigen Käsebruchs und formt ihn zu einem kompakten Klumpen. Dann geht alles ganz fix. Der Senn ergreift eines der Tücher, die sein Helfer vorbereitet hat, steckt sich zwei Enden in den Mund und wickelt die andere Seite um eine lange, biegbare Metallstange. Dann greift er tief in das Kupferbecken, bis er über die Ellbogen in der Masse versinkt, und zieht die Metallstange an beiden Enden durch den Käsebruch. Nun zieht er die Stange aus dem Tuch, legt die
vier Stoffecken zusammen und dreht das Paket zu einem kompakten Bündel.
So in Stoff eingewickelt, gelangt der Käsebruch in das Järb, in das er – eingespannt unter Druck – gepresst wird und das ihm seine typische runde Form verleiht. Innert kürzester Zeit sind aus den 800 Litern Milch sieben Bergkäse entstanden. Diese bleiben noch bis am nächsten Morgen aufgeschichtet in ihren Formen, die der Senn in dieser Zeit sechsmal kehrt. Dies, damit die Molke oder Sirte vollständig aus dem Käse herausläuft. Das ist die Flüssigkeit, die nach dem Käsen übrig bleibt. Und noch etwas kommt ins Järb auf die Aussenseite des zukünftigen Käselaibs.
Eine sogenannte Kaseinmarke der Sortenorganisation Casalp. Diese ist quasi die Identitätskarte des zukünftigen Alpkäses und weist jeden als echt auf einer Alp im Berner Oberland produziert aus. Diese Marke ist wie gesagt aus Kasein, also aus Milcheiweiss, und kann problemlos gegessen werden. Alpkäse und Bergkäse sind nicht das Gleiche, obschon die Begriffe häufig verwechselt werden. Der Bergkäse wird ganzjährig von den gewerblichen Käsereien in den Dörfern der Bergregion hergestellt, somit im Winter wie auch im Sommer. Der Berner Alpkäse AOP dagegen wird ausschliesslich während der Sommermonate auf der Alp gefertigt und ist rechtlich geschützt.
Viel Pflege erforderlich
Es ist erst Mittag, und doch haben die Sennen im Justistal bereits einen sechsstündigen Arbeitstag hinter sich. Feierabend ist noch keiner in Sicht. Nach dem Zmittag geht der Senn in den Spycher, um dort die Käse zu pflegen. Nebst den Spychern, die etwas weiter aussen im Tal unten am Spycherstutz gelegen sind, hat es auch bei den Alphütten im Tal hinten ebenfalls einen Spycher. Hier kommen die frischen Käse in das Salzbad, in dem sie einen ganzen Tag lang bleiben. Nach dem Herausnehmen aus der Presse werden auf dem Rand der Laibe noch der Tag und der Monat angeschrieben. Je nach Tradition wird der Monat mit einer Zahl oder dann mit einem Buchstaben angegeben.
Doch damit ist es nicht fertig. Alpkäse ist ein Naturprodukt und bedarf regelmässiger Pflege. Bis zum Chästeilet ist dafür das Alppersonal verantwortlich. Danach muss jeder Bewirtschafter zu Hause selber dafür sorgen, dass der Alpkäse gut reift.